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Grundrechte - Marcel Küchler

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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />

4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />

Das BGer zieht ideelle <strong>Grundrechte</strong> kommerziellen vor, was nach MÜLLER beliebig ist und<br />

aufgegeben werden sollte.<br />

BGE 119 Ia 445 (Circus Gasser I)<br />

Ende 1994 ersuchte die Circus Gasser Olympia AG die Stadtpolizei Schaffhausen um Erteilung<br />

einer Bewilligung für Circusdarbietungen auf dem Areal Zeughauswiese für die Spielsaison<br />

1995. Das Gesuch wurde abgewiesen mit der Begründung, mit Rücksicht auf die<br />

Konkurrenz würden nur Bewilligungen im Zweijahresturnus erteilt. Demgegenüber erteilt die<br />

zuständige Behörde dem Circus Knie jedes Jahr eine solche Spielbewilligung. Die Circus<br />

Gasser Olympia AG ergriff gegen die unterschiedliche Bewilligungspraxis Beschwerde.<br />

Die letzte kantonale Instanz wies die Beschwerde mit der Begründung ab, der Circus Knie<br />

geniesse als „bedeutendstes, international bekanntes Circus-Unternehmen als Schweizer Nationalcircus<br />

landesweit und traditionell über einen Sonderstatus“. Aufgrund seines Tierbestandes<br />

und Programmspektrums befriedige der Circus Knie ein weitaus grösseres<br />

Publikumsbedürfnis. Die unterschiedliche Bewilligungspraxis sei daher aus sachlichen Gründen<br />

gerechtfertigt.<br />

Die Circus Gasser Olympia AG führte gegen diesen Entscheid staatsrechtliche Beschwerde.<br />

Grundsätzlich hat der Staat beide Unternehmen gleich zu behandeln (Rechtsgleichheit), weil<br />

er sonst das eine benachteiligt und seine Marktchancen mindert (Handels- und Gewerbefreiheit).<br />

Eine Ungleichbehandlung kann nur durch sachliche Unterschiede begründet werden,<br />

die keine Wettbewerbsverzerrung zur Folgen haben.<br />

In diesem Fall hat das BGer die Beschwerde abgewiesen. Gutgeheissen hat es aber eine analoge<br />

Beschwerde desselben Unternehmens gegen die Erteilung einer Genehmigung bloss alle<br />

5 Jahre.<br />

BGE 108 Ia 41 (Rouge)<br />

Der Gemeindepfarrer, Herr Rouge, plante die Durchführung einer Palmsonntagsprozession in<br />

Genf, bei der die Teilnehmer mit Gesang vom Pfarrhaus an der Avenue Bertrand bis zur Theresienkirche<br />

an der Avenue Peschier marschieren würden (Länge der Strecke insgesamt 55<br />

Meter, vorgesehene Dauer ca. 10 Minuten). Im März 1981 ersuchte Herr Rouge die zuständigen<br />

kantonalen Behörden um die entsprechende Bewilligung. Diese wiesen das Gesuch ab.<br />

Sie stützten ihren Entscheid auf Art. 1 des kantonalen Gesetzes „sur le culte extérieur“ vom<br />

18. August 1875, wonach jede Kultushandlung auf öffentlichen Strassen und Plätzen verboten<br />

ist.<br />

Bei einer Strecke von 55 Metern und einer Dauer der Prozession von ca. 10 Minuten handelt<br />

es sich um einen Grenzfall der Beanspruchung öffentlichen Raumes. Zudem lässt sich aus der<br />

Religionsfreiheit (bzw. Kultusfreiheit) ein bedingter Anspruch auf Benutzung öffentlichen<br />

Grundes ableiten.<br />

Das BGer hat die Beschwerde gutgeheissen. Das Verbot sei unverhältnismässig, die Gefahr<br />

von religiösen Unruhen (Normzweck) sei gering. Verhältnismässig wäre ein solches Verbot<br />

erst bei konkreten Anzeichen einer Gefahr.<br />

Das BGer erachtet deshalb das Gesetz, welches ein generelles Verbot von religiösen Handlungen<br />

auf öffentlichen Plätzen und Strassen vorsieht, als verfassungswidrig.<br />

BGE in ZBl 1992, 40 und EuGRZ 1992, 204 (Gemeindesaal Tavannes)<br />

Der Gruppe „Unité jurassienne“ wurde der Gemeindesaal Tavannes zur Organisation einer<br />

„soirée familière“ zur Verfügung gestellt. Mitglieder der Antiseparatistengruppe „Sanglier“<br />

marschierten am Abend dieses Anlasses vor das Rathaus dieser Gemeinde, wo sie antiautonomistische<br />

Parolen verkündeten und Reden anhörten. Anschliessend begaben sie sich zum<br />

Gemeindesaal. Die Polizei befürchtete Ausschreitungen. Indem sie sich zwischen die befeindeten<br />

Gruppen stellte, verhinderte sie Zusammenstösse.<br />

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