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Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen

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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009<br />

ARCHIVTHEORIE<br />

UND PRAXIS<br />

auch auf die Spezifika der Benutzung von Verlagsüberlieferung<br />

h<strong>in</strong>, nicht zuletzt die Beachtung von Urheber- und Verwertungsrechten.<br />

Irmgard Wirtz Eybl berichtete anschließend über die Situation<br />

im Schweizerischen Literaturarchiv, das 1991 <strong>in</strong> der Schweizerischen<br />

Nationalbibliothek eröffnet wurde. Den Anstoß zur Gründung<br />

gab Friedrich Dürrenmatt, der 1989 se<strong>in</strong>en literarischen<br />

Nachlass der Schweizerischen Eidgenossenschaft unter der<br />

Bed<strong>in</strong>gung vermacht hatte, dass e<strong>in</strong> Schweizerisches Literaturarchiv<br />

gegründet werde. „Rösser aus Papier“ – so charakterisierte<br />

Wirtz Eybl Verlagsüberlieferungen, die aufgrund ihres Umfangs<br />

e<strong>in</strong>e nur schwer zu meisternde Herausforderung <strong>für</strong> e<strong>in</strong> Literaturarchiv<br />

seien. Das Schweizerische Literaturarchiv hat bisher<br />

ke<strong>in</strong>e Verlagsarchive übernommen, erarbeitet aber derzeit Sammlungsprofil<br />

und Erwerbungsstrategie.<br />

Den zweiten Tag der Fachtagung leiteten mit Gunilla Eschenbach<br />

und Stephan Füssel Vertreter der e<strong>in</strong>ladenden Institutionen e<strong>in</strong> –<br />

sie berichteten unter dem Titel „1000 Kästen Rowohlt“ über die<br />

Übernahme und Erschließung des Rowohlt Verlagsarchivs. 4 Für<br />

Be<strong>für</strong>worter des Provenienzpr<strong>in</strong>zips sehr befremdlich wurde das<br />

Archiv des Rowohlt-Verlags geteilt: Das Deutsche Literaturarchiv<br />

übernimmt die Unterlagen von Verlagsleitung und Lektorat mit<br />

dem Schwerpunkt Belletristik, das Institut <strong>für</strong> Buchwissenschaft<br />

der Universität Ma<strong>in</strong>z Unterlagen zu „Trivialliteratur“ (z. B.<br />

Jugendbüchern) sowie betriebswirtschaftliche Unterlagen, z. B. zu<br />

Herstellung und Vertrieb. Im Mittelpunkt des Vortrags von<br />

Eschenbach standen die Organisation der Übernahme und die<br />

Fe<strong>in</strong>-Bewertung (u. a. von Doppelstücken, Fax-Sendeberichten<br />

oder <strong>in</strong>haltsleeren „post-it“-Notizzetteln). Füssel, Direktor des<br />

Instituts <strong>für</strong> Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-<br />

Universität <strong>in</strong> Ma<strong>in</strong>z, berichtete über den Aufbau e<strong>in</strong>es Archivs<br />

an diesem Institut. Durch die Vergabe von Qualifizierungsarbeiten<br />

ist die „fallbezogene“ sukzessive Erschließung der Unterlagen<br />

vorgesehen. Neben der Übernahme von Teilen des Rowohlt-<br />

Verlagsarchivs ist die Übernahme weiterer Verlagsunterlagen<br />

geplant und teilweise schon erfolgt.<br />

E<strong>in</strong>en lebendigen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>es Unternehmensarchivs,<br />

der erst 2002 errichteten Abteilung „Corporate History“<br />

der weltweit agierenden Bertelsmann AG, ermöglichte deren<br />

Leiter<strong>in</strong> Helen Müller. E<strong>in</strong>drucksvoll stellte sie die besonderen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen vor, unter denen das Abteilungsteam aus sechs<br />

Mitarbeitern täglich se<strong>in</strong>en Nutzen unter Beweis stellen muss. Zu<br />

dem Konzern mit rd. 100.000 Mitarbeitern gehört mit Random<br />

House die größte Publikumsverlagsgruppe der Welt, die rd. 6000<br />

Mitarbeiter beschäftigt.<br />

„Das Historische Archiv des Börsenvere<strong>in</strong>s des deutschen Buchhandels<br />

– e<strong>in</strong> Branchenarchiv?“ fragte Hermann Staub, seit 1986<br />

Archivar des Börsenvere<strong>in</strong>s. Am Beispiel des Bergbau-Archivs<br />

Bochum erläuterte er e<strong>in</strong>gangs die Charakteristika e<strong>in</strong>es Branchenarchivs<br />

und stellte dann die wechselvolle und komplizierte<br />

Bestandsgeschichte und die Sammlungsgrundsätze <strong>in</strong> der Deutschen<br />

Nationalbibliothek Frankfurt vor. Teile der Buch- und<br />

Archivbestände bef<strong>in</strong>den sich heute im Sächsischen Staatsarchiv<br />

– Staatsarchiv Leipzig, im Deutschen Buch- und Schriftmuseum<br />

bei der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig, <strong>in</strong> der Deutschen<br />

Nationalbibliothek Frankfurt sowie im Institut <strong>für</strong> Stadtgeschichte<br />

Frankfurt. Staub beantwortete die im Vortragstitel gestellte<br />

Frage mit e<strong>in</strong>em „Je<strong>in</strong>“ und diagnostizierte abschließend e<strong>in</strong>en<br />

signifikanten Verlust von historischem Bewusstse<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Buchund<br />

