Themen, Referenten, Materialien - Netzwerk Recherche
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K7<br />
Freitag, 1. Juli, 16:15<br />
<strong>Recherche</strong>berufe VI – Der Tierschutz-Ermittler<br />
Mit: Christine Throl, Stefan Bröckling<br />
Fragen an Steffan Bröckling<br />
Wie recherchiert man die Fälle / Wer sind die Informanten?<br />
Die meisten gemeldeten Fälle werden sicher durch Nachbarn an uns heran getragen. Oft wohnen sie seit Jahren<br />
neben einer Tierhaltung und haben schon den einen oder anderen Streit mit dem Tierhalter ausgetragen.<br />
Wichtig ist dabei, dass man zwischen tatsächlichem Missstand und einer reinen Nachbarschaftsstreitigkeit<br />
unterscheidet. Das hat in der Vergangenheit aber immer sehr gut funktioniert. Es kommt auch vor, dass<br />
die Informanten aus dem Kreise der Familie des „Täters“ kommen. Ansonsten sind es häufig Personen,<br />
die berufsbedingt in einer Tierhaltung zu tun hatten (Elektriker, Maurer, LKW-Fahrer...) und beunruhigende<br />
Beobachtungen gemacht haben. Auch ehemalige Mitarbeiter von Unternehmen wenden sich an uns. Eher die<br />
Ausnahme war der „Wiesenhof-Skandal“. Der Auslöser der <strong>Recherche</strong> waren die Hinweise des Ehepaars, dass die<br />
Farm zu diesem Zeitpunkt noch bewirtschaftete. Da sie als Neu- und Quereinsteiger von den Bedingungen, unter<br />
denen sie die Tiere halten mussten, schockiert waren, meldeten sie sich nach einer ARD-Reportage bei PETA. Sie<br />
wurden von uns mit versteckten Kameras ausgestattet. Außerdem ermöglichten sie uns die Installation diverser<br />
festinstallierter Kameras. Gerade nach TV-Ausstrahlungen steigt die Anzahl der Hinweise immens. Dafür haben<br />
wir extra die Seite http://www.peta.de/whistleblower eingerichtet. Die meisten Hinweise bekommen wir daher<br />
per Mail. Die Post und das Telefon werden aber auch genutzt.<br />
Wir reagieren auch auf aktuelle Anlässe. Ein Beispiel dafür ist die Berufung der Bundestags-Hinterbänklerin<br />
Astrid Grotelüschen zur niedersächsischen Landwirtschaftsministerin. Aufgrund ihres beruflichen wie auch<br />
familiären Hintergrundes hat sich der Blick hinter die Kulissen des Unternehmens ihres Mannes geradezu<br />
angeboten. Aktuelle Anlässe können aber auch neu veröffentlichte Studien oder z. B. ein „Tag der Milch“, „Tag der<br />
Wurst“, Weihnachten (Weihnachtsbraten), Ostern (Herkunft der Eier) o. ä. sein.<br />
<strong>Recherche</strong>n aufgrund der „zwingenden Notwendigkeit“: Manche Gegebenheiten erfordern geradezu eine<br />
<strong>Recherche</strong>, auch ohne aktuellen Anlass oder einen Hinweis von Dritten. So waren seit Jahren bekannte Defizite<br />
in der Zoohandels-Branche im Jahr 2007 allein deshalb Ziel einer umfangreichen <strong>Recherche</strong>, weil kaum aktuelles<br />
Videomaterial verfügbar war und sich nur wenige der bekannten Tierschutzorganisationen bis dato ausgiebig mit<br />
der Thematik befasst hatten.<br />
Die meisten Informationen erhalten wir heute durch ausgiebige Webrecherchen. Zuerst erfolgt die gängige<br />
Suchmaschinen-<strong>Recherche</strong>. Zur Informationsbeschaffung werden aber auch Webarchive, Firmen-Datenbanken<br />
und Luftbildangebote herangezogen. Gerade im Bereich der Massentierhaltungen sind Google Earth, Bing<br />
Maps und die Geodaten-Portale der Landesvermessungsämter eine wichtige Hilfe. Google Earth bietet dabei<br />
sicher immer die schnellsten Ergebnisse. Dort, wo die Dortmunder Firma „Aero West“ fotografiert und diese<br />
Daten an Google verkauft hat, ist sowohl die Aktualität als auch die Auflösung vorbildlich. Im für uns wichtigen<br />
ländlichen Bereich kann ein Luftfoto bei GE aber auch schon mal 10 Jahre alt und schlecht aufgelöst sein.<br />
Oder eine Wolke verdeckt die Sicht auf die darunter liegenden Gebäude. Daher wird auch immer bei Bing Maps<br />
geschaut, wo Luftbilder durchaus aus den gleichen Basisdaten wie bei GE stammen können, aber eben auch<br />
aus hochaufgelösten Vogelperspektiven, die im Idealfall aus vier Himmelsrichtungen fotografiert wurden. Die<br />
