MAGNIFICAT Juni 2023

335
Thema des Monats
Herz und Hand
„Dû bist beslozzen / in mînem herzen: / verlorn ist
daz slüzzelîn: / du muost immer drinne sin.“
Die mittelalterliche Liebesdichtung bildet einen ersten Höhepunkt
in der europäischen Karriere des über die christliche
Spätantike vermittelten Begriffs Herz. Im Alltagsleben, in Dichtung
und Kunst wurde das Herz eines der wichtigsten Symbole
der Liebe. In der Geschichte der Philosophie gilt es als Sitz der
Seele, des Lebens, des Denk- und Gedächtnisvermögens. Als personale
Mitte des Menschen wird es zum Träger einer Fülle metaphorischer
und symbolischer Bedeutungen. Nicht selten wurde
jedoch die polarisierende Gegenüberstellung, ja der konflikthafte
Gegensatz zwischen Herz und Kopf, Herz und Verstand, Herz
und Hand bestimmend. Die Bibel führt uns auf eine andere Spur.
Das Innere des Menschen
Herz bezeichnet das zentrale Organ des Menschen, dessen unumkehrbarer
Ausfall dem Leben ein Ende setzt. Chronische
Herz-Kreislauf-Krankheiten gehören hierzulande zu den häufigsten
Todesursachen. Bei der biblischen Rede vom Herzen (hebräisch
leb / lebab, griechisch kardia, lateinisch cor) steht nicht
der physiologisch-anatomische Blick im Vordergrund. Das Organ,
von dem unser Leben und unsere Gesundheit maßgeblich abhängen,
bildet gewiss den Haftpunkt; im hebräischen Verständnis bezeichnet
„Herz“ aber auch den von den Rippen umschlossenen
Brustraum (2 Kön 9, 24) und steht damit für das Innere des Menschen
(1 Sam 16, 7), seine Mitte, die Person (vgl. auch Mt 5, 8).
Entsprechend sind die Funktionen, die dem Herzen in leiblicher,
seelischer und geistiger Hinsicht zugesprochen werden, überaus
vielfältig und schließen kognitive Leistungen ein. Im übertragenen
Sinn kann das Herz symbolisch für den Mittelpunkt einer