VEGAN für mich 02/2023

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menschen / Interview Auf einen Tee … mit Hilal Sezgin In dieser Serie befragt Chefredakteur Dirk Müller Persönlichkeiten aus der veganen Welt. Im Vordergrund stehen inspirierende Lebensläufe HILAL SEZGIN, 52 … studierte Philosophie, war mehrere Jahre Redakteurin im Feuilleton der „Frankfurter Rundschau“ (FR) und zog 2007 in die Lüneburger Heide. Von dort arbeitet sie als freie Autorin und veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter „Artgerecht ist nur die Freiheit“ und „Tiere wollen leben!“ Viele Jahre schrieb sie die Kolumne „Meine Tiere“ für FR und „Berliner Zeitung“. Hilal Sezgin schreibt für zahlreiche überregionale Medien und ist u. a. Mitglied der Jury der Sachbuch-Bestenliste von ZEIT, ZDF und DLF Kultur. Liebe Hilal, wir starten wie immer mit der Lieblingstee- Frage. Hast du einen solchen und wenn ja, welchen? Ich trinke die ganze Palette an Tee, am liebsten Grüntee, der mit allerlei Blüten und Früchten aromatisiert ist. Je mehr Aroma und je mehr Tee, desto besser. In deinen Büchern stellst du immer wieder die Frage, ob wir Tiere einsperren, töten und essen oder anderweitig „nutzen“ dürfen. Insbesondere dein philosophisch und wissenschaftlich sehr fundiertes Buch „Artgerecht ist nur die Freiheit“ hat vielen Menschen die Augen geöffnet. Ich hoffe es. Meine Antwort ist jedenfalls eindeutig. Tierethik ist heute – glücklicherweise – kein Randthema mehr, sondern wird von immer mehr Menschen als Teil einer Ethik verstanden, deren Grundsätze sich auf das Leben von Menschen und Tieren gleichermaßen anwenden lassen. Das schließt ein Lebensrecht für alle empfindungsfähigen Lebewesen ausdrücklich mit ein. So viele Jahrhunderte lang haben uns Philosophie, Theologie und Biologie eine sonderbare, simple, immer nur auf den Menschen bezogene Vorstellung von Tieren nahegelegt, dass es lange dauert, sie zu durchschauen und durch adäquateres Wissen zu ersetzen. Heute ist das öffentliche Bewusstsein dahingehend größer als 2014, als das Buch erschien. Und doch haben wir noch einen langen Weg vor uns. Man kann dir jedenfalls nicht vorwerfen, eine theoretische Debatte ohne praktische Erfahrungen zu führen, da du bereits seit 2007 einen Lebenshof führst, der damals aus einer jungen Schafherde bestand … FOTO: Anne Strotmann, pr 14 Vegan für mich 2. 2023
Ja, als ich damals in die Lüneburger Heide zog, bin ich recht plötzlich in diese Verantwortung reingerutscht, zwischenzeitlich für bis zu 80 Schafe, Ziegen, Hühner und Gänse. 365 Tage im Jahr, bis heute. Mittlerweile ist die Herde gealtert und auf 19 Schafe und eine Ziege geschrumpft, aber in diesem Altern zeigen sich auch neue Facetten des Lebens. Ein Lamm ist süß und liebenswert, aber ein altes Schaf eben auch. Und es hat eine eigene Würde, auch wenn es alles langsamer und bedächtiger angeht. Jedes Tier hat seine eigene Persönlichkeit, Eigenheiten, Vorlieben und Abneigungen. In deinem neuen Buch „Vom fordernden und beglückenden Leben mit Tieren“ beschreibst du den Alltag mit deinen Tieren, ihr Altern, ihre Erlebnisse und Bedürfnisse… – und bleibst dabei deiner klaren, pointierten, warmherzigen Sprache treu. Was hat dich dazu bewegt, genau dieses Buch zu schreiben? Ich wollte dieses Buch schon lange schreiben, eigentlich seit ich dieses Älterwerden beobachte, exemplarisch an meinen Tieren, aber auch an mir selbst und vielen Menschen in meinem Lebensumfeld. Alternde Lebewesen haben andere Bedürfnisse, das wird in unserer Gesellschaft leider immer noch oft verdrängt oder übersehen. Das Buch „Beasts of Burden“ von Sunaura Taylor kann ich hierzu sehr empfehlen. Behinderung, Kranksein und Altern „Es ist nicht immer glorreich, so lange wie möglich gegen den Verfall anzukämpfen.