BeLL Katrin Kröger endgültig - Desy
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3.6. Arbeitswelt in der experimentellen Teilchenphysik<br />
3.6.1. Kollaborationen und Arbeitsalltag<br />
Die experimentelle Teilchenphysik unterscheidet sich stark von anderen experimentellen Disziplinen<br />
der Physik. Grund dafür ist der riesige Aufwand, der für die Erforschung der kleinsten Strukturen<br />
erforderlich ist. Damit ist sowohl finanzieller, materieller als auch mentaler Aufwand gemeint.<br />
Folgendes Zitat stammt von Achim Geiser 30 , einem Experimentalphysiker, der über die Spezifik seines<br />
Forschungsbereiches redet: „Im Wesentlichen sind es die Großprojekte im experimentellen Bereich,<br />
die die Teilchenphysik von anderen Wissenschaftsbereichen abgrenzen. Es gibt wenig andere<br />
Wissenschaftszweige, wo sich 2000 oder 3000 Leute<br />
zusammensetzen, um ein gemeinsames Projekt zu verwirklichen. Ich<br />
will nicht sagen, keine, denn in der Raumfahrt oder Fusionsforschung<br />
gibt es dies teilweise auch, aber Forschung an Großanlagen ist schon<br />
eher spezifisch für die experimentelle Teilchenphysik.“ Im Laufe der<br />
Zeit hat sich die Größe der Kollaborationen immer weiter vergrößert<br />
(siehe Abb. 42).<br />
Unter der Überschrift „Das HERA-Modell der internationalen<br />
Zusammenarbeit“ ist die Entwicklung zu Kollaborationen (= Gruppen<br />
von Wissenschaftlern und Ingenieuren, die zusammen ein Thema<br />
bearbeiten) beschrieben. Arbeiten im Team ist heute eine überall<br />
existente Form in der experimentellen Teilchenphysik. Daraus<br />
ergeben sich spezifische Elemente in der Arbeitswelt.<br />
Ein wichtiger Aspekt ist die sich ergebende Internationalität.<br />
Menschen aus aller Welt arbeiten zusammen mit der gleichen<br />
Zielsetzung: Erhöhung des Wissensschatzes der Menschheit. Aus der<br />
Arbeit mit Menschen verschiedenster Herkunft ergibt sich somit ein<br />
multikulturelles Arbeitsumfeld, das trotz aller kulturellen Differenzen<br />
aber produktiv bleibt. Kommunikationssprache ist Englisch.<br />
Natürlich erfordert diese Art der Zusammenarbeit auch Hierarchien.<br />
Wie mir aber mehrere Teilchenphysiker selbst erzählt haben, sind es<br />
eher flache Hierarchien in einer netten und lockeren<br />
Arbeitsatmosphäre ohne allzu große gegenseitige Konkurrenz. Das<br />
mag daran liegen, dass alle das gleiche Ziel haben – Erhöhung des<br />
Wissensschatzes der Menschheit – und Profitstreben in diesem Beruf sowieso nicht in besonders<br />
ausgeprägtem Maße befriedigt werden kann. 31<br />
Bei solch großen Kollaborationen sind Kommunikation und Koordination sehr wichtige Faktoren. 32<br />
Bei der Vielzahl von Arbeitsgruppen muss unter Anderem sichergestellt werden, dass dasselbe<br />
Problem nicht von mehreren Gruppen bearbeitet wird – es sei denn, dies geschieht bewusst, z. B. aus<br />
Gründen der gegenseitigen Kontrolle.<br />
30 zitiert nach Geiser (2009)<br />
31 zu den Informationen dieses Absatzes vgl. Behnke (2009)<br />
32 vgl. Bobrovskyi (2009)<br />
52<br />
Abb. 42: Obiges Diagramm<br />
verdeutlicht, dass immer mehr<br />
Menschen für die Entdeckung neuer<br />
Teilchen zusammenarbeiten.