Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen
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ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009<br />
LITERATURBERICHTE<br />
unterschiedlichen Artefakte der Architekturproduktion gelegt,<br />
zugleich aber – eher unausgesprochen – wieder verstärkt der<br />
Architekt <strong>in</strong> den Mittelpunkt gerückt, nachdem die E<strong>in</strong>leitung<br />
hier auch die breitere Diskussion anderer Akteure des Bauwesens<br />
(und deren Spezifika) erwarten ließ.<br />
Die folgenden zwei Kapitel (von <strong>in</strong>sgesamt acht) gehen dann detaillierter<br />
auf die unterschiedlichen Materialien architekturbezogener<br />
Bestände e<strong>in</strong>. Obwohl die Autoren e<strong>in</strong>gangs auch hier den<br />
Blickw<strong>in</strong>kel weiten und ausdrücklich neben den projektbezogenen<br />
Unterlagen auch diejenigen e<strong>in</strong>beziehen, die etwa mit der Betriebsführung<br />
e<strong>in</strong>es Büros oder dem privaten Netzwerk e<strong>in</strong>es Planers<br />
zu tun haben, geht es hier im Weiteren vorrangig um den Entwurfsprozess<br />
und dessen H<strong>in</strong>terlassenschaften. Im zweiten Kapitel<br />
stellt Lowell die Phasen der Architekturproduktion (wiederum<br />
primär bezogen auf Architekturbüros) und die jeweils dabei entstehenden<br />
Unterlagen vor, im dritten Kapitel schreitet Nelb die<br />
e<strong>in</strong>zelnen Kategorien ab – vor allem Zeichnungsformen, von der<br />
Präsentationszeichnung bis zum Werkplan. Bei beiden Kapiteln<br />
hätte sich vielleicht e<strong>in</strong>e zusammenfassende Straffung angeboten,<br />
zumal die hier <strong>in</strong>sgesamt etwas an der Oberfläche bleibende Darstellung<br />
eher etwas <strong>für</strong> diejenigen Leser bereithält, die kaum etwas<br />
von Architektur und deren Produktionsweise wissen.<br />
Dichter wird die Darstellung im vierten Kapitel, das mit „Bewertung“<br />
überschrieben ist. Die eigenständige Bewertung der Archivwürdigkeit,<br />
die gerade die u. a. durch e<strong>in</strong>e Ausweitung der Reproduktionstechniken<br />
stark angewachsenen jüngeren Architekturbestände<br />
größerer Architekten- und Ingenieurbüros, Baufirmen und<br />
Verwaltungen bedürfen, ist hier zentrales Thema.<br />
Die oberste Ebene bei der Bewertung stellt, so Lowell, das Sammlungskonzept<br />
des Archivs dar, das idealerweise diejenigen Bestände<br />
def<strong>in</strong>iere, deren Übernahme grundsätzlich angestrebt sei –<br />
auch, um bei unangefragt angebotenen Beständen e<strong>in</strong>e bessere<br />
Handhabe <strong>für</strong> Ablehnungen zu haben. Ausdrücklich enthalten ist<br />
auch der <strong>in</strong>teressante H<strong>in</strong>weis, dass bei der Auswahl auch nach der<br />
Verankerung des jeweiligen Bestandsbildners im professionellen<br />
und sozialen Netzwerk zu fragen sei, um „bedeutendere“ potentielle<br />
Bestandsgeber nicht abzuschrecken (S. 72). Empfohlen werden<br />
die Verknüpfung mit berufsständischen Organisationen und die<br />
Bildung von beratenden Kuratorien, allerd<strong>in</strong>gs ohne dass Auswirkungen<br />
solcher Strukturen auf die flächendeckende Archivpraxis<br />
(etwa durch homogenisierende Tendenzen) diskutiert werden.<br />
Auch <strong>in</strong> diesem Kapitel werden die personenbezogenen Unterlagen<br />
e<strong>in</strong>es Planers nur kurz angerissen, e<strong>in</strong>gehender wird der Umgang<br />
mit projektbezogenen Unterlagen betrachtet. Auswahlprozesse – so<br />
Lowell – seien dabei vor allem <strong>für</strong> materialreiche Projekte notwendig,<br />
wobei der ursprünglichen Planung e<strong>in</strong>es Bauwerks Vorrang<br />
vor späteren Umbauten und Ergänzungen, dem Planorig<strong>in</strong>al<br />
Vorrang vor Kopien e<strong>in</strong>geräumt wird. Hier gilt Lowells besonderes<br />
Augenmerk den Planbeständen, da ihre Lagerung besonders<br />
aufwändig sei; Lowell gibt hier wie auch zu anderen Materialgruppen<br />
H<strong>in</strong>weise <strong>für</strong> Auswahlkriterien. Die schwierige Balance<br />
zwischen allgeme<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weisen zur Archivwürdigkeit, die Bestände<br />
unter Umständen nach e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>heitlichen Muster abmagern<br />
(siehe Liste S. 84-85), und e<strong>in</strong>er Vielfalt der Überlieferung, die<br />
an geeigneter Stelle z. B. (von Lowell im Grundsatz verschmähte)<br />
Installations- und Detailplanungen bewahrt, kann auch Lowell<br />
nicht gänzlich lösen: Gerade <strong>für</strong> existierende Gebäude mit umfangreicheren<br />
Unterlagen wird letztlich die eher klassische Reduktion<br />
auf e<strong>in</strong>en Kernbestand um die ausgeführte Planung<br />
herum empfohlen. H<strong>in</strong>tergrund <strong>für</strong> diese Unterscheidung zwi-<br />
schen gebauter/vorhandener und ungebauter Architektur ist<br />
