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Themen, Referenten, Materialien - Netzwerk Recherche

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Zehn Jahre netzwerk recherche – Weiter an der rostigen Schraube der Aufklärung drehen<br />

Irgendwo im Nirgendwo liegt das Eifel-Örtchen Simmerath-Erkensruhr. Vor 10 Jahren hatten die Navigationsgeräte das abgelegene<br />

und bereits ziemlich verblasste Wellness-Hotel noch nicht auf dem Schirm. Trotzdem – 40 <strong>Recherche</strong>ure fanden den Weg<br />

am 1. April-Wochenende 2001 zum Gründungstreffen von netzwerk recherche (nr). Mit dabei ein Kollege der amerikanischen<br />

Journalisten-Organisation IRE, die sich schon viele Jahre der Förderung des <strong>Recherche</strong>-Journalismus verschrieben hatte. Der<br />

US-Experte sollte uns vermitteln, wie <strong>Recherche</strong> sinnvoll gefördert werden könnte. Eine organische Gründung. Die Stunde Null<br />

einer neuen Journalisten-Organisation. Wolfgang Michal würdigte die nr-Leistungsbilanz zehn Jahre später in einer Mischung<br />

aus Ironie und Anerkennung bereits als „einflussreiche NGO mit nahezu gouvermentalen Zügen“ (carta.info, 22.5.2011).<br />

Die Gründung von netzwerk recherche hatte einen Vorlauf. Dutzende <strong>Recherche</strong>-Kurse förderten Defizite in der <strong>Recherche</strong>-Vermittlung<br />

zutage und führten zu einem Buchprojekt mit dem Titel „Leidenschaft <strong>Recherche</strong>“ (herunterzuladen unter netzwerkrecherche.de).<br />

Die <strong>Recherche</strong>ure, die markante Skandale zuvor ans Tageslicht gebracht hatten, rekonstruierten ihre Geschichten,<br />

reflektierten Arbeitsmethoden, zeigten Chancen und Grenzen ihrer Ermittlungen auf. Aus diesem Projekt wurde die Idee geboren,<br />

dass eine gründliche und hartnäckige <strong>Recherche</strong> das Fundament für wirksamen und nachhaltigen Journalismus ist.<br />

netzwerk recherche sollte der organisatorische Knotenpunkt und die Plattform für die im Konsens formulierten Vereinsziele<br />

unter der Überschrift „<strong>Recherche</strong> fördern und fordern“ werden.<br />

„Erstaunliche Resonanz“ für netzwerk recherche<br />

Bereits ein Jahr später schrieb dpa-Korrespondent Thomas Maier ein Feature mit dem Titel: „<strong>Netzwerk</strong> <strong>Recherche</strong>: Erstaunliche<br />

Resonanz für einen neuen Verein“ (dpa, 24.4.2002). Er blickte voraus auf die erste nr-Jahreskonferenz am 27.4.2002 in Hamburg<br />

im Konferenzzentrum des Norddeutschen Rundfunks (NDR). 350 Kolleginnen und Kollegen diskutierten und stritten über<br />

die Leitthemen von netzwerk recherche: Förderung des <strong>Recherche</strong>-Handwerks, Verbesserung der Medienqualität, Analyse von<br />

Fehlentwicklungen in den Medien nach dem Muster von Kritik und Selbstkritik.<br />

„Nichts ist erfolgreicher als eine Idee, die zur richtigen Zeit umgesetzt wird“, kommentierten erfahrene Kollegen, die aus eigener<br />

Erfahrung wussten, wie schwierig es ist, ehrenamtliches Engagement im Kreis der Berufsgruppe „Journalisten“ mit langfristiger<br />

Perspektive zu entfalten. Die seitdem jährlich stattfindenden Jahreskonferenzen „von Journalisten für Journalisten“ haben sich<br />

in einem Jahrzehnt zum größten kontrovers-überraschenden Journalisten-Forum in Deutschland entwickelt. Handwerksmesse,<br />

Treffpunkt, Wissensbörse, Diskurs-Ort, Vernetzungs-Station: Hamburg unterscheidet sich in jeder Hinsicht von den Glitzer-Kongressen<br />

einer Medien-Szene, die eher die Kultur der Prominenten-Spiegelung und der Dinner-Speeches pflegt.<br />

