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K1<br />
Samstag, 2. Juli, 17:00<br />
Quasseln statt informieren? – Vom Sinn und Unsinn der vielen Fernseh-Talkshows<br />
Eine Fernseh-Arena mit Designer-Sitzgelgenheiten, mal mit, mal ohne Tisch, dazu zwei bis fünf Gäste, eine wohldosierte<br />
Prise Einspielfilme und natürlich ein wissender, schlagfertiger Talkmaster – fertig ist die politische Talkshow.<br />
In den öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehkanälen dieser Republik vergeht kein Tag ohne.<br />
Aber wem nutzt das am Ende? In Richtung ARD wird die Kritik lauter, die anstehende Talkshowflut gefährde gar<br />
den öffentlich-rechtlichen Programmauftrag, weil so andere Sendeformate auf unpopuläre Sendeplätze verdrängt<br />
würden. Aber was kann, was soll eine zeitgemäße Talkshow eigentlich leisten? Über die Zukunft der politischen<br />
Talkshows diskutieren Thomas Baumann/ARD-Chefredakteur, Nikolaus Brender/ehem. ZFD-Chefredakteur, Jutta<br />
Ditfurth/‘kritischer Talkshow-Gast, Bernd Gäbler/Medienjournalist und Matthias Pfeffer/Redaktionsleiter „Eins<br />
gegen Eins“, es moderiert Lutz Hachmeister.<br />
Mit: Bernd Gäbler, Jutta Ditfurth, Lutz Hachmeister, Matthias Pfeffer, Nikolaus Brender, Thomas Baumann<br />
Leitfragen:<br />
Aus welchen Gründen mehren sich Ihrer Meinung nach seit einigen Jahren Talkshows auf allen Kanälen bzw. –<br />
dort besonders stark diskutiert – bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ?<br />
Stichwort öffentlich-rechtlicher Programmauftrag: Inwiefern gefährdet die Talkshow-Flut diesen Auftrag durch die<br />
Verdrängung anderer Sendeformate auf Dauer?<br />
Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die wenigen politisch und kulturell informierenden Magazin-Sendungen im<br />
Umfeld der vielen Talkshows und Unterhaltungsformate von den Zuschauern immer stärker als Fremdkörper<br />
empfunden werden könnte?<br />
Welche Auswirkungen haben Talkshows auf den Umgang mit <strong>Themen</strong> in anderen Formaten der Programme?<br />
Inwieweit findet beispielsweise eine ‚Verschwendung‘ von Argumenten und Köpfen statt?<br />
Was soll, was kann eine zeitgemäße informationsbasierte Talkshow leisten?<br />
Müssen Talkshows neue Akzente setzen oder vorrangig das thematisieren, worüber alle reden?<br />
Wie kann, wie soll, Ihrer Meinung nach die Zukunft der Talkshows aussehen?<br />
Welches Talkshow-Erlebnis bzw. -Ereignis ist Ihnen als Zuschauer, Gast oder Macher besonders positiv oder<br />
negativ in Erinnerung?<br />
--<br />
THOMAS BAUMANN, ARD-Chefredakteur<br />
Aus welchen Gründen mehren sich Ihrer Meinung nach seit einigen Jahren Talkshows auf allen Kanälen bzw. –<br />
dort besonders stark diskutiert – bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ?<br />
Gesprächssendungen kommen beim Publikum sehr gut an. Wir bieten dem Publikum an, was es offensichtlich<br />
sehen möchte.<br />
Stichwort öffentlich-rechtlicher Programmauftrag: Inwiefern gefährdet die Talkshow-Flut diesen Auftrag durch die<br />
Verdrängung anderer Sendeformate auf Dauer?<br />
Unser Programmauftrag beinhaltet „informieren, bilden, beraten und unterhalten“. Genau das leisten auch<br />
unsere Gesprächssendungen. Der Programmauftrag wird also nicht gefährdet, sondern umgesetzt. Die<br />
Ausweitung der Gesprächsformate hat andere Formate nicht verdrängt.<br />
Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die wenigen politisch und kulturell informierenden Magazin-Sendungen im<br />
Umfeld der vielen Talkshows und Unterhaltungsformate von den Zuschauern immer stärker als Fremdkörper<br />
empfunden werden könnte?<br />
Unsere Gesprächsformate haben die politisch und kulturell informierenden Magazin-Sendungen auf neue<br />
Sendeplätze verschoben, die aber keineswegs schlechter sind als die ursprünglichen. Es gibt kein Indiz dafür,<br />
dass das Publikum unsere Magazinsendungen stärker als Fremdkörper empfindet. „titel-thesen-temperamente“<br />
zum Beispiel erfreut sich in der Folge von „Anne Will“ am späten Sonntagabend wachsenden Zuspruchs.<br />
Welche Auswirkungen haben Talkshows auf den Umgang mit <strong>Themen</strong> in anderen Formaten der Programme?<br />
Inwieweit findet beispielsweise eine ‚Verschwendung‘ von Argumenten und Köpfen statt?<br />
Unsere Nachrichtenmagazine bleiben selbstverständlich tagesaktuell und richten sich in keiner Weise nach den<br />
Gesprächssendungen aus. Unsere politischen Magazine setzen vielfach nach investigativen <strong>Recherche</strong>n ganz<br />
neue <strong>Themen</strong> oder nehmen zu existierenden <strong>Themen</strong> „Tiefenbohrungen filmischer Art“ vor. Insofern gibt es keine<br />
Verschwendung. Natürlich kann es an der einen oder anderen Stelle eine gewisse Redundanz von Köpfen und<br />
Argumenten geben. Wir sollten aber nicht davon ausgehen, dass unser Publikum alle Sendungen des Ersten<br />
sieht. Insofern ist diese Redundanz hinnehmbar.<br />
Was soll, was kann eine zeitgemäße informationsbasierte Talkshow leisten?<br />
Sie soll informieren, bilden, unterhalten und beraten. Je nach Thema in unterschiedlicher Gewichtung. Sie soll vor<br />
allem bei strittigen <strong>Themen</strong> Argumentationslinien klar machen.<br />
Müssen Talkshows neue Akzente setzen oder vorrangig das thematisieren, worüber alle reden?<br />
Das ist von der Nachrichtenlage abhängig. Wenn Herr zu Guttenberg zurücktritt oder eine nukleare Katastrophe<br />
stattfindet, macht es keinen Sinn, andere <strong>Themen</strong> aufzurufen, für die sich in diesem Moment kaum jemand<br />
interessiert. Vorrangig sollen Gesprächssendungen die <strong>Themen</strong> der Zeit aufgreifen. Selbstverständlich sollen sie<br />
darüber hinaus auch eigene <strong>Themen</strong> setzen. Übrigens können Gesprächssendungen auch zu <strong>Themen</strong>, die in aller<br />
Munde sind, neue Akzente setzen.<br />
Wie kann, wie soll, Ihrer Meinung nach die Zukunft der Talkshows aussehen?<br />
Gesprächssendungen werden den Journalismus nicht neu erfinden. Sie werden auchin hoher Schlagzahl solange<br />
akzeptiert werden, wie sie dem Publikum einen Mehrwert bieten – an Information und Unterhaltung. Quasselei<br />
würde nicht geduldet.<br />
Welches Talkshow-Erlebnis bzw. -Ereignis ist Ihnen als Zuschauer, Gast oder Macher besonders positiv oder<br />
negativ in Erinnerung?<br />
Negativ, wenn ab und an minutenlang mehrere Gäste so wild durcheinander oder an einander vorbei sprechen,<br />
dass ich nicht weiß, wer nun wofür steht. Positiv: dass wir immer wieder neue interessante Gäste entdecken:<br />
nehmen Sie beispielsweise den Wissenschaftsjournalisten Werner Eckert oder den ägyptischen Politologen<br />
Hamed-Abdel Samad.<br />
