Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen
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NACHRUFE<br />
NACHRUFE<br />
LIESELOTT ENDERS †<br />
Geb. 13.2.1927 Elb<strong>in</strong>g<br />
Gest. 25.4.2009 bei Genth<strong>in</strong><br />
Im neunten Lebensjahrzehnt stehend und nach wie vor forschend<br />
und publizierend tätig, ist Lieselott Enders, langjährige Abteilungsleiter<strong>in</strong><br />
und Stellvertreter<strong>in</strong> des Direktors des Brandenburgischen<br />
Landeshauptarchivs, auf der Rückfahrt von e<strong>in</strong>er wissenschaftlichen<br />
Tagung im altmärkischen Tangermünde durch e<strong>in</strong>en<br />
tragischen Verkehrsunfall abrupt aus dem Leben gerissen worden.<br />
Geboren wurde sie <strong>in</strong> Elb<strong>in</strong>g im damaligen Ostpreußen als<br />
zweites K<strong>in</strong>d von Paul und Käthe Olivier. Die Familie war hugenottischer<br />
Herkunft und nach e<strong>in</strong>em Zwischenaufenthalt im 18.<br />
Jahrhundert <strong>in</strong> Strasburg <strong>in</strong> der Uckermark <strong>in</strong> Ostpreußen<br />
sesshaft geworden. Der Vater war zunächst Versicherungsbeamter,<br />
ließ sich vorzeitig pensionieren, um Philosophie zu studieren,<br />
und wirkte nach 1945 als Cheflektor im Verlag der Nation <strong>in</strong> Ost-<br />
Berl<strong>in</strong>; die Mutter war Lehrer<strong>in</strong> bzw. Lektor<strong>in</strong> im gleichen Verlag.<br />
Von dieser bildungsbürgerlichen Herkunft wurde auch der<br />
weitere Lebensweg von Lieselott Enders geprägt. Nach Ablegung<br />
des Abiturs 1946 an der August-Hermann-Francke-Oberschule <strong>in</strong><br />
Halle studierte sie Geschichte, Germanistik und Pädagogik an<br />
der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Humboldt-Universität<br />
zu Berl<strong>in</strong>. Im Anschluss an das Universitätsstudium<br />
und das erste Staatsexamen begann sie 1951 zusammen mit<br />
ihrem Ehemann Gerhart Enders, dem 1972 früh verstorbenen<br />
späteren Autor der „Archivverwaltungslehre“ und Abteilungsleiter<br />
im Zentralen Staatsarchiv der DDR, das Studium <strong>für</strong> den<br />
höheren Archivdienst am damaligen Institut <strong>für</strong> Archivwissenschaft<br />
<strong>in</strong> Potsdam. Sie gehörte zu den Teilnehmern der „IfA II“<br />
und war e<strong>in</strong>e der <strong>in</strong> diesen Jahren <strong>in</strong> Ost wie West noch wenigen<br />
weiblichen Mitglieder des Kurses. Mit ihr hörten unter anderen<br />
die Kollegen Friedrich Beck, Hans-Stephan Brather, Wolfgang<br />
Eger, Helmut Lötzke, Rudolf Schatz, Gerhard Schmid und Hans-<br />
Joachim Schreckenbach die Vorlesungen der Professoren Willy<br />
Flach, Fritz Hartung, Hans Haußherr, Hellmut Kretzschmar und<br />
He<strong>in</strong>rich Otto Meisner. Sie beendete den Kurs mit der zweiten<br />
Staatsprüfung im Juli 1953 und wurde noch im gleichen Jahr von<br />
Hans Haußherr mit dem Thema „Das Domänenamt Petersberg<br />
bei Halle im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts“ promoviert.<br />
Zum 1. September 1953 trat Lieselott Enders <strong>in</strong> den Dienst des<br />
jüngsten deutschen Staatsarchivs, des 1949 begründeten Brandenburgischen<br />
Landeshauptarchivs <strong>in</strong> Potsdam, dessen „provisorisches“<br />
Domizil sich bis nach der historischen Wende von 1989/90<br />
<strong>in</strong> der Orangerie des Parks Sanssouci befand. Sie gehörte mit dem<br />
später im Bundesarchiv <strong>in</strong> Koblenz tätigen Hans-Joachim Neufeldt<br />
und ihren Kurskollegen Beck und Eger, zwei Angehörigen<br />
des gehobenen Dienstes und e<strong>in</strong>igen technischen Hilfskräften zur<br />
Gründungsmannschaft des Archivs. Vor dieser stand e<strong>in</strong>e schier<br />
unlösbare Aufgabe. Es galt, die aus den Kriegsauslagerungen<br />
zurückgeführten Bestände des ehemaligen „Staatsarchivs <strong>für</strong> die<br />
Prov<strong>in</strong>z Brandenburg und die Reichshauptstadt Berl<strong>in</strong>“, die<br />
ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009<br />