dabei erkennbar e<strong>in</strong>e (zukünftige) Nutzung der Archivalien auch<br />
als Quellen <strong>für</strong> den Umgang mit den Bauten selbst (von Lowell<br />
exemplarisch ausgeführt an Fundamentplänen) – e<strong>in</strong>er von<br />
sieben vorgeschlagenen Faktoren <strong>für</strong> die Planauslese.<br />
Das folgende fünfte Kapitel ist der Archivpraxis <strong>für</strong> architekturbezogene<br />
Bestände nach dem Provenienzpr<strong>in</strong>zip, den unterschiedlichen<br />
Formaten und Objektgruppen gewidmet. Für die persönlichen<br />
wie auch die betrieblichen Unterlagen wird e<strong>in</strong>mal mehr auf<br />
die Pr<strong>in</strong>zipien verwiesen, die <strong>für</strong> solche Bestände erarbeitet seien.<br />
Für die projektbezogenen Archivalien h<strong>in</strong>gegen wird e<strong>in</strong>e Beschreibungshierarchie<br />
skizziert, wobei Lowell e<strong>in</strong>e – arbeitsextensive –<br />
Beschreibung auf Projektebene favorisiert; e<strong>in</strong>e Verzeichnung etwa<br />
auf Planebene wird mit dem H<strong>in</strong>weis verworfen, dass der Nutzer<br />
zumeist ohneh<strong>in</strong> alle Pläne zu e<strong>in</strong>em Projekt sehen wolle. Entsprechend<br />
knapp fällt die Diskussion zu Datenbanken und deren<br />
Nutzung aus.<br />
Auch im sechsten Kapitel von Nelb zu schädigenden E<strong>in</strong>flüssen<br />
auf architekturbezogene Archivalien, deren Konservierung und<br />
Restaurierung, f<strong>in</strong>den sich eher e<strong>in</strong>führende Erläuterungen als<br />
vertiefte fachliche H<strong>in</strong>weise, wobei konsequenterweise auf die<br />
E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung von Fachrestauratoren verwiesen wird. Abermals<br />
steht der Plan im Mittelpunkt, es werden H<strong>in</strong>weise zur liegenden<br />
Aufbewahrung wie zur Rollenlagerung gegeben, und abschließend<br />
wird kurz – unter eher technischen Gesichtspunkten – auf die<br />
Reproduktion mittels Fotografie, Mikrofilm und Digitalisierung<br />
e<strong>in</strong>gegangen. Daran knüpft das siebte Kapitel an, das nun e<strong>in</strong>zelne<br />
Planträgermaterialien (sowohl <strong>für</strong> Zeichnungsorig<strong>in</strong>ale als<br />
auch <strong>für</strong> Kopien) mit Angaben zur Beständigkeit und zu Restaurierungstechniken<br />
vorstellt. Gerade hier offenbart sich der<br />
Handbuchcharakter mit kompakten Informationen. E<strong>in</strong>gebettet<br />
ist e<strong>in</strong> ausführlicher Abschnitt, der sich mit der Konservierung<br />
digitaler Daten, <strong>in</strong>sbesondere CAD, und den unterschiedlichen<br />
US-amerikanischen Initiativen <strong>in</strong> diesem Feld beschäftigt. Der<br />
Bezug zu den Nachlassgebern zeigt sich hier <strong>in</strong> Ratschlägen, wie<br />
e<strong>in</strong>e dauerhaftere Archivierung durch e<strong>in</strong> entsprechendes Archivierungsverhalten<br />
der Bestandsbildner unterstützt werden könne<br />
– etwa durch e<strong>in</strong> Speichern von bedeutsamen Projektphasen <strong>in</strong><br />
potentiell langlebigeren Formaten wie TIFF oder PDF. Im letzten,<br />
achten Kapitel schließlich werden – teilweise wiederum eher<br />
allgeme<strong>in</strong>e – H<strong>in</strong>weise zur allgeme<strong>in</strong>en Archivpraxis gerade unter<br />
den Bed<strong>in</strong>gungen „unhandlicher“ Archivalien gegeben. Drei<br />
Anhänge – darunter e<strong>in</strong>e Kategorisierung architekturbezogener<br />
Materialien – und e<strong>in</strong>e Bibliographie neuerer US-amerikanischer<br />
Literatur zum Thema schließen das Buch ab.<br />
Den <strong>in</strong>tendierten Charakter e<strong>in</strong>es Handbuchs erfüllt diese Publikation<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en stärkeren Kapiteln ganz sicher; erkennbar vor<br />
allem auf e<strong>in</strong>e mit dem Bauwesen und dem Entwurfsprozess e<strong>in</strong>es<br />
Bauwerks unerfahrene Leserschaft ausgerichtet, verengt sich die<br />
Darstellung jedoch immer wieder – entgegen e<strong>in</strong>leitend formulierter<br />
Intentionen – auf das Architekturbüro und auf die unterschiedlichen<br />
Planmaterialien. Hier könnte die solide, gute E<strong>in</strong>führung<br />
<strong>in</strong> die Thematik stärker se<strong>in</strong>: Gerade <strong>für</strong> die Bestandsbildung<br />
wichtige Aspekte wie e<strong>in</strong>e Verbreiterung architekturbezogener Forschung,<br />
die nicht mehr nur den Architekten <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Selbststilisierung<br />
als Künstler wahrnimmt und den repräsentativen Plan als<br />
wesentlichen Untersuchungs- und Überlieferungsgegenstand annimmt,<br />
s<strong>in</strong>d nur begrenzt angesprochen. E<strong>in</strong>em beratenden Handbuch<br />
<strong>für</strong> den Architekturarchivar hätte es vermutlich nicht geschadet,<br />
mögliche Sammlungsstrategien (und damit auch Bewer-