Die DNA des netzwerkes: Konzentration, Kontinuität und Verzicht<br />

„<strong>Recherche</strong> fordern und fördern.“ Diese einfache, aber doch weitreichende Programmklammer prägt die Arbeit bis heute. Es<br />

gibt drei besondere Kennzeichen von netzwerk recherche, die bei allen Schwächen eines ehrenamtlich getragenen Vereins über<br />

die Jahre ein stabiles Identitäts-Fundament bilden: Konzentration, Kontinuität und Verzicht. Konzentration auf das Wesentliche<br />

– auf die Förderung der <strong>Recherche</strong> als Dreh- und Angelpunkt für einen Qualitätsjournalismus. Kontinuität als innerer Kompass<br />

für die vielfältigen Projekte und bei der Profilierung der gründlich erarbeiteten Programm-Positionen. Und schließlich Verzicht<br />

auf Tätigkeitsfelder, die andere Organisationen, ausgestattet mit einem gewerkschaftlichen Mandat, bereits pflegen. Dazu zählt<br />

vor allem die Tarifpolitik. netzwerk recherche fokussiert seine Projekte seit der Gründung bewusst auf solche <strong>Themen</strong> und Positionen,<br />

die in der medienpolitischen und berufsethischen Debatte zu kurz kommen oder zur Vermeidung inhaltlicher Konflikte<br />

ausgeblendet werden. Ein Kernsatz des nr-Medienkodex hat besonders intensive Debatten ausgelöst: „Journalisten machen<br />

keine PR.“ Eigentlich selbstverständlich. Aber die anhaltenen Diskussionen zeigen, dass auch journalistische Tabuthemen und<br />

Lebenslügen auf die öffentliche Agenda müssen.<br />

Langfristige Investitionen in <strong>Recherche</strong><br />

Die Anstrengungen von netzwerk recherche verfolgen natürlich das Kernziel, die Bedeutung der <strong>Recherche</strong> im journalistischen<br />

Alltag zu heben, die notwendigen Arbeitsbedingungen zu ermöglichen und die nötigen Ressourcen bereitzustellen. Ob dies in<br />

einem hart umkämpften Medienmarkt und einer zunehmenden Entgrenzung des Journalismus gelingt, ist eine offene Frage.<br />

Aber – es gibt auch ermutigende Zeichen. Ein Wegweiser findet sich in der Juni-Ausgabe des Medium-Magazins. Dort formuliert<br />

NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz als eines seiner zentralen Ziele: „Wir müssen mehr in Inhalte investieren. Dazu gehört für<br />

mich ganz zentral: Investition in <strong>Recherche</strong>.“ (Medium-Magazin, 6/2011, S. 22) Ein Signal und eine Blaupause für ARD und ZDF.<br />

Auch renommierte Verlage haben in den vergangenen Jahren fast ein Dutzend eigenständiger „<strong>Recherche</strong>-Pools“ gegründet. Die<br />

nr-Idee der <strong>Recherche</strong>-Stipendien wurde von sehr vielen Medien-Akteuren aufgegriffen und mittlerweile in die Praxis übersetzt<br />

Immer mehr seriöse Journalistenpreise zeichnen relevante <strong>Recherche</strong>n aus.<br />

Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) konnte über die parlamentarischen Hürden gebracht werden, auch wenn die Nutzungs-<br />

Intensität auf Grund von harten Bürokratie-Schranken noch ausbaufähig ist. All dies zeigt: Sichtbare und verdeckte Erfolge sind<br />

möglich, aber offenbar geht nichts voran ohne das Bohren dicker Bretter.<br />

Damit die Aufbau-Arbeit eines Jahrzehnts nicht eine Episode bleibt und wie eine Fruchtfliege verschwindet , müssen die Strukturen<br />

einer kontinuierlichen <strong>Recherche</strong>-Förderung stabilisiert und ausgebaut werden. Der Leitgedanke: „<strong>Recherche</strong> fordern und<br />

fördern“ wird nur lebendig und dynamisch, wenn das anspruchsvolle Arbeits-Profil von netzwerk recherche auch kontinuierlich<br />

gesichert wird. Die Trias von nr: Konzentration, Kontinuität und Verzicht sind dabei die wesentlichen Orientierungsmarken. Wer<br />

hier mitwirkt und diese praktische Vision unterstützt, hat einen direkten Nutzen: eine funktionierende, vitale Öffentlichkeit, die<br />

demokratische Mitwirkung ermöglicht und Fehlentwicklungen in der Demokratie frühzeitig aufdeckt. Es lohnt sich also, gemeinsam<br />

