Themen, Referenten, Materialien - Netzwerk Recherche
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Wirtschaft. <strong>Themen</strong>, die Klischees und Stereotypen festigen werden bevorzugt behandelt; <strong>Themen</strong>, die<br />
Stereotypen aufbrechen werden von der Heimat-Redaktion zu zögerlich aufgegriffen. Ich wünsche mir eine engere<br />
Anbindung der „Old School Media“ an die „New Media“.<br />
Welche fachlichen Zugänge braucht es, um die arabischen Revolutionen zu verstehen? Welche journalistischen<br />
Darstellungsformen kommen zu kurz?<br />
Sprache, Kultur, Religion, Geschichte, strategisch-wirtschaftliche Bedeutung der Region, Kenntnisse der<br />
Zivilgesellschaften und ihrer Instrumente (im aktuellen Fernsehen gilt jedoch eher: „Jeder ist austauschbar!“)<br />
- (FS: ) mehr Reportagen (tolle Bilder, schräge Stories) und zu wenige gut gemachte dokumentarische<br />
Analysen (werden den Spartenkanälen und den Filmemachern überlassen)<br />
Warum gab es bis 2011 wenige Analysen über die Unterstützung der arabischen Regime durch europäische<br />
Regierungen?<br />
Heisst „Analyse“ gleich „Beiträge, Artikel etc.“? S.o. – Berichterstattung über strategische Interessen des<br />
Westens, strategisch-wirtschaftliche Verflechtungen und Menschenrechte bzw. „Risse im System“ kommen zu<br />
kurz. Besonders im FS-Bereich wenig bis keine Fläche für Hintergrundberichterstattung. Sobald es aktuell heiß<br />
wird, werden Analysen -mit heißer Nadel scherenschnittartig gestrickt – nachgereicht (z.B. Ägypten: in der ersten<br />
Woche der Unruhen kaum Hintergrund zu den Motiven der Demonstranten)<br />
Al Jazeera und Al Arabiya haben mit ihren Berichten über die Revolution in Ägypten ein neues Profil erlangt. Was<br />
können deutsche Redaktionen von der Arbeit dieser Sender lernen? Was nicht?<br />
Al Jazeera und Al Arabiya hatten schon vor der Revolution und den Unruhen ein „neues“, sprich: anderes Profil<br />
im Vergleich zum Staatsfernsehen. Der Westen kannte bzw. kennt gar nicht die Machart, den Fokus und die<br />
Programme. Nicht lernen: Rücksicht auf die strategischen Interessen der Financiers der Sender zu nehmen<br />
(z.B. Bahrain, Saudi-Arabiens Königshaus etc.), besonders bei Al Jazeera Arabisch gelegentlich zu starker<br />
populistischer Fokus. Lernen: sehr viel können wir besonders von Al Jazeera English lernen: 24-Stunden-<br />
Nachrichtenfernsehen/extrem wenig Werbung/innovative Formate/eigene <strong>Recherche</strong>einheit (zusammen mit<br />
Al Jazeera Arabisch, siehe „Palestine Papers“)/keine Berührungsängste vor New Media/viel Fläche für gut<br />
gemachte Hintergrund-Dokumentationen/Reportagen die sehr nah an den Protagonisten und der Zivilgesellschaft<br />
sind/aufgrund der Ausrichtung auf ein kosmopolitisches Weltpublikum auch viele Berichte zu strategischen<br />
Verflechtungen bzw. Interessen des Westens<br />
Wie viel <strong>Recherche</strong> steckt in den aktuellen Berichten aus autoritären Staaten und Kriegsgebieten? Welche Quellen<br />
werden vernachlässigt?<br />
Wenig <strong>Recherche</strong>, da der Aktualität immer Vorrang gegeben wird. Aktualität verdrängt langfristige Hintergrund-<br />
<strong>Recherche</strong>. Es gibt kaum Strukturen und Möglichkeiten für längere und innovative <strong>Recherche</strong> vor Ort<br />
<strong>Recherche</strong> wird nicht als „wertvoll“ eingestuft oder gilt als „zu gefährlich“vernachlässigte Quellen: kein<br />
