Grundrechte - Marcel Küchler
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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />
4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />
schwerde wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt am 18. September 1986<br />
abgewiesen.<br />
§ 10 Abs. 3 lit. a der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt<br />
Ist ein Angeschuldigter unvermögend, so wird ihm auf sein Begehren von Amtes<br />
wegen ein Advokat als Verteidiger beigegeben,<br />
a) sofern der gesetzliche Strafrahmen eine Höchststrafe von fünf Jahren Zuchthaus<br />
überschreitet.<br />
Art. 139 Ziff. 2 StGB<br />
Der Dieb wird mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren verurteilt oder mit Gefängnis nicht<br />
unter drei Monaten bestraft, wenn er gewerbsmässig stiehlt.<br />
Die Behörden machten geltend, es sei in der betreffenden Norm nicht die abstrakte, sondern<br />
die effektive Strafdrohung (hier 10 Monate) gemeint. Deshalb falle die Strafe des Betroffenen<br />
nicht unter § 10. Das BGer aber betonte, es dürfe nur aus triftigen Gründen vom klaren<br />
Wortlaut des Gesetzes abgewichen werden. Hier sei eindeutig die abstrakte Strafdrohung<br />
gemeint (Verbrechen, Zuchthaus bis zu 10 Jahren).<br />
C) Willkür in der Rechtssetzung:<br />
Willkür in der Rechtsetzung wird von BGer dann angenommen, „wenn eine Gesetzesbestimmung<br />
sich nicht auf ernsthafte sachliche Gründe stützt, wenn sie sinn- oder nutzlos<br />
ist oder Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund nicht ersichtlich ist.<br />
In diesen Grenzen steht dem kantonalen und kommunalen Gesetzgeber ein weites Feld<br />
der Gestaltungsfreiheit offen. Der Verfassungsrichter schreitet nur dort ein, wo dieses<br />
Ermessen überschritten oder missbraucht wird.“<br />
Willkür wird also bejaht bei<br />
• Sinn- und Zwecklosigkeit oder tiefgreifender Widersprüchlichkeit einer gesetzlichen<br />
Regel;<br />
• Fehlen von sachlichen Gründen, rein schikanöser Behandlung;<br />
• nicht begründbarer Ungleichbehandlung.<br />
2.5.2 Treu und Glauben (Art. 9 BV)<br />
MÜLLER, <strong>Grundrechte</strong>, 485 ff. [253 ff.]<br />
Auch der Anspruch darauf, von den Behörden des Staates nach Treu und Glauben behandelt<br />
zu werden, war ein bisher ungeschriebenes, aus Art. 4 der alten BV abgeleitetes<br />
Verfassungsprinzip. Es konnte nicht wie ein Grundrecht direkt angerufen werden. In<br />
der neuen BV ist es jetzt als Grundrecht in Art. 9 BV explizit erwähnt. Welche Wirkungen<br />
diese Festschreibung als Grundrecht auf die Rechtsprechung haben wird, ist noch<br />
nicht geklärt. Die nachfolgenden Ausführungen folgen der Praxis unter dem früheren<br />
Rechtszustand:<br />
Nach der Rechtsprechung des BGer verleiht der Grundsatz von Treu und Glauben dem<br />
Bürger einen Anspruch auf Schutz des berechtigten Vertrauens in behördliche Zusicherungen<br />
oder sonstiges, bestimmte Erwartungen begründendes Verhalten der Behörde.<br />
Eine (selbst unrichtige) Auskunft oder Zusicherung, welche eine Behörde dem Bürger<br />
erteilt, und auf die er sich verlassen hat, ist unter gewissen Umständen bindend. Die<br />
Voraussetzungen dafür sind,<br />
• dass sich die Angaben der Behörde auf eine individuell-konkrete, den betreffenden<br />
Bürger berührende Angelegenheit beziehen;<br />
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