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Grundrechte - Marcel Küchler

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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />

4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />

Da es sich bei Art. 181 StGB um Bundesrecht handelt, muss das BGer die Norm anwenden,<br />

selbst wenn die Meinungsäusserungsfreiheit verletzt wird. Zudem handelt es sich nicht um<br />

eine Staatsrechtliche Beschwerde sondern um einen Strafprozess.<br />

Das BGer entschied jedoch, weil es sich im vorliegenden Falle nicht um Kriminelle, sondern<br />

um Leute handle, die ihre Meinung zu einem umstrittenen Thema äusserten, dass diese Tatsache<br />

im Strafmass entsprechend Beachtung finden solle. Dies entspreche einer verfassungskonformen<br />

Auslegung des Strafgesetzbuches.<br />

Bundesgericht: NZZ vom 9.1.99, Nr. 6, S. 16 (Schuldspruch wegen Nötigung)<br />

Greenpeace-Aktion gegen Zwischenlager: Das Bundesgericht hat die Verurteilung von 16<br />

Aktivisten der Organisation Greenpeace bestätigt, die am 12. März 1996 während anderthalb<br />

Stunden den Haupteingang des Verwaltungsgebäudes der Nordostschweizerischen<br />

Kraftwerke AG in Baden blockiert hatten. Laut dem Urteil des Kassationshofs in Strafsachen<br />

ist die gegen das Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen gerichtete Aktion, bei<br />

welcher der Zugang durch einen Holzverschlag und leere Fässer versperrt wurde, vom<br />

Obergericht des Kantons Aargau zu Recht als Nötigung betrachtet worden (Art. 181 Strafgesetzbuch).<br />

Das Versperren des Haupteingangs eines Verwaltungsgebäudes geht aus Sicht des Bundesgerichts<br />

«eindeutig über das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung hinaus». Dass<br />

das Haus allenfalls ohne grossen Zeitverlust über einen Nebeneingang betreten und verlassen<br />

werden konnte, bleibt dabei unerheblich. Denn der Straftatbestand der Nötigung schützt<br />

die Freiheit des Willens und gelangt daher auch dann zur Anwendung, wenn die genötigte<br />

Person ihr Ziel über einen anderen als den von ihr gewünschten Weg erreichen kann (BGE<br />

119 IV 301 E. 3a). Abschliessend wird in dem eher kurz begründeten Urteil aus Lausanne<br />

angemerkt, dass die Verurteilung der Greenpeace-Aktivisten wegen Nötigung auch unter dem<br />

Gesichtspunkt des Grundrechts der Meinungsäusserungsfreiheit nicht zu beanstanden ist.<br />

Denn um gegen das geplante Zwischenlager in Würenlingen zu protestieren, war es «offenkundig<br />

nicht erforderlich», während anderthalb Stunden den Haupteingang zu blockieren.<br />

Dies geschah vielmehr, um das Interesse der Medienvertreter an der Aktion zu erhöhen.<br />

«Auch unter den Kommunikationsbedingungen in einer mit Informationen überfluteten Gesellschaft<br />

hat indessen niemand das Recht, die öffentliche Aufmerksamkeit durch absichtliche<br />

und gezielte Behinderungen der vorliegenden Art zu steigern.» (Urteil 6S.671/1998 vom<br />

11. 12. 98 – keine BGE-Publikation vorgesehen).<br />

2.1.2 Grundrechtsausübung auf öffentlichem Grund<br />

MÜLLER, <strong>Grundrechte</strong>, 211 ff. [186 ff.]; TSCHANNEN PIERRE/ZIMMERLI ULICH/KIENER<br />

REGINA, Allgemeines Verwaltungsrecht, Bern 2000, 333 ff. [zit. TSCHAN-<br />

NEN/ZIMMERLI/KIENER].<br />

Öffentliche Strassen, Plätze und Säle stehen für die Ausübung von <strong>Grundrechte</strong>n zur<br />

Verfügung: das BGer anerkennt einen bedingten Anspruch auf die Benützung des öffentlichen<br />

Bodens zur Grundrechtsausübung. Der Anspruch besteht sowohl für ideelle<br />

als auch – in vermindertem Masse – kommerzielle Nutzung.<br />

Bereits die Bewilligungserfordernis stellt eine Grundrechtsbeschränkung dar und bedarf<br />

deshalb einer Rechtfertigung (vgl. das Eingriffsschema von Art. 36 BV). Zulässig sind etwa<br />

Einschränkungen zwecks Koordination konfligierender Benützungsanliegen (z.B. Koor-<br />

dination zweier Demonstrationen), zum Schutz anderer Rechtsgüter (z.B. Nachtruhe, Benützung<br />

des Bärenplatzes als Marktplatz). Allenfalls ist anstelle der Bewilligungspflicht das mildere<br />

Mittel einer blossen Meldepflicht zu wählen.<br />

Das Bundesgericht erachtet zwar eine rechtssatzmässige Normierung der Bewilligungsvoraussetzungen<br />

als wünschbar, verlangt aber grundsätzlich keine gesetzliche Grundla-<br />

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