--<br />
BERND GÄBLER, Publizist und Medienwissenschaftler<br />
Aus welchen Gründen mehren sich Ihrer Meinung nach seit einigen Jahren Talkshows auf allen Kanälen bzw. –<br />
dort besonders stark diskutiert – bei den öffentlich-rechtlichen Sendern ?<br />
Weil sie relativ günstig zu produzieren sind und das redaktionelle Know-how wunderbar ausgelagert werden<br />
kann. Außerdem stimmen die Quoten, so dass Aufwand und Ertrag in einem quantitativ günstigen Verhältnis<br />
zueinender stehen. Aber: Inflation heißt Entwertung.<br />
Stichwort öffentlich-rechtlicher Programmauftrag: Inwiefern gefährdet die Talkshow-Flut diesen Auftrag durch die<br />
Verdrängung anderer Sendeformate auf Dauer?<br />
Die Talkshow schafft von sich selbst die Illusion, sie sei eine zentrale Institution der Politikvermittlung.<br />
Interessante andere Formen – das ausführliche Portrait, die Langzeitbeobachtung, der Dokumentarfilm,<br />
allgemeiner gesagt: die Filmkunst als Mittel der Aufklärung – werden darüber an den Rand gedrängt.<br />
Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass die wenigen politisch und kulturell informierenden Magazin-Sendungen im<br />
Umfeld der vielen Talkshows und Unterhaltungsformate von den Zuschauern immer stärker als Fremdkörper<br />
empfunden werden könnte?<br />
Das ist keine Gefahr, sondern längst eingetreten. Viele Magazin-Sendungen sind ohnehin zu einer Mischung aus<br />
aufgeblasenen Skandälchen, Verbrauchertipps und Boulevard-Reportagen geworden.<br />
Welche Auswirkungen haben Talkshows auf den Umgang mit <strong>Themen</strong> inanderen Formaten der Programme?<br />
Inwieweit findet beispielsweise eine ‚Verschwendung‘ von Argumenten und Köpfen statt?<br />
Würde heute einer das „Kreuzfeuer“ reanimieren wollen – die Politiker würde einfach nicht kommen.<br />
Was soll, was kann eine zeitgemäße informationsbasierte Talkshow leisten?<br />
Im Idealfall Zukunftsfragen offen argumentativ durchdringen und das Personal, das sich daran versucht, leichter<br />
durchschaubar machen.<br />
Müssen Talkshows neue Akzente setzen oder vorrangig das thematisieren, worüber alle reden?<br />
Wenn ein Thema längst populär ist und die Meinungsfronten klar sind, dann „funktioniert“ das Ganze auch in der<br />
klassischen Fernseh-Talkshow. Es ist eine Distributionsform für reichweitenstarke <strong>Themen</strong>verbreitung. Es darf nur<br />
niemand die Illusion haben, damit würden tatsächliche gesellschaftliche Entwicklungen erfasst.<br />
Wie kann, wie soll, Ihrer Meinung nach die Zukunft der Talkshows aussehen?<br />
Weniger, besser, diskutanter; weniger vom Dualismus Betroffene vs. Politiker leben, mehr tatsächliche<br />
Meinungsvielfalt, Wissenschaft und Kultur berücksichtigen.<br />
Welches Talkshow-Erlebnis bzw. -Ereignis ist Ihnen als Zuschauer, Gast oder Macher besonders positiv oder<br />
negativ in Erinnerung?<br />
Positiv: die gute Diskussion bei „Beckmann“ mit Andreas Veiel u.a. über die Anfänge der RAF und die<br />
Unmöglichkeit von „Versöhnung“; besonders negativ: die Trittbrettfahrerei nach einem „Tatort“ zum Thema<br />
„Armut“, weil der fiktionale Kunstcharakter eines TV-Krimis aktiv geleugnet wurde und die tatsächlich Diskutanten<br />
nach der Entwicklungsperspektive einzelner Figuren des Films gefragt wurden.<br />
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