Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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Persönlichkeitssphäre. 241 Schiek, die diese Fälle unterscheidet, plädiert bei additiver Diskri-<br />
minierung für eine Erhöhung der Entschädigungssumme, im Falle von intersektioneller<br />
<strong>Diskriminierung</strong> hält sie jedoch eine Prüfung des Einzelfalls für notwendig. 242 Gerichte<br />
haben sich dazu bislang nicht geäußert. 243<br />
Ausweislich der Forschung zu Intersektionalität spricht für eine Erhöhung von Schadensersatzsummen<br />
im Fall mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong>, dass Menschen an der Schnittstelle<br />
mehrerer Achsen der Ungleichheit 244 strukturell schlechter gestellt sind als andere.<br />
Gegen diese Position spricht allerdings, dass alle Ungleichheiten in sich interdependent zu<br />
verstehen sind245 <strong>und</strong> je nach Kontext Benachteiligungen erzeugen können. Zudem ergibt<br />
sich aus der Gr<strong>und</strong>rechtsdogmatik <strong>und</strong> der Dogmatik der Menschenrechte auch, dass<br />
<strong>Diskriminierung</strong> nicht nach unterschiedlicher Intensität zu messen, sondern als Verletzung<br />
eines Achtungsanspruchs anzuerkennen ist. Daraus ließe sich folgern, dass Schadensersatz<br />
neben dem Ausgleich der tatsächlich erlittenen Einbußen im Rahmen des immateriellen<br />
Schadensersatzes zahlreiche Aspekte des Einzelfalls frei von jedem <strong>–</strong> dann eventuell<br />
auch wieder stereotypisierenden <strong>–</strong> Schematismus einbeziehen sollte.<br />
4.4 Kategorisierungen vor Gericht<br />
In der genaueren Durchsicht der bisher in Deutschland ergangenen gerichtlichen Entscheidungen<br />
zum AGG zeigen sich bestimmte Konstellationen, in denen mehr als ein<br />
„Gr<strong>und</strong>“ einer Benachteiligung i. S. d. § 1 AGG thematisiert wird. So ergibt sich ein Bild der<br />
prioritären, damit aber auch oft eindimensional verkürzten Thematisierung bestimmter<br />
Konstellationen. Mithilfe der theoretisch-konzeptionellen Arbeiten zu Intersektionalität<br />
lassen sich diese als auch problematisch stereotypisierende Aufmerksamkeit verstehen246 ,<br />
nicht aber als Indikator für die empirische Realität von Benachteiligungen in der deutschen<br />
Gesellschaft.<br />
4.4.1 Geschlecht, Religion/Weltanschauung, „Rasse“/ethnische Herkunft<br />
Zahlreiche Entscheidungen, in denen mehrere Ungleichheiten thematisiert werden,<br />
betreffen das religiöse Kopftuch 247 . Teils zeigt sich, dass Gerichte die Problematik einer<br />
Ethnisierung sehen, aber sie nicht juristisch werden lassen; teils zeigt sich, dass Religion die<br />
Problematik des Sexismus überspielt.<br />
In einem Verfahren vor dem ArbG Köln248 , das in zweiter Instanz mit einem Vergleich endete249<br />
, ging es um Religion <strong>und</strong> die Herkunft. Das Gericht gab der Klage auf Weiterbeschäftigung<br />
einer Arbeitnehmerin des Caritasverbandes statt, der gekündigt worden war, weil sie<br />
nach ihrer Rückkehr aus der Elternzeit bei der Arbeit ein Kopftuch trug. Die Klägerin trug<br />
selbst vor, dass ihr „allein durch ihre äußere Erscheinung“ der muslimische Glaube anzu-<br />
241 Unter anderem MüKoAGG-Thüsing, § 4 AGG Rn. 6; des Weiteren bereits 3.1.<br />
242 Schiek-Schiek, § 4 AGG Rn. 9, ähnlich Walker (2009), 10.<br />
243 Zur Erfassung der Gerichtsentscheidungen s. Teil 4.1.<br />
244 Dazu 2.2.1.<br />
245 Dazu 2.2.2.<br />
246 Dazu oben 2.3.<br />
247 Hier interessieren nur diejenigen, die nach Inkrafttreten des AGG ergangen sind.<br />
248 ArbG Köln 19 Ca 7222/07, Urteil v. 06.03.2008.<br />
249 LArbG Köln 3 Sa 785/08 v. 03.12. 2008.<br />
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