WELLBEING/ ERNÄHRUNG NAHRUNGS- ERGÄNZUNGSMITTEL Warum viele Vitaminpräparate lediglich „teuren Urin“ produzieren Eine Brausetablette im Wasserglas auflösen, austrinken, fertig. So stellen sich viele Männer die tägliche Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen vor. Aber funktionieren Vitaminpräparate wirklich? Wir haben mit einem renommierten Ernährungswissenschaftler gesprochen und ernüchternde Antworten bekommen. Autor: Martin Lewicki 76 3/20<strong>23</strong>
Die Einnahme von Vitaminpräparaten ist umstritten. Zum einen, weil sie oft nach Gefühl eingenommen werden und nicht, weil ein Mangelzustand vom Arzt diagnostiziert wurde. So besteht die Gefahr einer Überdosierung. Zum anderen ist die Wirksamkeit meist nur dann gegeben, wenn auch ein Mangelzustand besteht. Doch dieser ist insbesondere in Deutschland bei einer ausgewogenen und nährstoffreichen Ernährung relativ selten. Es gibt aber einzelne Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer Lebensumstände oder besonderen Ernährungsweise einen Mangel an bestimmten Nährstoffen entwickeln können. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) kommt es beispielsweise bei Menschen, die sich ausschließlich pflanzlich ernähren, häufig zu einem Vitamin-B12-Mangel. Denn dieses Vitamin kommt in einer für Menschen verfügbaren Form fast nur in tierischen Lebensmitteln vor. Deswegen rät die DGE Veganern zur Einnahme eines Vitamin-B12-Präparats. Als weitere kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung stuft die DGE einige essentielle Aminosäuren und Omega- 3-Fettsäuren sowie Mineralstoffe wie Kalzium, Eisen, Jod, Zink, Selen und die Vitamine Riboflavin sowie Vitamin D. Deswegen sollten Veganer ihr Blut regelmäßig kontrollieren lassen, um Mangelerscheinungen vorzubeugen. Die Einnahme von Präparaten sollte aber nur in Abstimmung mit einem Arzt erfolgen. Laut aktuellen Umfragen liegt der Bevölkerungsanteil von Menschen, die sich überwiegend vegan ernähren bei rund zwei Prozent. Die DGE weist darauf hin, dass Menschen, die auf eine Mischkost aus Gemüse, Obst, Fisch, Hülsenfrüchten, pflanzlichen Ölen und tierischen Produkten setzen, weder rauchen noch übermäßig viel Alkohol trinken, eine geringe Wahrscheinlichkeit für einer Unterversorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen haben. Zu den weiteren Risikogruppen zählen möglicherweise HIV-Patienten. Untersuchungen der Universität Bonn haben gezeigt, dass diese Bevölkerungsgruppe häufig einen Vitamin-D-Mangel entwickelt, der in Verbindung mit einer HIV-Therapie und den damit Verbundenen Nebenwirkungen zu einer Abnahme der Knochendichte führen kann. So entwickeln HIV-Patienten häufiger Osteoporose als HIV-negative und haben dadurch ein höheres Risiko für Knochenbrüche. Vitamin D ist aber auch für ein gesundes Immunsystem und psychisches Wohlbefinden wichtig. Deswegen sollten HIV-Patienten insbesondere dieses Vitamin im Auge behalten. Klarheit, ob ein Mangel besteht, schafft nur ein Blutbild beim Arzt. So kann festgestellt werden, ob beispielsweise Eisen-, Vitamin-D- oder B12-Mangel vorliegen. Auch, wer sich über einen längeren Zeitraum erschöpft fühlt, unter Schlafproblemen und depressiven Verstimmungen leidet oder häufiger krank ist, sollte sein Blut untersuchen lassen. VORSICHT BEI FREI VERKÄUFLICHEN NAHRUNGSERGÄNZUNGSMITTELN Greift man ohne ärztliche Diagnose zu einem Nahrungsergänzungsmittel aus der Drogerie, ist der Blick auf die Inhaltsstoffe Pflicht. Hier gilt: Je kürzer die Liste, desto besser. Denn leider enthalten viele Pillen und Brausetabletten unnötige Füllstoffe, künstliche Süßstoffe, Farbstoffe, Aromen und Konservierungsstoffe. Besonders umstritten ist die Einnahme von sogenannten Antioxidantien, die freie Radikale im Blut bekämpfen sollen. In einer groß angelegten Meta-Analyse aus dem Jahr 2012 wurden mehrere Studien 77