Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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3.1.5 Weitere rechtswissenschaftliche Literatur<br />
Das Thema <strong>Diskriminierung</strong> ist in der deutschen Rechtswissenschaft im internationalen<br />
Vergleich eher jung. 140 In der Ausbildung ist es bislang kaum Thema. So liegen bislang auch<br />
nur zu bestimmten <strong>Diskriminierung</strong>sfragen vertiefte Studien vor. Das gilt insbesondere für<br />
geschlechtsbezogene <strong>Diskriminierung</strong> <strong>und</strong> im Ansatz für <strong>Diskriminierung</strong> von Menschen<br />
mit Behinderung, hinsichtlich der sexuellen Orientierung <strong>und</strong> sukzessive auch mit Blick<br />
auf Migration bzw., vorsichtiger, Rassismus. Arbeiten zu mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong><br />
finden sich noch selten.<br />
Zinsmeister diskutiert mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> mit Blick auf die Rechte behinderter<br />
Frauen noch vor Inkrafttreten des AGG. Sie unterscheidet zwischen mehrdimensionaler<br />
als „vermehrter“ <strong>Diskriminierung</strong>, bei der jede Benachteiligung auf je eine bestimmte<br />
Zuschreibung zurückzuführen sei, was mehrheitlich „additiv“ genannt wird141 , <strong>und</strong> der<br />
„verschränkten“ <strong>Diskriminierung</strong>, bei der Benachteiligungen aus den spezifischen Wechselwirkungen<br />
zwischen den Kategorien entstehen, was meist „intersektional“ genannt<br />
wird. 142 Ein Problem bestehe bei verschränkter/intersektionaler <strong>Diskriminierung</strong>, wenn die<br />
Kausalität für Benachteiligungen nachzuweisen sei. Monokausale Formeln143 seien daher<br />
ungeeignet für den Nachweis verschränkter <strong>Diskriminierung</strong>. 144 Der Bezug auf Merkmale<br />
ist dann problematisch, aber auch unerlässlich für die Sichtbarmachung von Unterschieden.<br />
Zinsmeister schlägt daher eine inzidente Prüfung der Verletzung von Gleichheitsgarantien<br />
vor. So müsse im Fall einer behinderten Frau innerhalb der Frage nach einer<br />
geschlechtsspezifischen <strong>Diskriminierung</strong> auch die Frage nach einer <strong>Diskriminierung</strong><br />
aufgr<strong>und</strong> ihrer Behinderung geprüft werden. 145<br />
Dies ist ein Gr<strong>und</strong>problem des Antidiskriminierungsrechts, insofern hier einer nicht nur<br />
symmetrischen Auffassung von Gleichheit, sondern auch einer auf Gruppen setzenden<br />
Konzeption gefolgt wird, die den individuellen Erfahrungen aber nicht gerecht wird; problematisch<br />
ist also die Vergleichsgruppenlogik. 146<br />
Zinsmeister problematisiert ebenfalls die Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung<br />
nach § 9 AGG. Sie sieht die praktische Relevanz für homosexuelle Mitarbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Mitarbeiter in Kirchen, deren Ungleichbehandlung nicht nur an § 9 AGG, sondern auch<br />
an § 8 AGG zu messen wäre:<br />
140 Baer (1997).<br />
141 Vgl. 3.1.4.<br />
142 Zinsmeister (2007), 113.<br />
143 Diese behaupten, dass eine Ungleichbehandlung nur dann vorliege, wenn diese eigentlich oder nur auf dem<br />
Vorliegen einer einzelnen Kategorie beruht bzw. diese eine Kategorie den Hauptzweck der Unterscheidung<br />
darstellt. Zu den einzelnen Ansätzen vgl. Zinsmeister (2007), 121 ff.<br />
144 Zinsmeister (2007), 128.<br />
145 Vgl. ausführlich Zinsmeister (2007), 133.<br />
146 Im Fall einer mittelbaren <strong>Diskriminierung</strong> wegen mehrerer Gründe sei für jedes verbotene Merkmal jeweils<br />
eine einzelne Vergleichsgruppe zu bilden <strong>und</strong> in Bezug darauf zu prüfen, ob ein legitimes Ziel für die<br />
Ungleichbehandlung vorliegt, das mit erforderlichen <strong>und</strong> angemessenen Zielen erreicht werden soll;<br />
Hey (2009)-Hey, § 4 AGG Rn. 7. Zu diesem Problem auch Bauer (2008), 52: Das geltende <strong>Diskriminierung</strong>srecht<br />
sehe das Konzept der Vergleichsgruppenbildung vor. Schwierig ist dieses Modell der Vergleichsperson<br />
bei Fällen der intersektionalen <strong>Diskriminierung</strong>. Vgl. kritisch, aber überzeugend Burri/Schiek, S. 18.<br />
Auch Rudolf sieht ein Problem im Falle von „Intersektionalität“ beim Kausalitätsnachweis, soweit es dabei<br />
um die Bildung von Vergleichsgruppen gehe: Rudolf/Mahlmann (2007), § 6 Rn. 77.<br />
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