kontinuierlicher Kontakt zur Zivilgesellschaft<br />
Wächst die Aufmerksamkeit von Redaktionen für die gesamte Region oder verdrängt die eine Revolution die<br />
andere von der Eins?<br />
Das Bild, das die Redakteure von der Region haben, hat sich etwas verändert, und noch ist etwas mehr<br />
Aufmerksamkeit vorhanden, aber nachhaltige Auslandsberichterstattung ist generell selten.<br />
Was sind die Voraussetzungen für ein kontinuierliches Begleiten der Transformationsprozesse? Sehen Sie diese<br />
gegenwärtig verwirklicht?<br />
Nein, sehe ich nicht verwirklicht. Wir bräuchten – gerade in Zeiten, wo Zuschauer „medienflexibel“ werden<br />
und weniger auf feste Tageszeiten festgelegt sind - ein öffentlich-rechtliches, zentrales, gut gemachtes<br />
24-Stunden-Nachrichtenfernsehen. Das könnte Auslandsbeiträge und -formate wie Weltspiegel, Reportagen und<br />
Dokumentationen wiederholen und zugleich viel kontinuierlicher als unser Hauptprogramm aus dem Ausland<br />
berichten (mehr kleine Hintergrundbeiträge, ein zusätzliches längeres Hintergrund-Format). Mit Hilfe eines<br />
Korrespondentennetzes, das immer noch zu den größten der Welt gehört.<br />
Werden die Veränderungen in den arabischen Staaten ausreichend in Zusammenhängen, auch<br />
länderübergreifend dargestellt (Bsp. Migration)?<br />
Die zentrale Frage, die bei jedem Auslandsbericht gestellt wird, lautet in vielen Redaktionen: „Was bedeutet<br />
das alles eigentlich für uns?“ Natürlich haben wir uns im Zusammenhang mit den arabischen Umwälzungen auf<br />
die Flüchtlingsfrage fokussiert – diese aber auch ein bisschen zu kleingeistig in den Vordergrund geschoben,<br />
anstatt uns zu fragen: Was können wir machen, damit Menschen langfristig in ihrer Heimat eine Chance sehen?<br />
Insgesamt wenig bis kaum, z.B. Bahrain-Berichterstattung – die Redaktionen sagen oft, das sei alles zu schwierig<br />
für den Zuschauer.<br />
Wie reagieren Journalist/-innen professionell auf Überraschung? Werden wir überrascht bleiben?<br />
Ich persönlich war im Falle der Unruhen in Arabien und Iran nicht überrascht da ich mich lange genug mit den<br />
Menschen dieses Kulturraums beschäftigt habe. Wer kontinuierlich den Weltfinanzmarkt im Auge hat, der wurde<br />
auch nicht von der globalen Finanzkrise 2008 überrascht (ich kenne in meinem Haus einige Kollegen, die eine<br />
Krise kommen sahen – anders als die Experten). Etwas anderes ist es, wenn übermorgen plötzlich Israel den<br />
Libanon angreift – ganz ohne Countdown- dann kann und darf ich als Auslandskorrespondent überrascht sein,<br />
weil manches Mal „Geheimoperationen“ einer „Bewegung“ und geheimdienstliche Informationen und neue<br />
politische „Manöver“ hinter dem aktuellen Konflikt stehen<br />
--<br />
STEFAN BUCHEN, Arabien-Experte des NDR<br />
Reporter/-innen können mit Satellitentechnik aus jeder Region der Welt berichten, aber in einer ländlichen<br />
Region Tunesiens beginnt unbemerkt eine Revolution. Welche Konsequenzen müssen Auslandsjournalist/-innen<br />
daraus für ihre eigene Arbeit ziehen?<br />
Seit zwei Jahrzehnten ist die lebensweltliche Diskrepanz zwischen Zentrum und Peripherie in den Staaten<br />
Nordafrikas und des Mittleren Ostens für mich ein brennendes Thema. Landflucht und Migration in die<br />
Metropolen sind folgenreiche Entwicklungen in vielen Teilen der Welt, aber gerade auch in dieser Region. Dass<br />
