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Grundrechte - Marcel Küchler

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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />

4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />

heit und Gesetzespflicht ein Ausgleich zu finden. Dennoch war diese Bestimmung ein<br />

bestimmtes, heute zu vermissendes Signal, dass Religion Privatsache zu sein und zu<br />

bleiben habe. Heute ist – wie für alle Grundrechtseingriffe – nach dem bekannten<br />

Schema vorzugehen (Art. 36 BV).<br />

B) Persönlicher Geltungsbereich<br />

Die Religionsfreiheit (Menschenrecht) steht allen natürlichen Personen zu. Juristische Personen<br />

können sich soweit auf die Religionsfreiheit berufen als sie religiöse Zwecke verfolgen.<br />

Insbesondere können juristische Personen sich nicht auf ihre Religionsfreiheit<br />

berufen, um sich der Bezahlung von Kirchensteuern zu entziehen (wie seltsam Kirchensteuern<br />

für juristische Personen sich auch ausnehmen mögen).<br />

C) Funktion und geschichtlicher Hintergrund<br />

Die Religionsfreiheit soll einerseits dem Individuum die Freiheit geben, sich in religiöser<br />

Hinsicht frei zu entfalten. Andererseits hat die Religionsfreiheit, als Resultat eines<br />

langen gesellschaftlichen Lernprozesses, die öffentliche Funktion, den religiösen Frieden<br />

zu wahren. Dieser Lernprozess hat eine lange Geschichte: in der Reformationszeit<br />

beispielsweise stellte sich die Frage, wie angesichts zweier Konfessionen der Krieg<br />

verhindert werden kann. Dieselbe Frage stellte und stellt sich auch bezüglich anderer<br />

Religionen.<br />

In Deutschland wurde das Problem mittels Föderalisierung der Religionszugehörigkeit<br />

gelöst, was wegen der Zersplitterung in viele kleine Fürstentümer und Länder wenig<br />

Probleme bereitete. Der Landesfürst bestimmte die Religion der Einwohner seines<br />

Kleinstaates.<br />

In Frankreich ging mit dem Edikt von Nantes eine Periode der Unterdrückung der Protestanten<br />

zu Ende; damit endete auch die Konstitution des französischen Staates durch<br />

die Religion. Ein „guter“ Franzose konnte nun auch sein, wer nicht katholisch war (Beginn<br />

der Bürgerrechte). Dies änderte sich wieder in der Zeit des Absolutismus, denn es<br />

konnte nicht sein, dass jemand (ungestraft) eine andere Meinung als die des Königs vertrat.<br />

Mit der französischen Revolution begann die Zeit des Laizismus: die Kirche wurde<br />

aus dem öffentlichen Bereich vollständig verdrängt, sie durfte und darf sich öffentlich<br />

nicht mehr bemerkbar machen.<br />

Die Schweiz verfolgte zunächst die Föderalisierung der Religion, bis sich unter dem<br />

Einfluss der französischen Revolution auch hier laizistische Tendenzen bemerkbar<br />

machten (vgl. Art. 50 II der alten BV). Die völlige Trennung von Kirche und Staat wurde<br />

leider, abgesehen von Genf und Neuenburg, nie ganz vollzogen.<br />

Aus der Erkenntnis, dass, wo immer ein Staat für oder gegen eine Religion Stellung bezieht,<br />

Unterdrückung und Krieg resultiert, haben die USA schon von Anfang an Kirche<br />

und Staat getrennt. Aber nicht in dem Sinne, dass die Kirchen völlig aus dem öffentlichen<br />

Bereich zu verdrängen, sondern dass Religion und Glaube als reine<br />

Privatangelegenheit zu betrachten seien.<br />

BGE 116 Ia 252 (Kruzifix) – deutsche Übersetzung in ZBl 1991, S. 70; zugehöriger<br />

Entscheid des Bundesrates in ZBl 1989, S. 19<br />

Im September 1984 beschloss der Gemeinderat von Cadro (TI), in jedem Zimmer des neuen<br />

Primarschulhauses ein Kruzifix anbringen zu lassen. Dieser Beschluss wurde zwei Wochen<br />

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