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Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...

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von der Wahrnehmung <strong>und</strong> den Vorannahmen der Forscherinnen <strong>und</strong> Forscher. Warum<br />

z. B. erwähnt das LArbG Berlin-Brandenburg in einer Entscheidung 225 zunächst die Schwerbehinderung<br />

der Klägerin, geht im Weiteren aber nur noch auf ihre sexuelle Orientierung<br />

<strong>und</strong> mit keinem Wort mehr auf die Behinderung ein?<br />

Diese Erfassungshürden betreffen allerdings nur die Konstellationen, in denen überhaupt<br />

mehr als eine Ungleichheitskategorie von den Prozessteilnehmenden thematisiert wird. 226<br />

Es ist jedoch anzunehmen, dass es ebenfalls Entscheidungen zu mehrdimensionalen <strong>Diskriminierung</strong>ssituationen<br />

gibt, die als solche aber von keiner der Parteien im Prozessverlauf<br />

thematisiert werden, sondern sich alle auf nur eine Kategorisierung konzentrieren.<br />

Nach Einschätzung einiger Beratungseinrichtungen kann dies auch an der Selbstwahrnehmung<br />

der diskriminierten Person liegen, die die <strong>Diskriminierung</strong> nicht auf allen Ebenen<br />

erfasst bzw. erfassen kann. 227 Allerdings muss ein Gericht dem nicht folgen. Das VG Frankfurt<br />

am Main hat sich in einer Entscheidung 2009 nicht allein auf die von der Klägerin<br />

vorgetragene geschlechtsspezifische <strong>Diskriminierung</strong> im Bewerbungsverfahren konzentriert,<br />

sondern die gesamte Personalauswahl überprüft <strong>und</strong> festgestellt, dass auch unzulässige<br />

Altersdiskriminierung eine Rolle spielte. 228<br />

Die nachfolgende Darstellung beruht also auf einer Auswahl gerichtlicher Entscheidungen<br />

ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Abfrage einschlägiger Datenbanken ergab, dass<br />

bislang in der veröffentlichten Rechtsprechung deutscher Gerichte keine Entscheidung mit<br />

ausdrücklicher Erwähnung von mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong> vorliegt. 229 Jedoch<br />

lassen sich bei eingehender Analyse einiger Entscheidungen Konstellationen erkennen, in<br />

denen die Klägerinnen <strong>und</strong> Kläger mehrdimensionaler Benachteiligung ausgesetzt waren.<br />

Offensichtlich bestehen bestimmte Hürden auf dem Weg zum Gericht.<br />

4.2 Hürden auf dem Weg zum <strong>und</strong> vor Gericht<br />

In der rechtssoziologischen Forschung ist bekannt, dass Rechtsdurchsetzung von bestimmten<br />

Zugangsbarrieren behindert wird. In Fällen der <strong>Diskriminierung</strong> wissen wir mit Blick<br />

auf sexualisierte Gewalt, dass eine Stigmatisierung der Opfer („blaming the victim“), ein<br />

„schlechter Ruf“ der Polizei, Staatsanwaltschaft <strong>und</strong> Gerichte als „verständnislos“, „männlich“<br />

usw. <strong>und</strong> auch das Unwissen <strong>und</strong> die daraus resultierende Unsicherheit der Betroffenen<br />

Ursachen dafür sind, sogar in Fällen der gewalttätigen Benachteiligung keinen Rechtsschutz<br />

zu suchen. Ähnliches gilt in Fällen der <strong>Diskriminierung</strong> aufgr<strong>und</strong> der sexuellen<br />

Belästigung <strong>und</strong> anderer <strong>Diskriminierung</strong>en in der Erwerbsarbeit 230 , in denen die sozialen<br />

Bindungen <strong>und</strong> Hierarchien im Arbeitsverhältnis ebenfalls dazu beitragen, Rechte nicht<br />

225 LArbG Berlin-Bbg. 10 Sa 555/08, Urteil v. 21.07.2008.<br />

226 Die Schwierigkeit, solche Fälle von potenziellen mehrdimensionalen Benachteiligungskonstellationen zu<br />

finden, spielt auch im EU-Vergleich eine Rolle, s. Burri/Schiek (2009), 13.<br />

227 Vgl. den Bericht zum Expertinnen- <strong>und</strong> Experten-Workshop zur Expertise.<br />

228 VG Frankfurt 9 L 3454/09.F, Beschluss v. 09.12.2009.<br />

229 Abfrage der Datenbanken des BVerfG, BVerwG <strong>und</strong> BGH sowie juris <strong>und</strong> beck-online mit den Schlagworten<br />

„Mehrfachdiskriminierung“, „mehrfach“, „intersektionell/-al“, „mehrdimensional“, „multip“,<br />

„verschränkte“, „additiv“, „doppelt“ jeweils kombiniert mit „<strong>Diskriminierung</strong>“, „Benachteiligung“ <strong>und</strong><br />

„Ungleichbehandlung“, „4 AGG“, „9 AGG“ <strong>und</strong> „27 AGG“.<br />

230 ADS (2010), 9.<br />

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