die Spannung zwischen Peripherie und Zentrum einer der Auslöser und treibenden Faktoren der gegenwärtigen<br />
Umwälzungen ist, überrascht nicht.<br />
Welche generellen Defizite der deutschen Auslandsberichterstattung sind in den letzten Monaten deutlich<br />
geworden? Welche Probleme betreffen speziell die arabischen Staaten?<br />
Man tut, was man kann. Es ist deutlich geworden, dass die Medien zu lange brav hinter den herrschenden<br />
Deutungen der deutschen und europäischen Außenpolitik hergetrabt sind. Demnach ging es im Verhältnis<br />
zu den arabischen Staaten um die Eindämmung des islamistischen Extremismus und den Schutz vor Terror,<br />
die Eindämmung der Migration und die regionale Stabilität. Über wirtschaftliche Interessen und die Art ihrer<br />
Wahrnehmung ist es schön gewesen zu schweigen. Das hat die Medien für die gewaltigen inneren Spannungen in<br />
diesen Staaten blind gemacht.<br />
Welche fachlichen Zugänge braucht es, um die arabischen Revolutionen zu verstehen? Welche journalistischen<br />
Darstellungsformen kommen zu kurz?<br />
Ohne Kenntnis der arabischen Sprache hat man bei der Berichterstattung ein Problem.<br />
Warum gab es bis 2011 wenige Analysen über die Unterstützung der arabischen Regime durch europäische<br />
Regierungen?<br />
siehe 2)<br />
Al Jazeera und Al Arabiya haben mit ihren Berichten über die Revolution in Ägypten ein neues Profil erlangt. Was<br />
können deutsche Redaktionen von der Arbeit dieser Sender lernen? Was nicht?<br />
Das ist falsch. Al Jazeera und Al Arabiya sind dem Profil, das sie schon zuvor erlangt haben, auch während der<br />
Revolution in Ägypten treu geblieben. Die Version des Arabischen, die beide Sender pflegen und verbreiten, ist<br />
nicht zur Nachahmung empfohlen. Djahiz stünden die Haare zu Berge und seine Augen träten noch weiter aus<br />
ihren Höhlen hervor.<br />
Wie viel <strong>Recherche</strong> steckt in den aktuellen Berichten aus autoritären Staaten und Kriegsgebieten? Welche Quellen<br />
werden vernachlässigt?<br />
Ich kann nur von meiner eigenen Arbeit sprechen. Darin steckt viel <strong>Recherche</strong>.<br />
Wächst die Aufmerksamkeit von Redaktionen für die gesamte Region oder verdrängt die eine Revolution die<br />
andere von der Eins?<br />
Die Aufmerksamkeit für die gesamte Region nimmt bereits ab. In der medialen Dramaturgie ist es eigentlich nicht<br />
vorgesehen, dass sich so ein arabischer Frühling bis in den Sommer zieht.<br />
Was sind die Voraussetzungen für ein kontinuierliches Begleiten der Transformationsprozesse? Sehen Sie diese<br />
gegenwärtig verwirklicht?<br />
Ergibt sich aus 7)<br />
Werden die Veränderungen in den arabischen Staaten ausreichend in Zusammenhängen, auch<br />
länderübergreifend dargestellt (Bsp. Migration)?<br />
Nein. Parallelen, wiederkehrende Muster und Unterschiede werden zu wenig herausgearbeitet. Analyse und<br />
strategische Zusammenhänge kommen generell etwas zu kurz. Es wird zu wenig über die Rolle Saudi Arabiens<br />
gesprochen.<br />
Wie reagieren Journalist/-innen professionell auf Überraschung? Werden wir überrascht bleiben?<br />
Man tut, was man kann. Von mir kann ich sagen: damit, dass es in absehbarer Zeit zu einem „großen Ausbruch“<br />
(enfedjar-e bozorg, Titel einer Kurzgeschichte von Hushang Golshiri) in Ländern wie Ägypten kommen würde,<br />
habe ich seit Jahren gerechnet. Wenn es dann tatsächlich passiert, ist man dennoch überrascht.<br />
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