279.tirol
Ausgabe 1, August 2020
Ausgabe 1, August 2020
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tirol.kultur<br />
73<br />
Steidl Verlag<br />
Juni 2020<br />
240 Seiten, € 34,-<br />
ISCHGL<br />
LOIS HECHENBLAIKNER<br />
Der renommierte Tiroler Fotograf Lois<br />
Hechenblaikner hat einmal mehr einen<br />
beeindruckenden Bildband vorgelegt.<br />
Diesmal, dem aktuellen Anlass entsprechend,<br />
über den Corona-Hotspot Ischgl.<br />
Seine Aufnahmen zeigen – im Zeitraum<br />
von 26 Jahren – die Auswüchse<br />
des Tourismus in diesem Wintersportort.<br />
Unglaubliche Fotos, schockierende<br />
Bilder, für sich sprechende Aufnahmen.<br />
Deswegen war es auch nicht nötig, diese<br />
mit Bildunterschriften zu versehen.<br />
Hechenblaikner richtet seine Kamera so<br />
zielgenau auf das Treiben im Schnee,<br />
dass die Fotos für sich stehen, keiner<br />
weiteren Worte bedürfen. Und ja, natürlich,<br />
diese öffentlichen Saufgelage, diese<br />
touristischen Auswüchse bedürfen zweierlei:<br />
eines entsprechenden Angebotes,<br />
gleichzeitig vieler Menschen, die dieses<br />
auch nutzen. In Ischgl ist beides zuhauf<br />
vorhanden.<br />
Zwischen Juli 1942 und Oktober 1943 wurden<br />
in den Vernichtungslagern Treblinka,<br />
Sobibor und Belzec mindestens 1,5 Millionen<br />
Jüdinnen und Juden ermordet. Der<br />
harmlose Name für diese systematische<br />
Ermordung von Menschen: „Aktion Reinhard“.<br />
Über viele Umwege gelangten nun<br />
die Fotos von Johann Niemann, stellvertretendem<br />
Lagerkommandanten von Sobibor,<br />
an die Öffentlichkeit. Darüber wird in diesem<br />
ausgezeichnet recherchierten Buch<br />
detailliert berichtet. Mit wissenschaftlicher<br />
Genauigkeit, mit vielen Zahlen, Daten, Fakten.<br />
Vor allem aber auch mit Aussagen<br />
Überlebender, nachgezeichneten Einzelschicksalen,<br />
die der Geschichte erst ihr<br />
ganz persönliches Gesicht geben.<br />
Bemerkenswert an diesen Fotos aus dem<br />
Vernichtungslager Sobibor: sie zeigen die<br />
Selbstherrlichkeit, die lockere Entspanntheit<br />
der Täter, allen voran von Johann Niemann.<br />
Gleichzeitig verschweigen sie das<br />
unsagbare Leid, die unglaubliche Angst,<br />
das grauenhafte Elend der Hunderttausenden<br />
Opfer. Und Sie verschweigen den<br />
Kontext, die Umstände, unter denen diese<br />
Bilder aufgenommen wurden. Ein uneingeschränkt<br />
empfehlenswertes Buch, das<br />
über die Fotos die eine Seite der Medaille<br />
zeigt. Und über den ausgezeichneten<br />
Inhalt, die erklärenden Texte, die schreckliche<br />
andere.<br />
Und dann kam Corona, Covid-19, mit<br />
Ischgl als Zentrum. Während die Tiroler<br />
Politik relativierte, die Hände in Unschuld<br />
wusch und ohnehin alles richtig machte,<br />
zeigt Hechenblaikner mit seinen Bildern<br />
die schrille, die laute, die grausliche<br />
Realität. Von gestern, von heute,<br />
wohl auch wieder von morgen. Selbiges<br />
hat er freilich auch mit seinen anderen<br />
Büchern – Hinter den Bergen, Volksmusik<br />
– gemacht. Dass er damit in Tirol recht<br />
oft als „Nestbeschmutzer“ tituliert, überall<br />
sonst hingegen geachtet und respektiert<br />
wird, spricht wohl für ihn. Ein Buch,<br />
das deshalb vor allem auch in und für<br />
Tirol uneingeschränkt zu empfehlen ist.<br />
Metropol Verlag<br />
Jänner 2020<br />
382 Seiten, € 29,-<br />
FOTOS<br />
AUS SOBIBOR