weiter an der rostigen Schraube der Aufklärung weiter zu drehen.<br />

Prof. Dr. Thomas Leif,<br />

Gründer und Vorsitzender von netzwerk recherche e.V. (nr)<br />

Mit vollem Herzen in die Öffentlichkeit<br />

Grußwort zur Jahrestagung 2011 des <strong>Netzwerk</strong>s <strong>Recherche</strong><br />

von Olaf Scholz, Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg<br />

Sisyphos – ein schönes Bild für den vergeblichen und dennoch sinnstiftenden Versuch vieler Journalistinnen und Journalisten,<br />

tagtäglich Öffentlichkeit herzustellen und das gesellschaftliche Gespräch zu moderieren. Wir haben es uns angewöhnt, den<br />

Sisyphos nicht in seiner altgriechischen Verzweiflung zu sehen, sondern in seinem Glück, das Camus am Fuße des Berges entdeckt.<br />

In der Einladung zur diesjährigen Tagung des <strong>Netzwerk</strong>s <strong>Recherche</strong> ist deswegen wieder einmal vom ausgefüllten Menschenherz<br />

die Rede.<br />

Aber der Weg dahin führt über den Schmerz. Camus schreibt in seiner berühmten Interpretation: „Kurz und gut: Sisyphos ist der<br />

Held des Absurden. Dank seiner Leidenschaften und dank seiner Qual. Seine Verachtung der Götter, sein Haß gegen den Tod<br />

und seine Liebe zum Leben haben ihm unsagbare Marter aufgewogen, bei der sein ganzes Sein sich abmüht und nichts zustande<br />

bringt.“<br />

Gar so düster will ich den Journalismus und seinen Zustand nicht sehen. Dass er nichts zustande bringt, kann man angesichts<br />

einer im Vergleich immer noch ausdifferenzierten Presse- und Rundfunklandschaft hierzulande nicht behaupten. Noch immer<br />

gibt es Inseln der Qualität in zunehmend kabbeligeren seichten Gewässern. Noch haben wir Zeitungen, die die Debatte prägen,<br />

und Fernsehmagazine, die echte Neuigkeiten zutage fördern. Aber sie sind nicht mehr selbstverständlich.<br />

Für Camus liegt die Tragik des Sisyphos darin, dass er sich nicht nur vergeblich bemüht, sondern sich der Vergeblichkeit seines<br />

Tuns sehr wohl bewusst ist und dennoch versucht, einen Sinn in sein Tagwerk zu legen. Jeden Tag aufs Neue zu beginnen birgt<br />

die Hoffnung, es eines Tages doch zum Gelingen zu bringen. Sisyphos wird nicht zynisch. Vielleicht ist das seine größte Leistung.<br />

Verachtung der Götter, Hass gegen den Tod und Liebe zum Leben – diese drei nennt Camus als Antriebskräfte. Und mit ein<br />

bisschen Phantasie steckt dahinter tatsächlich eine Anleitung zu einem guten Journalismus.<br />

Zu einem guten Journalismus, der sich nicht mit Gottheiten aufhält , der niemanden in den Olymp hebt oder schreibt, der sich<br />

nicht beeindrucken lässt und der nicht vor den Autoritäten – im eigenen Medienhaus oder in der Öffentlichkeit – kuscht.<br />

Zu einem guten Journalismus, der davon getrieben ist, gegen die Ungerechtigkeit dieser Welt anzuschreiben – denn was anderes<br />

ist der Tod als die größte Ungerechtigkeit auf Erden.<br />

Zu einem guten Journalismus, der das Leben liebt und es deswegen besser machen will, der sich der Gesellschaft und nicht<br />

bloß dem individuellen Profit verpflichtet fühlt, der fest daran glaubt, das Große und Ganze besser machen zu können.<br />

Diese Zuversicht brauchen auch Journalistinnen und Journalisten, die sich heutzutage noch mit ethischem Pathos und handwerklicher<br />

Bravour einer debattierenden Öffentlichkeit verpflichtet fühlen. Leider trifft man sie immer seltener. Die kommerziellen<br />

Anforderungen des Mediensystems, eine zunehmend desinteressierte Gesellschaft und eine immer distanziertere Politik<br />

machen die Räume des Qualitätsjournalismus eng und schlagen Breschen für coole Abgebrühtheit. Deswegen macht es Mut,<br />

wenn sich Journalisten nun schon seit zehn Jahren im <strong>Netzwerk</strong> <strong>Recherche</strong> organisieren und gemeinsam nach Wegen suchen,<br />

den Idealismus ihres Berufs auch in die Wirklichkeit ihrer Redaktionen und ihrer Berichterstattung zu bringen.<br />

