Grundrechte - Marcel Küchler
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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />
4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />
• Anforderungen an Begründungsdichte:<br />
– Abhängig von der Schwere des Eingriffs, der Komplexität des Falles und der<br />
Offenheit der Beurteilungsspielräume (je schwerer der Eingriff, desto höher die geforderte<br />
Begründungsdichte usf.).<br />
– Massenverfügungen könne knapp gehalten werden (sofern die vollständige Begründung<br />
auf Anfrage erhältlich ist).<br />
• Minimum: Die Gründe müssen soweit erkennbar sein, dass eine Beschwerdebegründung<br />
möglich wird (vgl. auch BGE 123 I 31).<br />
• Die „Nachlieferung“ der Begründung erst im Rechtsmittelverfahren ist grundsätzlich<br />
nicht zulässig. In Einzelfällen, wie z.B. Examensresultaten, wo schon die Noten<br />
eine erste Begründung des Bestehens oder Nichtbestehens darstellen, ist es jedoch<br />
möglich die eingehende Begründung erst nachträglich zu eröffnen (Frage der Praktikabilität).<br />
BGE 104 Ia 314<br />
In der Strafuntersuchung gegen G. und F. wurden zahlreiche Zeugen einvernommen, ohne<br />
dass die Angeschuldigten oder deren Verteidiger zur Befragung vorgeladen worden wären.<br />
Nachdem die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hatte, zogen die Beschuldigten einen neuen<br />
Anwalt bei, der innert der gesetzlichen Frist das Begehren um Beurteilung durch das Kriminalgericht<br />
und eine Reihe von Beweisanträgen stellte, insbesondere die gerichtliche<br />
Befragung von über 100 Zeugen, die bereits durch den Untersuchungsrichter einvernommen<br />
worden waren. Das Kriminalgericht lehnte es ab, diese Zeugenbefragungen in Anwesenheit<br />
der Angeklagten zu wiederholen und fällte sein Urteil nach Einholung eines psychiatrischen<br />
Gutachtens.<br />
Aus Art. 6 III lit. c EMRK sei kein Recht abzuleiten, dass der Beklagte (und/oder sein Rechtsvertreter)<br />
bei der Befragung von Zeugen anwesend zu sein habe. Vorgängiges rechtliches<br />
Gehör (z.B. darüber, welche Fragen den Zeugen zu stellen seien) genüge.<br />
C) Fürsorgepflicht des Richters im Prozess (BGE 124 I 185)<br />
„...Das Bundesgericht hat einen Schuldspruch ... aufgehoben, weil die ... Angeklagte im<br />
... Verfahren nur durch ihren Ehemann vertreten war, welcher ihre Interessen nicht genügend<br />
wahrzunehmen vermochte. ...<br />
Laut dem Entscheid ... ist ein Richter verpflichtet, die mit dem Gesetz nicht vertrauten<br />
Personen, die ihr Recht ohne Anwalt suchen, über die ihnen im Verfahren zustehenden<br />
Ansprüche zu unterrichten. Diese richterliche Fürsorgepflicht ergibt sich aus Sicht des<br />
BGer aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, wie er in der Bundesverfassung (Art. 4)<br />
und in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6) verankert ist (BGE 113 Ia 412<br />
E.3b). Insbesondere muss ein Angeklagter ohne Verteidiger darauf hingewiesen werden,<br />
dass er einen Anwalt beiziehen kann (Art. 14 Abs. 3 lit. d UNO-Pakt II; SR 0.103.2). Weiter<br />
muss der Richter sich vergewissern, dass ein Angeklagter weiss, unter welchen Voraussetzungen<br />
er Anspruch auf private oder amtliche Verteidigung hat. Und ein Hinweis auf<br />
den Anspruch auf einen unentgeltlichen amtlichen Verteidiger darf nur unterbleiben,<br />
wenn die Voraussetzungen dafür offensichtlich nicht erfüllt sind. ...<br />
Indes kommt die richterliche Aufklärungspflicht ... nicht nur zum Tragen, wo ein Prozessbeteiligter<br />
keinen Anwalt hat. Vielmehr muss der Richter darauf achten, dass ein<br />
Verteidiger seine Funktion auch wirksam ausübt. Denn wenn er untätig zusieht, wie ein<br />
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