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Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...

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ereits verfolgt, trägt dazu bei, der Hierarchisierung von <strong>Diskriminierung</strong>skategorisierun-<br />

gen entgegenzuwirken. Unbedingt vermieden <strong>und</strong> aktiv bekämpft werden muss außerdem<br />

die Funktionalisierung mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong>, denn Heterosexismus <strong>und</strong><br />

Sexismus sind ebenso wenig ausschließlich oder vorwiegend im Islam oder in türkischen/<br />

arabischen Communities präsent wie Rassismus in queeren oder feministischen Communities.<br />

Die Zuschreibung <strong>und</strong> Festschreibung von Identitäten <strong>und</strong> stereotypisierende Bilder<br />

sind wie gezeigt nicht nur Vereinfachungen, sondern führen zu Essenzialisierungen <strong>und</strong><br />

Normierungen. Da Sprache kategorisiert, trägt die ADS die Verantwortung, in ihrer<br />

Öffentlichkeitsarbeit reflektierte Begriffspolitiken zu praktizieren, zu verbreiten <strong>und</strong> anzuregen<br />

<strong>–</strong> so dass gleichzeitig möglichst viele Adressatinnen <strong>und</strong> Adressaten erreicht werden.<br />

Dazu gehören einerseits Akteure, zu deren Aufgaben es gehört, sich gegen <strong>Diskriminierung</strong><br />

zu engagieren <strong>und</strong> die bisher noch nicht weitgehend von der Bedeutung dieser Aufgabe<br />

überzeugt werden konnten. Verantwortliche in Politik, Schulen, Gewerkschaften <strong>und</strong><br />

als Arbeitgeber_innen müssen für Intersektionalität sensibilisiert werden, brauchen Wissen<br />

über mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> <strong>und</strong> Kompetenzen zur Durchsetzung wirksamer<br />

Maßnahmen dagegen. Information für Juristinnen <strong>und</strong> Juristen nimmt eine Schlüsselfunktion<br />

ein, da von deren Handeln insbesondere die Entwicklung der Rechtsprechung<br />

abhängt.<br />

So gilt es, in der Arbeit gegen <strong>Diskriminierung</strong> mit Blick auf die in § 1 AGG aufgezählten<br />

<strong>Begriffe</strong> Geschlecht, sexuelle Identität, Alter, Behinderung, „Rasse“ <strong>und</strong> ethnische Herkunft<br />

sowie Religion <strong>und</strong> Weltanschauung auch dafür Sorge zu tragen, dass in der Rechtspraxis<br />

ein angemessener, nicht stigmatisierender <strong>und</strong> Rechtsschutz nicht beeinträchtigender<br />

Umgang mit <strong>Begriffe</strong>n gepflegt wird.<br />

Juristisch bietet sich die Verwendung des Begriffs „Gründe“ an, denn das AGG will Benachteiligungen<br />

„aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts<br />

usw.“ bekämpfen. Auch die weiteren Regelungen des AGG nehmen wörtlich Bezug auf die<br />

in § 1 AGG genannten „Gründe“. Damit gehen jedoch Probleme einher: „Gründe“ lassen an<br />

„Begründung“ denken, was wiederum als Frage nach den Motiven oder „Hintergründen“<br />

interpretiert werden könnte. 282 Dem ist nicht zuletzt die europäische Rechtsprechung<br />

entgegengetreten, die seit Langem urteilt, um Motive oder Absichten dürfe es beim <strong>Diskriminierung</strong>sschutz<br />

nicht zentral gehen. 283 Zudem lassen „Gründe“ an Ursachen denken, für<br />

die Menschen dann auch verantwortlich sind, was hier aber dazu führen würde, dass angenommen<br />

würde, dass Benachteiligte Schuld an ihrem Schicksal tragen („blaming the<br />

victim“). Wenn z. B. Behinderung als „Gr<strong>und</strong>“ für <strong>Diskriminierung</strong> bezeichnet wird, besteht<br />

die Gefahr, die tatsächliche oder zugeschriebene Behinderung als Ursache einer <strong>Diskriminierung</strong><br />

zu konstruieren <strong>und</strong> damit beeinträchtigten Menschen die Verantwortung für<br />

eine Benachteiligung zuzuschieben. Der „Gr<strong>und</strong>“ für ihre <strong>Diskriminierung</strong> liegt jedoch in<br />

bestimmten „Achsen der Ungleichheit“, interdependenten Kategorisierungen, intersektional<br />

je unterschiedlich. Dabei spielen nicht nur Vorstellungen „normaler“ Körper <strong>und</strong> Fähigkeiten<br />

eine Rolle, sondern auch weitere Vorstellungen, die sich mit Geschlechterrollen,<br />

Alter usw. verbinden. Folglich muss juristisch im engeren Sinne zwar auf den Wortlaut des<br />

AGG Bezug genommen werden, doch sprechen wichtige Argumente dagegen, in der Arbeit<br />

gegen <strong>Diskriminierung</strong> sonst von „Gründen“ zu sprechen.<br />

282 Dagegen regelt das AGG selbst die Rechtfertigung einer Unterscheidung im Ausnahmefall.<br />

283 EuGH C-177/88, Urteil vom 08.11.1990 (Dekker), dazu auch Schiek-Schiek, § 3 AGG Rn. 16<br />

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