Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Zusammenfassung<br />
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das 2006 zur Umsetzung europäischer<br />
Richtlinien verabschiedet wurde, hat laut § 1 zum Ziel, „Benachteiligungen aus Gründen<br />
der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung,<br />
einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu<br />
beseitigen“. Diese „Gründe“ markieren nicht Unterschiede, Differenz oder Diversität, sondern<br />
benennen Lebensrealitäten als <strong>Diskriminierung</strong>serfahrungen. Entlang dieser „Gründe“<br />
verteilen sich gesellschaftlich Chancen; anhand dieser „Gründe“ werden Menschen<br />
stereotypisiert <strong>und</strong> bewertet. Daher handelt es sich in der Sache um Kategorisierungen.<br />
Diese Kategorisierungen stehen nicht nebeneinander, sondern sind intersektional verschränkt,<br />
voneinander abhängig, miteinander verwoben. Konzepte von <strong>und</strong> Studien zu<br />
Intersektionalität zeigen, dass <strong>Diskriminierung</strong> nicht eindimensional, also nicht exklusiv<br />
auf einen „Gr<strong>und</strong>“ bezogen geschieht, sondern in komplexen Formen existiert <strong>und</strong> erlebt<br />
wird. Daher greift ein Verständnis von <strong>Diskriminierung</strong>, das sich nur auf eine Kategorisierung<br />
bezieht, zu kurz; problematischer noch: Eine eindimensionale Sicht stereotypisiert,<br />
verzerrt <strong>und</strong> verkürzt die Probleme, um die es eigentlich geht.<br />
<strong>Diskriminierung</strong> kann daher als Erfahrung verstanden werden, in der sich bestimmte „Achsen<br />
der Ungleichheit“ überkreuzen. Alle Menschen haben ein Geschlecht, eine sexuelle<br />
Identität, eine Herkunft etc., <strong>und</strong> nehmen entlang dieser Achsen hinsichtlich aller Kategorisierungen<br />
unterschiedliche soziale Positionen ein. So hängen z. B. an der Benachteiligung<br />
von alten Menschen Vorstellungen über Beweglichkeit, aber auch über Geschlechterrollen<br />
<strong>und</strong> sexuelle Identitäten; <strong>und</strong> Benachteiligungen von Frauen hängen eng mit Alter oder<br />
auch Ethnizität oder auch Behinderung zusammen. Daher ist von mehrdimensionaler<br />
<strong>Diskriminierung</strong> als Regelfall auszugehen. In der wissenschaftlichen Diskussion werden<br />
teilweise unterschiedliche Formen mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong> begrifflich abgegrenzt:<br />
Manchmal führt erst die Verschränkung von mehreren Kategorisierungen zu einer<br />
Benachteiligung, manchmal wirken verschiedene Kategorisierungen „nebeneinander“. In<br />
der gesellschaftlichen Wirklichkeit lässt sich das aber nicht „sauber“ trennen.<br />
Welche rechtlichen Konsequenzen mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> hat, ist bislang<br />
weitgehend ungeklärt. Das AGG definiert mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> nicht. Es<br />
legt fest, dass eine Rechtfertigung hinsichtlich jedes einzelnen <strong>Diskriminierung</strong>sgr<strong>und</strong>es<br />
vorliegen muss, um nicht das <strong>Diskriminierung</strong>sverbot zu verletzen.<br />
Eine Bestandsaufnahme zu rechtlichen Regelungen gegen <strong>Diskriminierung</strong> zeigt auch,<br />
dass auf Mehrdimensionalität bislang selten explizit eingegangen wird. Allerdings anerkennt<br />
der Gesetzgeber auch außerhalb des AGG vereinzelt, dass Kategorisierungen zusammentreffen.<br />
Eine Analyse ausgewählter Gerichtsentscheidungen zeigt jedoch, dass Gerichte mehrdimensionale<br />
<strong>Diskriminierung</strong>en tendenziell nicht erkennen oder nicht angemessen berücksichtigen.<br />
Umfassende Prüfungen des gesamten Lebenssachverhalts mit Blick auf verschiedene<br />
potenziell relevante Kategorisierungen sind die Ausnahme. Dabei kommt erschwerend<br />
hinzu, dass die Beweiserleichterung des AGG nicht angewandt wird.<br />
4