aktuellsten Luftbilder erhält man eher bei den Landesvermessungsämtern. Praktisch jedes Vermessungsamt hat<br />
heute sein eigenes Online-Geoportal.<br />
Wie in jedem anderen Bereich ist auch bei uns die Online-<strong>Recherche</strong>, egal ob mit Suchmaschinen, Luftbild- oder<br />
Firmenportalen kein Buch mit sieben Siegeln. Die gewünschten Ergebnisse bekommt man vergleichsweise leicht,<br />
wenn man weiß, wonach man sucht. Und wenn man durch entsprechende Kenntnis der Materie in der Lage ist,<br />
die Wichtigkeit einer Information dementsprechend zu bewerten.<br />
Als z. B. die Ehefrau des Betreibers der zweitgrößten deutschen Putenbrüterei, Astrid Grotelüschen,<br />
niedersächsische Landwirtschaftsministerin wurde, begannen wir umgehend damit, uns über die bis dato<br />
wenig auffällige Politikerin zu informieren. Nach kurzer Internet-<strong>Recherche</strong> war schnell klar, dass Grotelüschen<br />
offenbar keine eigenen Mastställe betreibt. Da eine Brüterei schon aus hygienischen Gründen ein nach außen<br />
abgeschlossenes System ist, kam nur eine <strong>Recherche</strong> in den Mastbetrieben in Frage, die von Grotelüschens Mann<br />
mit Küken beliefert wurden und an deren Erzeugergemeinschaften er finanziell beteiligt war. Die notwendigen<br />
Adressen der betreffenden Farmen konnten wir Firmen-Datenbanken entnehmen.<br />
Wie plant man Nachtrecherche-Aktionen? Wie werden Sie durchgeführt?<br />
Zu Beginn einer Nachtrecherche verschaffen wir uns erst einmal einen Eindruck der entsprechenden Betriebe. Im<br />
Fall Grotelüschen war es so, dass wir die Höfe eines jeden einzelnen Mitglieds der Putenerzeugergemeinschaft<br />
Meck-Pomm aufsuchten. Machten Ställe schon von von außen kein gutes Bild, gingen wir davon aus, dass<br />
es innen nicht viel besser war. Fehlten z. B. Kadavertonnen, so wussten wir, dass die toten Tiere ggf. in den<br />
Vorräumen zwischengelagert werden, was nicht zulässig ist. Bei Freiluftställen, die in der Putenmast üblich<br />
sind, kann man schon anhand der nach außen dringenden Tiergeräusche das ungefähre Alter einschätzen. Wie<br />
bei allen Masttieren ist auch bei Puten das Mastende für die Bilddokumentation am ergiebigsten. Schilder wie<br />
„Betreten des Geländes verboten“ oder „Zutritt verboten. Wertvoller Tierbestand“ werden oft von Futtermühlen<br />
als „Werbegeschenk“ an die Farmer vergeben. Wenn diese Schilder das Logo der Futtermühle tragen, kann die<br />
Farm bestimmten Firmen zugeordnet werden kann. „Mega“ ist beispielsweise die zur PHW-Gruppe (Wiesenhof)<br />
gehörende Futtermühle.<br />
In ländlichen Gebieten fallen am Feldweg abgestellte Fahrzeuge schnell auf. Da, wo jeder jeden kennt, kann<br />
man nicht einfach nachts ein Fahrzeug mit fremden Kennzeichen parken und stundenlang unbeobachtet stehen<br />
lassen. Daher werden wir in der Nähe der Farmen abgesetzt und später wieder abgeholt. Das ermöglicht uns<br />
auch, im Falle einer Flucht in praktisch jede Himmelsrichtung laufen zu können, wenn es sein muss auch über<br />
mehrere Kilometer, da wir ja nicht zu einem in der Nähe der Farm abgeparkten Auto zurück kehren müssen. Über<br />
Mobilfunk und GPS-Geräte finden sich Fahrer und Einsatzgruppe problemlos wieder.<br />
Entgegen anders lautender Gerüchte, die hin und wieder leider auch von Medienvertretern ohne weitere<br />
Nachfrage veröffentlicht werden, betreten wir tatsächlich nur offen stehende Ställe. Wir brechen nicht ein. Es gibt<br />
lediglich eine Form des Einbruchs, auf die wir nicht verzichten können. Und das ist der Einbruch der Dunkelheit.<br />
Denn im Dunkeln können wir die Stallanlagen ungesehen betreten. Wir hinterlassen im Idealfall keine Spuren. Nur<br />
so ist es möglich, eine <strong>Recherche</strong> gefahrlos über einen langen Zeitraum durchzuführen. Und bevor es wieder hell<br />
wird sind wir bereits verschwunden. Die meisten Menschen sind verwundert, wenn sie erfahren, dass die Farmen<br />
nachts unverschlossen sind. Und tatsächlich war es vor 15 Jahren sicher einfacher, offene Ställe auszumachen.<br />
