Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
2.2.2 „Interdependenzen“<br />
In Deutschland ist daneben ein weiteres Konzept entwickelt worden, dass anders als bei der<br />
Kreuzung („intersection“) keinen Zusammenprall getrennter Gründe, sondern eine wechselseitige<br />
Verschränkung der <strong>Diskriminierung</strong>sgründe von Anfang an <strong>und</strong> in sich kenntlich<br />
machen will. Es beruht auf den Arbeiten in den Gender Studies an der Humboldt-Universität<br />
zu Berlin, die anhand von „Gender“ exemplarisch zeigen, dass Konzepte von<br />
abgrenzbaren, sich überschneidenden Kategorien eine Vorstellung reproduzieren, in der<br />
Kategorien einen „genuinen Kern“ haben. 72 Demzufolge liegt das Risiko von Intersektionalitätskonzepten,<br />
die mit Metaphern wie Straßenkreuzungen oder Achsen arbeiten, in der<br />
Bestätigung einer Norm, die doch gerade infrage gestellt werden soll. Daher schlagen die<br />
Autorinnen vor,<br />
„Gender als interdependente Kategorie zu fassen. Mit dem Begriff Interdependenzen werden<br />
folglich nicht mehr wechselseitige Interaktionen zwischen Kategorien gefasst, vielmehr<br />
werden soziale Kategorien selbst als interdependent konzeptualisiert. In der Konsequenz<br />
bedeutet dieser Vorschlag, dass auch die Kategorien Klasse, Ethnizität oder Sexualität als<br />
interdependente Kategorien gedacht werden müssen.“ 73<br />
Dies ist ein tendenziell antikategoriales Konzept von Intersektionalität, hat aber auch<br />
Anteile einer intrakategorialen Analyse. So ist die Konstruktion von Kategorien selbst zum<br />
Thema gemacht <strong>und</strong> kritisch analysiert, um aber auch mehrdimensionale Ungleichheitserfahrungen<br />
eingedenk der sie prägenden Kategorisierungen verstehen zu können.<br />
„Die Annahme von Kategorien ist in Theoretisierungen zu Interdependenzen <strong>und</strong> Intersektionalität<br />
die unhinterfragte Gr<strong>und</strong>lage der Untersuchung ihrer Komplexität <strong>und</strong> Bedingtheit.<br />
Daher soll in diesem Beitrag ergänzend <strong>und</strong> in Kritik an bisherigen Ansätzen die Ebene der<br />
Kategorie genauer betrachtet werden.“ 74<br />
Die Herstellung von Kategorien erfolgt, so die Linguistin Hornscheidt, durch Sprache:<br />
„Aus einer perspektivisch-pragmatischen linguistischen Sicht75 […] sind Kategorien durch<br />
sprachliche Benennungspraktiken getragene <strong>und</strong> hergestellte Kategorisierungen, die so<br />
stark konven tionalisiert sind, dass sie den Anschein der Vorgängigkeit <strong>und</strong> Natürlichkeit<br />
besitzen können <strong>–</strong> aus der prozesshaften Kategorisierung wird so im Sprachgebrauch <strong>und</strong> im<br />
Denken eine zumindest temporär feststehende <strong>und</strong> der sprachlichen Benennung vorgängige<br />
Kategorie.“ Fn: Hornscheidt (2007), 67.<br />
Benennungspraktiken führen also zur Kategorisierung von Menschen <strong>und</strong> damit immer<br />
sowohl zu Ein- als auch Ausschlüssen. Damit sind sie eine machtvolle Differenzierung in<br />
diejenigen, die dazugehören, <strong>und</strong> diejenigen, die nicht dazugehören <strong>–</strong> beispielsweise in vor<br />
72 Nicht immer ganz klar ist, was genau intersektional zusammenwirkt. Angesprochen werden z. B. Dominanzverhältnisse,<br />
aber auch Subjektpositionen <strong>und</strong> Identitätskategorisierungen. Nach Walgenbach liegt<br />
dem Konzept ein „Verständnis von sozialen Kategorien, welche die Qualität struktureller Dominanz aufweisen“,<br />
zugr<strong>und</strong>e. Die Auswahl der relevanten Kategorien sei „kontextabhängig <strong>und</strong> historisch variabel“, es<br />
gebe „keine ‚richtige‘ Analyse“, Walgenbach (2007), 58.<br />
73 Walgenbach u. a. (2007), 9.<br />
74 Hornscheidt (2007), 72.<br />
75 „Sprache wird in einem perspektivisch-pragmatischen Ansatz nicht als Mittel der Abbildung einer außersprachlichen<br />
Realität, sondern als ein Realität herstellendes Mittel aufgefasst“, Hornscheidt (2007), 79.<br />
20