Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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institutionelle, konsultative <strong>und</strong> partizipatorische Gestaltung von Beratungsarbeit gegen<br />
<strong>Diskriminierung</strong> wichtig: Hier sollte verhindert werden, dass sich Menschen als Vertretung<br />
für eine <strong>Diskriminierung</strong> präsentieren müssen, also als Frau, als Migrant, als behindert<br />
usw., sondern es geht darum, sowohl die Spezifik einzelner <strong>Diskriminierung</strong>sstrukturen<br />
als auch diejenige individueller mehrdimensionaler Erfahrungen zu thematisieren.<br />
Ein Beispiel für die Herausforderungen, die darin liegen, ist wieder die Debatte um das<br />
muslimische Kopftuch in Deutschland: Wenn Gleichberechtigung im Geschlechterverhältnis<br />
zur Anforderung wird, die nur an Muslime oder „den Islam“ gestellt wird, finden emanzipierte<br />
Muslima keinen Ort, denn sie werden gezwungen, entweder auf der Seite „des Islam“<br />
zu stehen <strong>und</strong> damit keine Gleichberechtigung von Frauen zu fordern, oder aber „feministisch“<br />
zu „sein“, sich also gegen ihren Glauben zu stellen. 87 Wenn R<strong>und</strong>e Tische o. Ä. zu<br />
Fragen der „Integration“ usw. dann Muslime <strong>und</strong> Frauen gegeneinanderstellen, wird diese<br />
Stereotypisierung gefördert, anstatt <strong>Diskriminierung</strong> zu bekämpfen.<br />
2.2.4 Mehrfachdiskriminierung: „Multiple, compo<strong>und</strong> <strong>und</strong> intersectional<br />
discrimination“<br />
Der Rechtswissenschaftler Makkonen, Mitglied des von der Europäischen Kommission<br />
geprägten „European Network of Independent Experts in the Non-Discrimination Field“,<br />
hat ein weiteres Konzept vorgelegt, das auch von der Europäischen Kommission genutzt<br />
wird. 88 Er unterscheidet „multiple discrimination“, „compo<strong>und</strong> discrimination“ <strong>und</strong> „intersectional<br />
discrimination“ 89 als Oberbegriffe. „Multiple discrimination“ oder Mehrfachdiskriminierung<br />
meint nach Makkonen<br />
„a situation in which one person suffers from discrimination on several gro<strong>und</strong>s, but in a<br />
manner in which discrimination takes place on one gro<strong>und</strong> at a time“ 90 .<br />
„Multiple“ bezeichnet also eine Addition oder Akkumulation von <strong>Diskriminierung</strong> aus<br />
unterschiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Zeitpunkten bzw. an unterschiedlichen<br />
Orten. Als Beispiel nennt Makkonen die <strong>Diskriminierung</strong> einer Frau mit Behinderung beim<br />
Zugang zu Karriere aufgr<strong>und</strong> ihres Geschlechts <strong>und</strong> beim Zugang zu einem Gebäude aufgr<strong>und</strong><br />
ihrer Behinderung. Sozial verbinden sich diese Erfahrungen zu einer Lebenslage für<br />
eine Person. Anders als in dem Fall der rassistisch-sexistischen Kündigungspraxis, der bei<br />
Crenshaw im Vordergr<strong>und</strong> stand, sind hier jedoch unterschiedliche Zeitpunkte <strong>und</strong> Akteure<br />
von Bedeutung. Juristisch wären sie auch deshalb als zwei Fälle zu behandeln. Das Beispiel<br />
von Makkonen ist jedoch wichtig für die politische Kommunikation <strong>und</strong> die Aufklärungsarbeit<br />
gegen <strong>Diskriminierung</strong> sowie die Beratungspraxis <strong>und</strong> Organisationskulturen, die<br />
auf <strong>Diskriminierung</strong>sfreiheit setzen: Sie müssen alle Strukturen begreifen, die Benachteiligungen<br />
ausmachen. Makkonen konzipiert daneben die „compo<strong>und</strong> discrimination“ als<br />
87 Umgekehrt funktioniert das auch, aber mit weniger nachteiligen Folgen: Feministinnen sind gefordert,<br />
sich gegen Muslime zu stellen, <strong>und</strong> gelten als frauenfeindlich, wenn sie eine pauschale Kritik an fehlender<br />
Gleichberechtigung verweigern.<br />
88 Europäische Kommission (2007), 15<strong>–</strong>17.<br />
89 Zudem erwähnt er die „overlapping discrimination“ in Situationen, in denen mehrere <strong>Diskriminierung</strong>sgründe<br />
präsent sind, aber nicht gleichzeitig wirken. Das Beispiel (ein Unternehmen mit der informellen<br />
Politik, keine Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> keine Menschen mit Behinderung einzustellen) ist<br />
allerdings schon Beispiel für „compo<strong>und</strong> discrimination“, denn behinderte Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />
sind spezifisch betroffen. Makkonen (2002), 12.<br />
90 Makkonen (2002), 10.<br />
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