Aber auch heute ist ein begehbarer Stall keine Seltenheit.<br />
Während innerhalb der Ställe gefilmt und fotografiert wird, passen Wachposten draußen auf. Kommuniziert wird<br />
mit Funkgeräten oder Handys. Für die bessere Sicht im Dunkeln sorgen neben Nachtsichtgeräten auch passive<br />
Nachtgläser, wie sie z. B. bei der Jagd Verwendung finden. So konnten wir bisher immer rechtzeitig flüchten, wenn<br />
doch mal jemand zur Farm kam (z. B. ein Futterlieferant).<br />
Selbstverständlich gehen wir innerhalb der Ställe vorsichtig vor. Die Tiere wissen, zu welcher Tageszeit<br />
normalerweise Menschen im Stall sind. Türen aufreißen und losknipsen geht da gar nicht. Wir betreten die Ställe<br />
vorsichtig, machen anfangs möglichst wenig oder gar kein Licht, lassen den Tieren Zeit, sich an uns zu gewöhnen.<br />
Erst wenn wir den Eindruck haben, dass sie ruhig bleiben, fangen wir langsam an. Blitz- oder Videolicht stört<br />
die Tiere meist wenig, wenn wir sie sanft darauf einstimmen. Beim Fotografieren gehen wir selten unter ISO<br />
400, mit dem Videolicht sollte man gerade bei Vögeln keine schnellen Schwenks machen. Wer sich an ein paar<br />
logisch nachvollziehbare Regeln hält, versetzt die Tiere auch nicht in unnötigen Stress. Der Erfolg ist, dass die<br />
Rinder, Schweine, Hühner oder Puten sogar die Nähe der Kamera suchen, um diese zu inspizieren. Für sie ist es<br />
womöglich eine spannende Abwechslung zum trostlosen, reizarmen Alltag in der Massentierhaltung.<br />
Welches Equipment benutzen Sie?<br />
Im Fotobereich nutzen wir herkömmliche Spiegelreflexkameras, wobei ich persönlich ganz gerne auch mal<br />
entfesselt blitze, wenn die Zeit es zulässt. Meist reicht ein 18 – 105 mm Objektiv. Der Objektivwechsel inmitten<br />
von Futter- und Gefiederstaub ist eigentlich nicht so mein Ding. Daher habe ich manchmal ein Tele an einem<br />
zweiten Kameragehäuse. Hin und wieder mache ich auch Langzeitbelichtungen, manchmal auch nur mit Hilfe<br />
einer Taschenlampe als Lichtquelle.<br />
Im Videobereich habe ich lange mit semiprofessionellen DV-Kameras gearbeitet. Zubehör: ein Sachtler-Stativ,<br />
Kopflicht, Funk- und Richtmikro, Windfell. Da es heute aber unerlässlich ist, neben der Videodokumentation auch<br />
Beweisaufnahmen, die den Wahrheitsgehalt der Bilddokumente belegen, anzufertigen, greife ich mittlerweile auf<br />
Amateurkameras aus dem oberen Preissegment zurück, da nur diese eine Nightshot-Funktion (Infrarotmodus) mit<br />
sich bringen. Im Profi- und Semiprofi-Bereich sind solche Geräte nicht verfügbar.<br />
Die Sony XR520 ist klein, lichtstark und macht ein stimmiges, rauscharmes Bild. Ich kann während der Aufnahme<br />
zwischen normalem und Infrarotlicht wechseln, und so sowohl innen wie außen filmen. Wir halten auch GPS-<br />
Geräte und aktuelle Zeitungen vor das Objektiv, um Ort und Zeit der Aufnahmen belegen zu können. Während<br />
des Aufenthaltes im Stall läuft die Kamera durch. Die Record-Taste wird nicht benutzt, damit anschließend<br />
eine einzige, recht lange Videosequenz vorhanden ist, die im Falle einer juristischen Auseinandersetzung<br />
als Beweismittel dient. Im Schnitt ist das eher von Nachteil, da ein Großteil des Materials nur durch das<br />
Durchlaufen der Kamera, und nicht durch bewusstes Filmen entsteht. Daher experimentieren wir derzeit auch<br />
mit Minikameras, die am Körper getragen werden und Aufnahmezeiten von mehreren Stunden ermöglichen.<br />
Von Nachtteil ist bei der XR520 das teilweise sehr unübersichtliche Menü, die geringe Anzahl der Tasten, das<br />
fummelige Fokusrad und die fehlende manuelle Tonaussteuerung. Sobald die Canon XA10 lieferbar ist, werden<br />
die Sony-Geräte ausgetauscht. Die neue Canon-Kamera soll noch lichtstärker sein, verfügt über mehr manuelle<br />
Einstellmöglichkeiten sowie die für Interviews wichtige manuelle Tonaussteuerung und erstmals auch über einen<br />
Infrarotmodus. Neben dem oben bereits erwähnten Zubehör gehören auch verschiedene Infrarot-Scheinwerfer<br />
und -Laser zum Videoequipment.<br />
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