Mehrdimensionale Diskriminierung – Begriffe, Theorien und ...
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4.4.4 Geschlecht, Behinderung, sexuelle Identität<br />
<strong>Mehrdimensionale</strong> <strong>Diskriminierung</strong> ist auch im Zusammentreffen von Geschlecht, Behin-<br />
derung <strong>und</strong> sexueller Identität Thema vor Gericht geworden. Allerdings wird juristisch<br />
nicht alles relevant. Das LArbG Berlin-Brandenburg271 beschreibt die Klägerin zunächst mit<br />
den Worten: „Die homosexuelle Klägerin ist mit einem GdB von 90 schwerbehindert“,<br />
nimmt im weiteren Verlauf der Entscheidung aber lediglich Bezug auf die Benachteiligung<br />
aufgr<strong>und</strong> der sexuellen Identität, ohne noch einmal auf Geschlecht oder eine Behinderung<br />
der Klägerin einzugehen.<br />
4.4.5 Geschlecht, Alter<br />
Zudem finden sich Entscheidungen zum Zusammentreffen von Geschlecht <strong>und</strong> Alter. In der<br />
erwähnten Entscheidung des VG Frankfurt 272 gibt das Gericht dem Antrag auf Erlass einer<br />
einstweiligen Anordnung der Antragstellerin wegen fehlerhafter Personalauswahl statt.<br />
Das Gericht sieht in der Auswahlentscheidung, in der die Antragstellerin trotz mindestens<br />
gleicher Eignung wie die ihres Mitbewerbers <strong>und</strong> hoher fachlicher sowie bemerkenswert<br />
ausgeprägter sozialer Kompetenzen nicht berücksichtigt wurde, einen Verstoß gegen<br />
Frauenfördermaßnahmen des Hessischen Gleichberechtigungsgesetzes <strong>und</strong> damit gegen<br />
das Benachteiligungsverbot u. a. des AGG. Zudem liege in der Entscheidung eine Benachteiligung<br />
der Antragstellerin aufgr<strong>und</strong> ihres Alters. Eine Auflistung der altersbezogenen<br />
Daten aller Bewerberinnen <strong>und</strong> Bewerber im Besetzungsbericht des Präsidenten des OLG<br />
sei ohne sachlichen Bezug <strong>und</strong> ohne Erkenntniswert. Zu vermuten sei, dass Präsident <strong>und</strong><br />
Ministerium in nicht unerheblicher Weise auf dieses Merkmal abstellten. Die Liste sei ein<br />
Indiz im Sinne des § 22 AGG.<br />
Das Gericht hat hier das AGG insgesamt im Blick. Es untersucht <strong>–</strong> obwohl die Antragstellerin<br />
nicht vorträgt, dass das Bewerbungsverfahren gegen altersspezifische Benachteiligungsverbote<br />
verstößt <strong>–</strong> eine Information, die die Antragstellerin wegen fehlender Kenntnis der<br />
Unterlagen gar nicht vorbringen konnte. Allerdings werden beide Kategorisierungen dann<br />
getrennt von einander behandelt, also die spezifische Mehrdimensionalität des Zusammen-<br />
treffens von Alter <strong>und</strong> Geschlecht, die Frauen bei typisch weiblichen Biografien nachteiliger<br />
trifft als Männer, nicht gesehen.<br />
4.4.6 Zwischenfazit<br />
Insgesamt verdeutlichen die Entscheidungen, dass Gerichte einzelne oder auch mehrere<br />
<strong>Diskriminierung</strong>skategorisierungen in mehrdimensionalen Sachverhalten nicht erkennen<br />
oder dann juristisch nicht anerkennen <strong>und</strong> dass eine umfassende Untersuchung wie in der<br />
zuletzt erwähnten Entscheidung bislang die Ausnahme ist.<br />
Es ist zu vermuten, dass die Systematik der Beweiserleichterung des § 22 AGG nicht zur<br />
Anwendung kommt. Die Norm enthält eine Senkung des Beweismaßes mit anschließender<br />
Verlagerung der Beweislast, womit eine Benachteiligung nicht zur vollen Überzeugung des<br />
271 LArbG Berlin-Bbg. 10 Sa 555/08, Urteil v. 21.07.2008.<br />
272 VG Frankfurt 9 L 3454/09.F, Beschluss v. 09.12.2009. Bezüglich der gleichen Kategorisierungen vgl. ArbG<br />
Stuttgart 29 Ca 2793/07, Urteil v. 05.09.2007, in dem das Gericht die geschlechtsspezifische <strong>Diskriminierung</strong><br />
anerkennt, das Unternehmen sich aber von der Vermutung der altersbezogenen Benachteiligung entlasten<br />
kann.<br />
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