Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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erwerbstätig sein wollen <strong>und</strong> Bildung eine hohe Bedeutung zumessen, <strong>und</strong> dass alle Schü-<br />
lerinnen <strong>und</strong> Schüler mit geschlechtsbezogenen Vorurteilen auch der nicht-muslimischen<br />
Mehrheitsgesellschaft zu kämpfen haben. 6 Demgegenüber soll Antidiskriminierungsrecht<br />
dazu beitragen, Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft entgegentreten zu können. Daher<br />
wurde höchstrichterlich auch schon vor Inkrafttreten des AGG die Argumentation eines<br />
Arbeitgebers zurückgewiesen, K<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> K<strong>und</strong>en würden sich weniger gerne von<br />
einer Verkäuferin mit Kopftuch beraten lassen, weshalb man ihr kündigen dürfe7 : Stereotype<br />
dürfen <strong>Diskriminierung</strong> gerade nicht legitimieren.<br />
Schließlich gibt es Fälle, die als mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> angesehen werden,<br />
aber wieder andere Fragen aufwerfen: Ein Mann wird in eine Diskothek nicht eingelassen,<br />
weil er „arabisch“ aussieht. 8 Ist hier <strong>–</strong> nach § 1 AGG <strong>–</strong> die „Ethnizität“ Gr<strong>und</strong> der Benachteiligung?<br />
Oder das Geschlecht, weil der Mann nicht, aber alle Frauen eingelassen werden?<br />
Oder ist das (auch) eine sexistische Einlasspolitik, weil sie darauf setzt, dass Frauen (eines<br />
bestimmten Alters, Aussehens, ohne sichtbare Behinderung?) eine Disko „attraktiver“<br />
machen? Hier zeigt sich, dass in Situationen sozialer Ausgrenzung nicht nur unterschiedliche<br />
Dimensionen zusammenkommen, sondern diese auch nicht schlicht einen Unterschied<br />
machen, sondern in sich problematisch funktionieren. Im Fall der Diskothek geht es<br />
ja um mehr als um „Ausländerfeindlichkeit“ oder Geschlechterdifferenz. Multidimensionale<br />
<strong>Diskriminierung</strong> muss also genau verstanden werden, um beurteilen zu können, wie<br />
nicht zuletzt juristisch darauf reagiert werden muss.<br />
Das AGG selbst thematisiert mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> ausdrücklich nicht auf<br />
der Ebene des Tatbestandes, also des Vorliegens einer <strong>Diskriminierung</strong>. Vielmehr beschäftigt<br />
sich § 4 AGG mit der „unterschiedlichen Behandlung wegen mehrerer Gründe“ auf der<br />
Ebene der Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung. Eine unterschiedliche Behandlung<br />
wegen mehrerer der in § 1 AGG aufgezählten Ungleichheiten muss danach in Bezug auf<br />
jede einzelne Kategorisierung gerechtfertigt sein, um nicht das <strong>Diskriminierung</strong>sverbot zu<br />
verletzen. Desgleichen lässt sich § 9 AGG als Hinweis auf mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong><br />
verstehen: Umstritten <strong>und</strong> entsprechend unklar ist allerdings, inwieweit beim<br />
Zusammentreffen von Religion <strong>und</strong> anderen Ungleichheitskategorisierungen eine Rechtfertigung<br />
unter Hinweis auf das religiöse Selbstverständnis zulässig ist. 9 Das AGG regelt<br />
nicht ausdrücklich, welche Auswirkungen die Konstellation einer mehrdimensionalen<br />
<strong>Diskriminierung</strong> auf die Beweisanforderungen hat <strong>und</strong> welche Konsequenzen sich auf der<br />
Rechtsfolgenseite ergeben. Diese Fragen sind für eine künftig gute Praxis noch zu klären.<br />
Für eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Phänomen mehrdimensionaler <strong>Diskriminierung</strong><br />
ist zunächst allerdings eine Klärung von <strong>Begriffe</strong>n wie „mehrfache“, „verstärkende“,<br />
„mehrdimensionale“ <strong>und</strong> „intersektionelle <strong>Diskriminierung</strong>“ erforderlich. Zudem<br />
können verschiedene Konzepte von „Intersektionalität“ dabei helfen, genauer zu verstehen,<br />
welche Fragen gerade mehrdimensionale <strong>Diskriminierung</strong> für die juristische, beratende<br />
<strong>und</strong> politische Praxis aufwirft. So wird das Zusammenwirken von Kategorisierungen<br />
beispielsweise als „Achsen sozialer Ungleichheit“ beschrieben, als „Interdependenz“ oder<br />
eben als „Intersektionalität“.<br />
6 Berghahn/Rostock (2009).<br />
7 BAG 2 AZR 472/01, Urteil v. 10.10.2002, bestätigt vom BVerfG 1 BvR 792/03, Beschluss v. 30.07.2003.<br />
8 Dazu unten 4.4.3.<br />
9 Ausführungen zu § 9 AGG unten 3.<br />
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