Ich weiß, dass Sie es auch schon ohne Politikerwünsche schwer genug haben, sich täglich daran zu erinnern, dass Sie glückliche<br />

Menschen sind. Ich will trotzdem drei Wünsche an den heutigen Journalismus formulieren:<br />

(1) Nehmen Sie Ihren Beruf und seine Verantwortung ernst! Als Journalistinnen und Journalisten bestimmen sie maßgeblich mit,<br />

welches Bild unsere Gesellschaft von sich selbst und ihren Belangen gespiegelt bekommt. Die tagtägliche Heterogenität lässt<br />

sich nicht in eine Tageszeitung oder in eine Nachrichtensendung pressen. Sie müssen auswählen und gewichten, eigenes hinzu<br />

recherchieren und spannende Geschichten erzählen. Das ist eine tolle Aufgabe, die dem leidenschaftlichen Bohren dicker Bretter,<br />

das wir Politiker zur Aufgabe bekommen haben, sehr ähnelt. Aber zugleich ist es eine Aufgabe, die Augenmaß und Verantwortung<br />

erfordert. Eine Schlagzeile kann Menschen zerstören – zumal sich heute in Zeiten des Internets nichts mehr „versendet“.<br />

(2) Nehmen Sie sich Zeit, alles herauszufinden! Allzu oft reichen heutzutage Gerüchte aus, zu denen zwei oder drei Meinungen<br />

eingesammelt und dann als Kontroverse veröffentlicht werden. Das Politikbild, das daraus entsteht, ist verheerend für unsere<br />

Gesellschaft insgesamt und führt zu einer Erosion unserer Öffentlichkeit. Qualitätsjournalismus kann nicht in stündlichen Erregungszirkeln<br />

produziert werden, sondern braucht Phasen der Reflexion und der Einordnung, in denen Relevantes vom Unsinn<br />

getrennt werden kann. Orientierung entsteht nicht aus einer Flut von Information, sondern aus der klugen Eindämmung und<br />

Einhegung der anbrandenden Wellen.<br />

(3) Bleiben Sie überzeugbar! Wer in ein Gespräch hineingeht, der will auch, dass sein Gegenüber auf gute Argumente reagiert.<br />

Sonst hat es keinen Sinn. Journalistinnen und Journalisten wissen viel, mehr als sie senden und schreiben. Aber auch sie<br />

können noch überrascht oder überzeugt werden. Der Mythos vom hartgesottenen Reporter ist aus meiner Sicht kein Idealbild,<br />

sondern eine Problembeschreibung. Ich wünsche mir Journalisten, die das Visier aufklappen, sich auf die Dinge einlassen und<br />

sich ihre Meinung am Ende der <strong>Recherche</strong> bilden.<br />

Ich verstehe das <strong>Netzwerk</strong> <strong>Recherche</strong> mit Blick auf diese Wünsche als einen Partner. Politikerinnen und Politiker lesen lieber<br />

Geschichten, aus denen sie Neues erfahren, als den zwölften Kommentar zu einem Thema. Besonders gerne lesen wir natürlich<br />

Geschichten über die jeweils anderen. Aber das Licht der Öffentlichkeit ist generell heilsam, weil es dazu zwingt, die eigene<br />

Position zu begründen. Wenn die eigenen Argumente nicht standhalten, dann hat man ein Problem, um das man sich kümmern<br />

muss.<br />

Hamburg ist ein guter Ort für diese Tagung. Wir sind seit mehr als einem halben Jahrhundert die Verlagsstadt in Deutschland<br />

und haben weit über die Printmedien hinaus eine führende Rolle in der Medienentwicklung. Nirgendwo in Deutschland ist die<br />

Medienwirtschaft so breit aufgestellt wie in Hamburg. Hier in der Stadt können wir besser als anderswo die Zukunft einer Medienwelt<br />

entwickeln, in der die Produzenten von Qualitätsangeboten und die Entwickler kreativer Vertriebskanäle zusammenarbeiten,<br />

um die Zukunft auch des Qualitätsjournalismus – wieder einmal – zu retten.<br />

Ich wünsche Ihnen gute Beratungen und ein Lächeln auf den Lippen, wenn sie den großen Stein wieder zum Rollen bringen.<br />

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