Grundrechte - Marcel Küchler
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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />
4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />
kammer mit dem elektrischen Stuhl befindet. Der Häftling wird dort isoliert und hat kein Licht zur Verfügung.<br />
Wer Berufungsverfahren ausnützt, kann mehrfach dorthin überstellt werden.<br />
Art. 3 EMRK<br />
Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe<br />
oder Behandlung unterworfen werden.<br />
Der Betroffene machte zunächst geltend, sein Leben würde in den USA in Gefahr gebracht.<br />
Art. 2 EMRK verbietet die Todesstrafe aber nicht. Dann argumentierte er, unmenschlich sei<br />
nicht die Todesstrafe selbst, sondern wie die zum Tode Verurteilten behandelt würden, insbesondere<br />
wenn ein Jugendlicher betroffen sei. D.h. der Schutz vor unmenschlicher Behandlung<br />
nach Art. 3 EMRK (Teilgehalt der persönlichen Freiheit) wäre verletzt. Dies konnte er<br />
allerdings nicht direkt gegen die USA geltend machen, da diese die EMRK nicht ratifiziert<br />
haben.<br />
Das Gericht entschied aber, hier sei das Verhalten des ausliefernden Staates (GB) zu beurteilen<br />
und nicht dasjenige der USA: Art. 3 EMRK gelte absolut (Kerngehalt), d.h. eine<br />
Auslieferung im Wissen darum, dass der Betroffene unmenschlich behandelt werden könnte,<br />
sei verboten.<br />
2.4.3 Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV)<br />
MÜLLER, <strong>Grundrechte</strong>, 166 ff. [39 ff.]<br />
Aus dem ungeschriebenen, durch das BGer entwickelten Recht auf Existenzsicherung<br />
ist im Zuge der Verfassungsrevision das Recht auf Hilfe in Notlagen geworden. 4 Das<br />
Parlament wollte betonen, dass dieses Grundrecht kein Recht auf ein Existenzminimum<br />
im Sinne eines garantierten Mindesteinkommens oder allgemeiner staatlicher Unterstützung<br />
sei. Vielmehr soll dieses Recht nur sicherstellen, „was für ein menschenwürdiges<br />
Dasein unabdingbar ist und vor einer unwürdigen Bettelexistenz zu bewahren<br />
vermag“ 5 , d.h. dass jemand der in eine Notlage geraten ist, die für ein menschenwürdiges<br />
Dasein unabdingbaren Mittel bekommt, um überleben zu können. Gemeint ist mit<br />
diesem Recht also die Überlebenshilfe bzw. Überbrückungshilfe oder Hilfe zur Selbsthilfe<br />
bis sich die betroffene Person wieder aus der Notlage befreit hat. Hervorgehoben<br />
wurde zudem das Prinzip der Subsidiarität, d.h. die verfassungsrechtliche Hilfe in Notlagen<br />
erst zum Tragen kommen soll, wenn keine andere Hilfe mehr zu erlangen ist (was<br />
wohl eine Frage der Zumutbarkeit sein dürfte).<br />
Die Bestimmung ist im Übrigen im Zusammenhang mit Art. 41 BV, den Sozialzielen<br />
zu sehen: Dort wird in Abs. 4 ausdrücklich festgehalten, dass aus den Sozialzielen keine<br />
Ansprüche auf staatliche Leistungen abgeleitet werden können. Art. 12 BV stellt also<br />
insofern eine Ausnahme dar, die aber nur subsidiär zur Anwendung kommen soll.<br />
BGE 121 I 367 (Existenzsicherung)<br />
Die drei Brüder V. lebten seit dem Jahr 1980 zusammen mit ihrer Mutter als anerkannte<br />
Flüchtlinge in der Schweiz. Mit Urteil des Richteramts Bern vom 29. Oktober 1987 wurden<br />
sie zu bedingten Freiheitsstrafen verurteilt, und es wurde gegen sie eine dreijährige Landesverweisung<br />
ausgesprochen, die allerdings vorerst nicht vollzogen werden konnte. Aufgrund<br />
der veränderten politischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei stellte jedoch die Botschaft<br />
dieses Landes am 7. November 1990 den Gebrüdern V. Reisepapiere für tschechoslowakische<br />
Staatsangehörige aus, worauf sie in die Tschechoslowakei ausgeschafft wurden. Damit<br />
4 Zur Diskussion dieses Artikels in den beiden Parlamentskammern vgl. Amtl. Bull. SR 1998, 39 f. und<br />
Amtl. Bull. NR 1998, 687 ff.<br />
5 Formulierung des BGer in BGE 121 I 367 ff.<br />
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