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männer* | III/23

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Schuppenflechte verbindet man landläufig<br />

glaube ich weniger mit Rheuma …<br />

Ja, total. Die Schuppenflechte an und für<br />

sich ist eine Erkrankung, die eigentlich<br />

beim Dermatologen beim Hautarzt behandelt<br />

wird in Deutschland, aber es gibt dabei<br />

immer wieder sehr viele Assoziationen mit<br />

Gelenk- und Wirbelsäulenerscheinungen,<br />

die eigentlich rheumatologisch vorgestellt<br />

werden sollten.<br />

Wie sind deine Erfahrungen mit Stigmatisierung?<br />

Schuppenflechte wird ja oft auch<br />

als „bäh“ lieber totgeschwiegen …<br />

In der Uniklinik, in der ich meine Ausbildung<br />

gemacht habe, hatte ich eine interessante<br />

Position. Ich war dort gleichzeitig in<br />

der Rheumatologie, aber auch in der Infektiologie.<br />

Beide Abteilungen waren auf dem<br />

gleichen Flur. Ich habe da manchmal schon<br />

Berührungsängste wahrgenommen in der<br />

Rheumatologie. Ich hatte einmal einen<br />

Patienten, da hatte meine Kollegin mich<br />

dann gefragt ‚du da steht aber, der war in<br />

der Gaysauna, ich will den eigentlich nicht<br />

sehen. Das ist mir irgendwie unangenehm’.<br />

Auch wenn es um HIV geht zum Beispiel,<br />

nehme ich wahr, dass da gewisse Berührungsängste<br />

sind. Dass die Rheumatologen<br />

schnell sagen, ‚ach, die Gelenkentzündung<br />

hat bestimmt etwas mit HIV zu tun, das soll<br />

mal der HIV-Facharzt machen‘. Andersrum<br />

haben viele HIV-Behandler von den<br />

modernen Entwicklungen in der Rheumatologie<br />

teils wenige Kenntnisse und das ist<br />

sicher ein Nachteil, zu mal die neuen und<br />

modernen Medikamente dann nur mit sehr<br />

großer Zurückhaltung eingesetzt werden,<br />

obwohl auch HIV-Positive sehr profitieren<br />

würden. Also ich sehe in beide Richtungen<br />

durchaus Überlappungsprobleme und Berührungsängste.<br />

Dann bist du im ICH Hamburg-Stendal<br />

ja wirklich an einer guten Position, um<br />

hier Brücken zu bauen zum Wohl der<br />

Patient*innen. Aber nochmal zurück: Warum<br />

wird man gerade in der Ärzteschaft<br />

Stigmata nicht los?<br />

Ich glaube, weil sich das so tief eingebrannt<br />

hat. Ich habe einige Zeit in Vorträgen gerne<br />

Poster gezeigt. Die sind gar nicht so alt. Da<br />

sieht man dann ein Paar in der Leichenhalle<br />

oder wie eine Frau einem Mann<br />

einen bläst, aber anstatt des Penis sieht<br />

man eine Pistole. Solche Bilder und die<br />

damit transportierte Problematik ist so tief<br />

eingebrannt, das HIV etwas Schmutziges<br />

ist, das wird man wirklich nicht los. Selbst<br />

bei jungen Menschen nicht. Ich hatte letzte<br />

Woche einen ganz jungen Menschen mit<br />

einer neuen HIV-Diagnose. Ein schwuler<br />

junger Mann, der mir sagt, er fühle sich<br />

schmutzig. Es wundert mich, dass das so<br />

tief drin in unserer Gesellschaft, aber klar<br />

ist dann auch, das sich das natürlich in die<br />

vielleicht auch etwas konservativeren Teile<br />

der Ärzteschaft reinzieht.<br />

Rheuma wird aber umgekehrt nicht als so<br />

schmutzig stigmatisiert, oder?<br />

Kommt drauf an. Wenn du die Schuppenflechte<br />

nimmst, die vielleicht am Kopf ganz<br />

schlimm ausgebrochen ist, dann hat sie<br />

schon das Image, dass man sich nicht gut<br />

pflegt und nicht wäscht oder sowas. Es gibt<br />

auch eine Rheumaform, die unter MSM<br />

und auch bei uns in der Praxis häufiger<br />

auftaucht. Die reaktive Arthritis tritt oftmals<br />

nach Geschlechtskrankheiten auf. Früher<br />

nannte man sie Morbus Reiter, aber Herr<br />

Reiter war tatsächlich eine dieser problematischen<br />

Personen. Der hat mit den Nazis<br />

zusammengearbeitet. Also reaktive Arthritis<br />

zeigt sich in Knieentzündungen oder auch<br />

Entzündungen der Sprunggelenke, die<br />

so ungefähr sechs Wochen nach einer<br />

Geschlechtskrankheit auftreten. Die gibt es<br />

zwar auch noch nach Durchfallerkrankungen,<br />

aber typischerweise eben nach Tripper<br />

oder Chlamydien. Das taucht dann gar nicht<br />

mal so selten bei Menschen auf, die die<br />

PrEP nehmen und so schließt sich auch da<br />

wieder der Kreis zwischen „schmutzigen“<br />

STI und Rheumaerkrankungen.. Wir haben<br />

noch viel zu tun in Sachen Stigma.<br />

*Interview: Christian Knuth<br />

ich-hamburg-stendal.de<br />

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