“ sind mit Mensch- und Tiergerechtigkeit eng verwoben – das zu verdeutlichen ist auch der Ansatz meines Buchs und es ist genau das, was ich täglich erlebe; auch durch meine eigene MS-Erkrankung. In deinem neuen Buch berichtest du von dramatischen Gänse-Schwimmausflügen, Fahrten mit dem Schafskrankenwagen, einer aus dem Ruder gelaufenen Schneckenrettungsaktion… – aber auch von den täglichen Aufgaben, die ja irgendwie nie ein Ende nehmen. Wie bewältigst du das alles, auch angesichts dieser Erkrankung? Ich habe mittlerweile glücklicherweise ein Netzwerk an Helfer*innen, einer von ihnen ist seit gut zwei Jahren fast jeden Nachmittag hier – und meine eigene Krankheit schränkt mich momentan nicht so sehr ein. Alte Tiere sind einfach viel pflegebedürftiger, und es ist nicht immer einfach, den Überblick zu behalten zwischen all dem Blauspray, der Gartenschere, Klauenschere, Verbandsschere, den Polsterverbänden, Mullbinden, Medikamenten, Infusionslösungen, Bandagen, Verbänden, Augentropfen, Zinksalbe, Latexhandschuhen, dem Klemmbord, auf dem verzeichnet ist, welche Füße wann wieder behandelt werden müssen, und dem ganzen anderen Kram… Es ist toll, zu einem Lebenshof beitragen zu dürfen, aber das Meiste ist halt ganz alltäglicher und oft sehr profaner Alltagskram. Es ist nicht immer glorreich, so lange wie möglich gegen den Verfall anzukämpfen. Und was geschieht eigentlich, wenn ein Tier dann doch stirbt? Tierarzt und Tierärztinnen sind regelmäßig hier, es gibt auch eine Spezialistin für Augen, und mehrfach im Jahr müssen bei den Seniorenschafen die Zähne überprüft werden. Beerdigen darf man die Toten leider nicht, es kommt eine Firma zum Abholen. Das ist zumeist ein sehr unwürdiges Ereignis… Allerdings: Einmal kam der Fahrer mit seinem Lkw nicht ganz bis zum Hof heran, also packte ich mein verstorbenes Schaf in eine Schubkarre und ging ihm entgegen. Zu der Zeit hatte ich eine Baustelle mit einem Haufen Bauarbeitern vor der Tür. Und rate mal, wie die reagiert haben, als ich mit der Schubkarre an denen vorbei bin… Sie haben einfach weitergearbeitet? Oder schlimmer noch, blöde Witze gemacht? Weder noch. Sie haben ihre Arbeit unterbrochen, die Maschinen standen still. Sicherlich waren das Fleischesser, dennoch zeigten sie dem verstorbenen Tier hier intuitiv ihren Respekt. Das sind solche Momente, die mich in meiner Arbeit bestärken, auch als Tierrechtlerin und Veganerin. Man darf einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Dem möchte ich mich anschließen! Noch eine letzte Frage: Wie lange lebst du eigentlich schon vegan? Ich wurde mit 13 Vegetarierin, meine Mutter hat sich damals gleich angeschlossen und mein Vater ein Jahr später. Meine Eltern waren sehr tierlieb und haben mir das auch vorgelebt. Vegan wurde ich vor etwa zwölf Jahren, als mir klar wurde, was wir den Tieren auch in der Milchwirtschaft antun, etwa wenn die Kälbchen ihren Müttern weggenommen werden und die Mütter tagelang nach ihren Kindern rufen. Was gibt es für Mütter Schlimmeres, als ihnen einfach ihre Kinder wegzunehmen? Aber bitte versteh mich nicht falsch: Ich habe meine Zuversicht nicht verloren und wollte auch kein Depri-Buch schreiben. Depri ist es definitiv nicht geworden! Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute! „Vom fordernden und beglückenden Leben mit Tieren“, Knesebeck, 24 Euro 2. 2023 Vegan für mich 15
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