Grundrechte - Marcel Küchler
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Prof. Dr. Walter Kälin SS 1998<br />
4., überarbeitete Version 2001 <strong>Grundrechte</strong><br />
BGE 13, 1 (Kempin)<br />
Am 24.11.1886 erschien Emilie Kempin-Spyri - damals Studentin an der juristischen Fakultät<br />
der Universität Zürich - vor dem Bezirksgericht Zürich, um ihren Ehemann in einer Zivilstreitigkeit<br />
zu vertreten. Das Bezirksgericht verweigerte Frau Kempin die Rechtsvertretung.<br />
Es stützte seinen Entscheid auf eine Bestimmung des zürcherischen Gesetzes über die<br />
Rechtspflege, wonach zur Vertretung Dritter in Zivilsachen der Besitz des Aktivbürgerrechts<br />
erforderlich sei. Gegen diesen Beschluss beschwerte sich Frau Kempin beim Bundesgericht<br />
wegen Verletzung von Art. 4 aBV. Das Bundesgericht wies ab.<br />
Das BGer empfand es als neu und kühn Art. 4 I aBV als Grundlage für das Recht auf Gleichbehandlung<br />
von Mann und Frau anzusehen. Die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter<br />
sein natürlich und selbstverständlich.<br />
BGE 49 I 14 (Roeder)<br />
Frau Dr. iur. Dora Roeder beantragte im Jahr 1922 beim Staatsrat des Kantons Freiburg die<br />
Zulassung als Rechtsvertreterin vor den erstinstanzlichen Gerichten des Kantons. Ihr Gesuch<br />
wurde abgelehnt mit der Begründung, das kantonale Recht setze für die Zulassung zum Anwaltsberuf<br />
das Aktivbürgerrecht voraus. Frau Roeder wehrte sich gegen diesen Entscheid<br />
beim Bundesgericht wegen Verletzung von Art. 4 aBV. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde<br />
gut; u.a. führte es aus:<br />
Par suite des transformations d’ordre économique et social qui se sont produites au<br />
cours des dernières décades, les femmes ont été obligées d’étendre leur activité à<br />
des domaines qui autrefois paraissaient réservés aux hommes et elles y sont mieux<br />
que par le passé préparées par leur éducation et leur instruction qui tendent à se rapprocher<br />
de celles que reçoivent les hommes. (...) Si les droits politiques continuent<br />
très généralement en Suisse à être refusés aux femmes, par contre dans la vie économique<br />
les mœurs et les lois qui en sont le reflet ont consacré l’égalité des sexes.<br />
Die ökonomische und soziale Situation habe sich derart geändert, dass der Ausschluss der<br />
Frauen vom Anwaltsberuf nicht mehr gerechtfertigt werden könne.<br />
Schuler-Zgraggen, Zusammenfassung in AJP 1994, S. 784 ff.<br />
Seit 1976 leidet Margrit Schuler-Zgraggen an einer Lungentuberkolose. 1979 wird die Büroangestellte<br />
wegen ihrer Krankheit entlassen; die zuständige IV-Kommission bestätigt die Arbeitsunfähigkeit<br />
von Frau Schuler-Zgraggen und spricht ihr eine volle Invalidenrente zu. Im<br />
Mai 1984 bringt die mit einem selbständigen Kleinunternehmer verheiratete Frau einen Sohn<br />
zur Welt. Die IV-Kommission ordnet neue medizinische Abklärungen an. Sie kommt zum<br />
Ergebnis, dass Frau Schuler-Zgraggen in ihrem Beruf als Büroangestellte nach wie vor zu<br />
100% arbeitsunfähig sei. Der gebesserte Gesundheitszustand erlaube es ihr aber, sich um<br />
Haushalt und Sohn zu kümmern; für diese Tätigkeit sei sie zu 60-70 % arbeitsfähig. Die somit<br />
verbleibende Arbeitsunfähigkeit von 30 % genüge nicht für einen Rentenanspruch. Die<br />
IV-Kommission streicht deshalb die monatliche Rente von Fr. 2´016.<br />
Eine Beschwerde von Frau Schuler-Zgraggen lehnt die AHV-Rekurskommission des Kantons<br />
Uri ab: Die Arbeitsfähigkeit am angestammten Arbeitsplatz im Büro sei nicht mehr<br />
massgebend; entscheidend sei nun die Arbeitsfähigkeit im Haushalt. Zur Begründung führt<br />
die Kommission aus, es sei „überwiegend wahrscheinlich“, dass Frau Schuler-Zgraggen,<br />
selbst wenn sie gesund wäre, nach der Geburt ihres Sohnes die Bürostelle aufgegeben hätte;<br />
nähere Abklärungen zur Stützung dieser Annahme trifft die Kommission hingegen nicht.<br />
Am 20. August 1987 wendet sich Margrit Schuler-Zgraggen mit Verwaltungsgerichts-beschwerde<br />
an das Eidgenössische Versicherungsgericht in Luzern, das die Streichung der Rente<br />
bestätigt.<br />
Art. 14 EMRK (Verbot der Diskriminierung)<br />
Der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten<br />
muss ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion,<br />
politischen oder sonstigen Anschauungen, nationaler oder sozialer Herkunft, Zuge-<br />
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