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Grundrechte - Marcel Küchler

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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />

4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />

Das BGer vertritt eine solche Lösung nur, wenn es als unzumutbar erscheint, dass die Familie<br />

dem Sohn nach Algerien folgen muss; es bejaht überhaupt nur dann einen Eingriff in das<br />

Grundrecht.<br />

BGE 112 Ia 97 (Philogenetisches Heimweh)<br />

Der 21jährige X. war 1959 als unehelicher Sohn zur Welt gekommen und hatte danach bei<br />

verschiedenen Pflegeeltern gelebt. Er ersuchte 1980 die Vormundschaftsbehörde Basel-Stadt<br />

um Einsicht in die ihn betreffenden Akten. Die Behörde verweigerte die Einsicht ins Dossier.<br />

Im folgenden Rekurs an das Justizdepartement Basel-Stadt gab X. zu verstehen, dass ihn seine<br />

Jugendzeit heute noch stark belaste. Die Aufarbeitung dieser Lasten und Schatten sei für<br />

ihn eine lebenswichtige Aufgabe. Eine Bewältigung sei nur möglich, wenn er die ihm heute<br />

unklar erscheinenden Ursachen jener Vorgänge rational erhellen könne. Diese Behauptung<br />

wird aber durch die Akten auch nicht im entferntesten belegt.<br />

Sämtliche kantonalen Rekurse von X. wurden abgelehnt. Danach wandte sich X. ans Bundesgericht.<br />

Er verlangte, dass ihm die Vormundschaftsbehörde Einsicht in seine Akten gewähre.<br />

Die Eltern argumentierten, sie hätten damals nur zugestimmt, wenn ihre Namen nicht bekannt<br />

würden. Handelt es sich hier um einen Eingriff in die persönliche Freiheit im Sinne des<br />

Schutzes der psychischen Integrität? X. machte geltend, es sei für ihn wichtig, dass er wisse,<br />

woher er komme (Identitätsfindung). Die verfassungsrechtliche Garantie der persönlichen<br />

Freiheit könne – um nicht völlig überdehnt zu werden – aber nicht vor jedem physischen und<br />

psychischen Missbehagen bewahren. Sie biete nur dort Schutz, wo das Wohlbefinden des<br />

Menschen erheblich beeinträchtigt wird und sich diese Beeinträchtigung nicht gegen andere<br />

verfassungsmässige oder gesetzliche Rechte richtet. Laut BGer wird die Beschwerde deshalb<br />

abgewiesen, weil es sich hier noch um keinen Eingriff handle.<br />

Zudem sei offensichtlich, dass der Beschwerdeführer keinen Anspruch habe, über das Privatleben<br />

seiner Mutter um die Zeit der Zeugung informiert zu werden. Hier spreche ein ethisches<br />

Moment für grösste Zurückhaltung bei der Abwägung der Interessen. Insbesondere die<br />

Mutter habe ein durchaus berechtigtes, schutzwürdiges Interesse daran, dass der Beschwerdeführer<br />

von den sie betreffenden Aufzeichnungen keine Kenntnis erhalte. Ihr Geheimhaltungsinteresse<br />

gehe dem Interesse des Beschwerdeführers an Akteneinsicht, jedenfalls so wie<br />

er es begründet hat, deutlich vor.<br />

Bei Konkurrenz von Persönlicher Freiheit mit einem andern Grundrecht (z.B. mit dem Akteneinsichtsrecht)<br />

wird zunächst nur das andere spezifische Grundrecht geprüft; die persönliche<br />

Freiheit erscheint als Auffangtatbestand. Normalerweise prüft das BGer zuerst<br />

das sachnähere Grundrecht, anschliessend das andere.<br />

Urteil des BGer vom 31.1.95 in EuGRZ 1996, S. 329 ff. (Aktenzeichen XY)<br />

A. wurde wegen Verdachts auf Hehlerei im Zusammenhang mit dem Raub in der Sihlpost in<br />

Untersuchungshaft gesetzt. In der Folge ordnete die Bezirksanwaltschaft Zürich an, im Zusammenhang<br />

mit dem Postraub in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ ein Bild von A.<br />

zu zeigen und seinen Namen zu nennen, um weitere Informationen über eine allfällige Beteiligung<br />

von A. am Postraub zu erhalten.<br />

A. rügte beim Bundesgericht unter anderem eine Verletzung seines Privatbereiches (Recht<br />

am eigenen Bild) nach Art. 8 EMRK.<br />

A erhob Beschwerde gegen die Untersuchungsbehörde, die sein Bild freigegeben und das<br />

Fernsehen zur Mithilfe aufgefordert hatte. Der Eingriffe beruhte jedoch auf einer gesetzlichen<br />

Grundlage, ein öffentliches Interesse war ebenfalls gegeben (Aufklärung des Postraubes),<br />

und der Eingriff war verhältnismässig, da es sich um eine geeignete und notwendige<br />

Massnahme handelte.<br />

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