Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
2.2.7 „Achsen der Ungleichheit“ besonders passend zum Recht?<br />
Der Ansatz der „Achsen der Ungleichheit“ von Klinger <strong>und</strong> Knapp könne durch seinen<br />
Ausgangspunkt, die Ungleichheit, rechtlich besonders anschlussfähig an das Konzept der<br />
Benachteiligung (welche eine Ungleichbehandlung voraussetzt) <strong>und</strong> an menschenrechtliche<br />
Diskurse sein. Er fokussiere allerdings primär nur Gender, Klasse <strong>und</strong> „Rasse“/Ethnizität<br />
<strong>und</strong> es werde nicht klar, wie dieser Ansatz mit ungleichen Betroffenheiten umgehe. Hier<br />
sei zu beachten, dass auch das in Deutschland umfangreich geregelte Sozialrecht als Teil<br />
des Antidiskriminierungsrechts betrachtet werden könne, nämlich als spezifisches Antidiskriminierungsrecht<br />
zur Regelung des Umgangs mit der Kategorie Klasse.<br />
2.2.8 Gruppismus <strong>und</strong> Kategorien<br />
In der Auseinandersetzung mit <strong>Diskriminierung</strong> sei der Unterschied zwischen Gruppen<br />
<strong>und</strong> Kategorien wichtig. Das Gruppendenken sei gerade auch im Recht weit verbreitet. Das<br />
zeige sich auch an den <strong>Begriffe</strong>n, die als problematische Beschreibung essenzialistischer<br />
Gruppenmerkmale funktionierten („Gründe“, „Merkmale“). Die Konzepte der Mehrfachzugehörigkeit<br />
forderten das Loslassen vom Gruppendenken. Die Ungleichheitskategorien<br />
seien als Konstruktionen zu verstehen. Die Identifizierung mit Kollektiven, die im Gruppendenken<br />
liege, bedeute vor allem im Hinblick auf historische Prozesse eine Stigmatisierung<br />
<strong>und</strong> Demütigung für die betroffenen Individuen. Antidiskriminierungsrecht müsse deshalb<br />
das Individuum sehen, nicht kollektivieren. Hierzu lade der Intersektionalitätsansatz<br />
ein. Insbesondere Crenshaw habe mit ihm auf die Gefahren der gängigen „single issue“-<br />
Politiken (nach „Gruppen“interessen) hingewiesen, welche Schwarze Frauen marginalisierten.<br />
Fraglich sei allerdings, ob dies eine „neue Gruppe“ schaffe, doch werde diese bei<br />
Anwendung der Intersektionalitäts- bzw. Interdependenzansätze ständig hinterfragt <strong>und</strong><br />
so dauernd dekonstruiert. Fraglich sei, ob die „alte Gruppe“ nicht auch ohne Schaffung<br />
jeglicher „neuer, kurzfristiger Gruppen“ dekonstruiert werden könne. Hier sei der Ansatz<br />
der Interdependenz mit dem Potenzial der stetigen Hinterfragung von Kategorien sehr<br />
produktiv.<br />
Gruppendenken sei nicht immer per se problematisch. Andererseits ist es aus Sicht eines<br />
Individuums auch positiv <strong>und</strong> stärkend, sich selbst als Teil einer Gruppe wahrzunehmen<br />
<strong>und</strong> auch so wahrgenommen zu werden. Dies stehe im Spannungsfeld damit, dass kollektive<br />
Fremdzuschreibungen regelmäßig die Möglichkeit <strong>und</strong> den Wunsch, (zumindest<br />
auch) als Individuum wahrgenommen zu werden, erschweren.<br />
Es sei fraglich, ob es im Recht um die Auflösung von Kategorien gehen könne, weshalb es<br />
sehr fraglich sei, ob antikategoriale Ansätze juristisch tragen. Die Kategorien seien jedenfalls<br />
bislang Teil des rechtlichen Instrumentariums. Die in Art. 3 Abs. 3 GG <strong>und</strong> § 1 AGG<br />
genannten Kategorien seien benannt, um ein kollektives Stigma für Entscheidungen zu<br />
erzeugen, in denen die genannten Kategorien benutzt würden. Damit würden die Regelungen<br />
Kategorien als Achsen der Ungleichheit benennen <strong>und</strong> nicht Differenzen oder Unterschiede.<br />
83