<strong>in</strong>folge der politischen Verhältnisse nicht an ihren alten Standort<br />
<strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong> zurückkehren konnten, sowie das Schriftgut der<br />
aufgelösten Behörden aus der NS-Zeit und die <strong>in</strong> die Verwaltung<br />
des Archivs gelangten Adels- und Gutsarchive der historischen<br />
Forschung und den Anforderungen der Verwaltungsorgane<br />
zugänglich zu machen. H<strong>in</strong>zu kamen die nach Auflösung der<br />
Länder <strong>in</strong> der DDR 1952 anfallenden Schriftgutmengen der<br />
Landesregierung Brandenburg. Den absoluten Vorrang hatten<br />
dabei die Ordnungs- und Verzeichnungsarbeiten an den Beständen,<br />
<strong>für</strong> die lediglich ungenügende Ablieferungsverzeichnisse<br />
vorlagen – <strong>für</strong> die des ehemaligen Prov<strong>in</strong>zialarchivs gab es ke<strong>in</strong>e<br />
F<strong>in</strong>dbücher, da sie im Geheimen Staatsarchiv verblieben waren.<br />
Den damit <strong>in</strong> der Archivpraxis an sie gestellten Aufgaben stellte<br />
sich die junge Archivar<strong>in</strong> und Mutter zweier Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der mit<br />
Energie und beispielhaftem Engagement. Als aktive Mitgestalter<strong>in</strong><br />
am Auf- und Ausbau des Landeshauptarchivs hatte sie wesentlichen<br />
Anteil an der Erarbeitung von Ordnungs- und Verzeichnungsrichtl<strong>in</strong>ien<br />
<strong>für</strong> die anstehenden Erschließungsarbeiten<br />
an den Beständen und deren Tektonik. Für die <strong>in</strong> der Abteilung I<br />
zusammengefasste älteste Überlieferung, die bis zu den preußischen<br />
Reformen von 1806/15 reichte, wurde sie als Abteilungsleiter<strong>in</strong><br />
zuständig. Nach über zehnjähriger entsagungsvoller Kärrnerarbeit<br />
konnte sie <strong>in</strong> Zusammenarbeit mit weiteren Kollegen<br />
im Ergebnis dieser Arbeit 1964 als Band 4 der „Veröffentlichungen<br />
des Brandenburgischen Landeshauptarchivs“ den ersten<br />
Teilband der „Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen<br />
Landeshauptarchivs“ vorlegen, die zu dieser Zeit Maßstäbe<br />
<strong>für</strong> die Erarbeitung von Beständeübersichten setzte. In Verallgeme<strong>in</strong>erung<br />
ihrer eigenen Arbeitserfahrungen beschrieb sie 1971<br />
auf hohem theoretischem Niveau <strong>in</strong> der Fachzeitschrift die<br />
weitere differenzierte Anwendung des Provenienzpr<strong>in</strong>zips und<br />
würdigte 1983 dessen Ungebrochenheit anlässlich des Centenariums<br />
se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> Preußen 1881.<br />
Nach der 1976 unter politisch-ideologischen Zielsetzungen<br />
erfolgten Umstrukturierung der Staatsarchive <strong>in</strong> der DDR von<br />
der traditionell bestandsbezogenen auf e<strong>in</strong>e aufgabenbezogene<br />
Struktur mit den Abteilungen Erschließung und Auswertung<br />
ergaben sich auch <strong>für</strong> Lieselott Enders neue Aufgabenstellungen.<br />
Als Leiter<strong>in</strong> der Abteilung Erschließung des nunmehrigen Staatsarchivs<br />
Potsdam sah sie sich mit der „Vorfeldarbeit“ bei der<br />
Schriftguterfassung und -übernahme und den damit verbundenen<br />
Problemen der Bewertung konfrontiert. Obwohl sie selbst<br />
der neuen Struktur kritisch gegenüberstand, wie sie dies auch <strong>in</strong><br />
der DDR-Fachzeitschrift „Archivmitteilungen“ zum Ausdruck<br />
brachte, stellte sie sich den neuen Anforderungen. Aufgrund ihrer<br />
im eigenen Archiv gesammelten Erfahrungen und erworbenen<br />
Kenntnisse wurde sie <strong>in</strong> zentrale Forschungsgremien des DDR-<br />
<strong>Archivwesen</strong>s berufen und war hier an der Erarbeitung des 1981<br />
von der Staatlichen Archivverwaltung herausgegebenen „Rahmendokumentationsprofils<br />
der staatlichen <strong>Archive</strong> <strong>für</strong> den<br />
Zeitraum 1945-1981“ beteiligt. Mit diesem wurde e<strong>in</strong> zeitlich und<br />
sachlich gegliederter Rahmenkatalog der die Grundzüge der<br />
historischen Entwicklung der DDR widerspiegelnden „histori-