Grundrechte - Marcel Küchler
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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />
4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />
ge für die Pflicht zur Bewilligung der Ausübung von <strong>Grundrechte</strong>n auf öffentlichem<br />
Boden (Kompetenz aufgrund der Verfügungsgewalt über die öffentliche Sache). Die Nichtbeachtung<br />
von Regeln über die Bewilligung kann sanktioniert werden (z.B. durch Ordnungsbussen<br />
gegen die Organisatoren), sie macht aber die Kundgebung als Ganzes nicht<br />
widerrechtlich und vermag ein Verbot oder ein polizeiliches Verhindern nicht zu rechtfertigen.<br />
BGE 100 Ia 392 (Schiefes Strassentheater)<br />
Das Komitee für Indochina stellte bei den Behörden der Stadt Zug das Gesuch, es sei ihm zu<br />
bewilligen, am Samstag, 14. April 1973, um 15.00 Uhr auf dem Landsgemeindeplatz in Zug<br />
ein Strassentheater mit politischer Appellwirkung aufzuführen und dabei Megaphone zu benützen.<br />
Die städtischen und die kantonalen Instanzen lehnten das Gesuch ab.<br />
Art. 43 Abs. 2 Baugesetz Kanton Zug:<br />
Der gesteigerte Gemeingebrauch und die Sondernutzung gemeindlicher<br />
Strassen und Plätze durch Private bedürfen einer Bewilligung des Einwohnerrates.<br />
Eine Bewilligungspflicht besteht nach dem Baugesetz des Kantons Zug für gesteigerten Gemeingebrauch<br />
und für Sondernutzung. Die gesetzliche Grundlage besteht somit; fraglich erscheint<br />
das öffentliche Interesse an der Ablehnung der Bewilligung und die<br />
Verhältnismässigkeit.<br />
Allenfalls wären Einschränkungen bezüglich Ort und Zeit angemessen, nicht aber ein generelles<br />
Verbot der Aufführung. Ein Anspruch auf Benützung öffentlichen Raumes besteht allerdings<br />
nur bedingt; nämlich dann, wenn diese Benützung zur Ausübung<br />
Grundrechtsausübung unentbehrlich ist.<br />
Da es das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit in der BV nicht gibt (vgl. jetzt 22 f. BV),<br />
muss eine diesbezügliche Beschwerde sich immer auf ein anderes Grundrecht (z.B. die Meinungsäusserungsfreiheit)<br />
stützen.<br />
BGE 105 Ia 91 (Plüss)<br />
Die Gruppe „Atomkraftwerk-Gegner Schaffhausen“ stellte bei der Stadtpolizei Schaffhausen<br />
das Gesuch, es sei ihnen an fünf Samstagen (verteilt auf knapp zwei Monate) das Aufstellen<br />
eines Standes auf dem Fronwegplatz (Fussgängerzone) zu bewilligen. Die Stadtpolizei bewilligte<br />
nur zwei der nachgesuchten Veranstaltungen, machte jedoch den Gesuchstellern das<br />
Angebot, für die restlichen drei Termine andere geeignete Plätze zur Verfügung zu stellen.<br />
Markus Plüss (Vertreter der AKW-Gruppe) erhob - nachdem alle kantonalen Instanzen den<br />
Entscheid der Stadtpolizei bestätigten - staatsrechtliche Beschwerde beim Bundesgericht.<br />
Das BGer wies die Beschwerde ab, da eine derartige Bewilligungspflicht auch ohne gesetzliche<br />
Grundlage bestehen könne, und zudem die Gemeinde mit der Bewilligung von zwei Terminen<br />
ihr Entgegenkommen gezeigt habe.<br />
Die KV-BE ist strenger als die BV und würde auch in solchen Fällen eine gesetzliche Grundlage<br />
verlangen.<br />
BGE 101 Ia 473 (Genfer Prostituiertenfall)<br />
Der Genfer Regierungsrat ergänzte das Reglement über die öffentliche Ruhe durch eine Bestimmung,<br />
wonach es „verboten ist, sich auf den öffentlichen Strassen tagsüber der Prostitution<br />
hinzugeben“.<br />
Mehrere Frauen haben gegen diese Bestimmung staatsrechtliche Beschwerde erhoben.<br />
Das BGer entschied, dass Prostitution bewilligungspflichtig erklärt sowie zeitlich und räumlich<br />
eingeschränkt werden dürfe. Aus der Handels- und Gewerbefreiheit lasse sich kein Anspruch<br />
auf Benützung öffentlichen Raumes ableiten soweit andere Möglichkeiten der<br />
Grundrechtsausübung bestünden (bedingter Anspruch auf Benützung öffentlichen Raumes).<br />
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