Verlagsbranche.<br />

Wichtige Verlagsbestände bef<strong>in</strong>den sich nicht nur <strong>in</strong> <strong>Archive</strong>n.<br />

Das verdeutlichte auch der Beitrag von Ralf Breslau über „Verlagsarchive<br />

des 18. bis 20. Jahrhunderts. Verwaltung und Erschließung,<br />

gezeigt u. a. an den <strong>Archive</strong>n des Walter de Gruyter-<br />

Verlages, des Nachlasses Friedrich Nicolais sowie des Archivs des<br />

Aufbau-Verlages <strong>in</strong> der Staatsbibliothek zu Berl<strong>in</strong>“. Die Verlagsarchive<br />

s<strong>in</strong>d der Handschriftenabteilung und dort den „Nachlässen<br />

und Autographen“ zugeordnet. 5 Seit etwa 2004 erfolgt die E<strong>in</strong>gabe<br />

der Verzeichnungse<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Kalliope, der zentralen Datenbank<br />

<strong>für</strong> Nachlässe und Autographen <strong>in</strong> Deutschland. Gegenwärtig<br />

nutzen rd. 50 Institutionen e<strong>in</strong>e Redaktionsschnittstelle von<br />

Kalliope zur Erfassung und Pflege ihrer Daten. Die im Verbundkatalog<br />

Kalliope erfassten Daten s<strong>in</strong>d mit normierten Personenund<br />

Körperschaftsdaten verknüpft und nach den Regeln <strong>für</strong> die<br />

Erschließung von Nachlässen und Autographen (RNA) erschlossen.<br />

6 Bemerkenswert waren die Ausführungen Breslaus zur<br />

Verfilmung und Digitalisierung des Archivs des Aufbau-Verlages,<br />

die <strong>in</strong> Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt <strong>für</strong> Bevölkerungsschutz<br />

und Katastrophenhilfe, der Aufbau Verlagsgruppe<br />

GmbH, der Firmen MFM Hofmaier GmbH & Co. KG und<br />

Mikro-Univers GmbH sowie der Staatsbibliothek zu Berl<strong>in</strong> 2006<br />

abgeschlossen werden konnten. 1,2 Millionen Blatt wurden<br />

zunächst digitalisiert; ausgehend von den Digitalisaten entstanden<br />

Sicherungsfilme, die im Barbarastollen bei Freiburg i. Br.<br />

e<strong>in</strong>gelagert s<strong>in</strong>d. Die Digitalisate können <strong>in</strong> der Staatsbibliothek<br />

zu Berl<strong>in</strong> genutzt werden. 7<br />

In se<strong>in</strong>em die Tagung abschließenden Vortrag stellte Nicolai<br />

Riedel von der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs ausführlich<br />

die dort <strong>in</strong>tegrierten Produktionsarchive von Verlagen<br />

vor. Die <strong>in</strong>sgesamt rd. 31.000 Mediene<strong>in</strong>heiten, die den „verlagsorientierten<br />

Sammlungen“ zugeordnet werden, bilden rd. 4 % des<br />

gesamten Buchbestandes.<br />

E<strong>in</strong>e abschließende Diskussion war im Programm nicht vorgesehen<br />

und fand angesichts der fortgeschrittenen Zeit auch nicht<br />

statt. Zum Bedauern zahlreicher Teilnehmer, denn im Verlauf der<br />

Tagung waren e<strong>in</strong>ige zu diskutierende Fragen aufgeworfen<br />

worden. Genannt seien die aus Sicht der Verf. wichtigsten:<br />

1. Was ist e<strong>in</strong> „Verlagsarchiv“? S<strong>in</strong>d damit alle Unterlagen <strong>in</strong>klusive<br />

der Publikationen geme<strong>in</strong>t, die bei e<strong>in</strong>em Verlag entstehen?<br />

S<strong>in</strong>d die Publikationen (auch „Bucharchiv“ oder „Produktionsarchiv“<br />

genannt) geme<strong>in</strong>sam mit dem Schriftgut zu archivieren?<br />

S<strong>in</strong>d Unterlagen aus den Bereichen Herstellung oder<br />

Vertrieb überhaupt archivwürdig oder soll man sich auf die<br />

Verlagsleitung, Autorenkorrespondenzen und Manuskripte<br />

konzentrieren? Fragen der Bewertung und Bestandsbildung<br />

also, die <strong>für</strong> die Überlieferung von Verlagen bisher kaum<br />

öffentlich und nachvollziehbar diskutiert worden s<strong>in</strong>d – dass<br />

die Positionen hierzu erheblich differieren, wurde auf der<br />

Tagung sehr deutlich. 8<br />

2. Wie kann man das Bewusstse<strong>in</strong> der Verlage <strong>für</strong> den kulturgeschichtlichen<br />

Wert ihrer Unterlagen schärfen und wer ist <strong>für</strong><br />

die Archivierung zuständig? Hier wurde nun sehr klar artikuliert,<br />

dass der Strukturwandel, wenn nicht gar „Strukturbruch“,<br />

9 im deutschen Verlagswesen negative Folgen zeitigt –<br />

die Identifikation des Verlegers mit „se<strong>in</strong>em“ Verlag schw<strong>in</strong>det,<br />

wichtige Dokumente der eigenen Geschichte werden vernachlässigt,<br />

vergessen und vernichtet. 10 Für die weit überwiegende<br />

Mehrheit der Verlage gibt es aber ke<strong>in</strong>e archivische „Zuständigkeit“<br />

– dem Verlagsunternehmen ist es freigestellt, ob es se<strong>in</strong>e<br />

Unterlagen – und falls ja, durch wen – archivieren lässt. So

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