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Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen

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402<br />

WIEDERAUFBAU<br />

ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009<br />

ARCHIVTHEORIE<br />

UND PRAXIS<br />

Die Folgen des E<strong>in</strong>sturzes stellen das Historische Archiv vor –<br />

nach Art und Umfang – so umfassende Aufgaben, dass ihnen<br />

nicht im Rahmen der üblichen Aufbauorganisation begegnet<br />

werden kann:<br />

• Wiederzusammenführung der Bestände,<br />

• ihre Restaurierung sowie<br />

• Wiederbenutzbarmachung (zunächst über Schutz- und<br />

Sicherungsmedien sowie ggf. deren Massendigitalisierung)<br />

• und nicht zuletzt der notwendige Neubau<br />

s<strong>in</strong>d zusammen mit e<strong>in</strong>er Reihe von begleitenden Aufgaben als<br />

E<strong>in</strong>sturzfolge wie etwa<br />

• der Koord<strong>in</strong>ation auswärtiger Hilfsangebote,<br />

• der Betreuung der beunruhigten Nachlassgeber und<br />

Depositare,<br />

• der Weiterentwicklung der Archiv-Software und<br />

• der Neuausrichtung der Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu den vorherigen Tätigkeiten h<strong>in</strong>zugekommen. Die klassischen<br />

Tätigkeiten, also v. a. Übernahme und Bewertung, Erschließung<br />

und Benutzung sowohl der neu h<strong>in</strong>zukommenden Bestände<br />

(auch elektronischer Unterlagen) als auch der nach und nach<br />

wieder zugänglich zu machenden geborgenen Archivalien, können<br />

und sollen nicht e<strong>in</strong>gestellt werden. Denn es handelt sich<br />

teils um gesetzliche Pflichtaufgaben, teils um Selbstverständlichkeiten.<br />

Insbesondere die rasche Wiederbenutzbarmachung<br />

möglichst vieler Archivalien ergibt sich schon als Verpflichtung<br />

aus dem E<strong>in</strong>satz der zahlreichen Freiwilligen, die die Bergung<br />

unterstützt haben und schnelle Ergebnisse erwarten.<br />

Um auf diese neue Aufgabenvielfalt reagieren zu können, wurden<br />

die direkt mit den E<strong>in</strong>sturzfolgen zusammenhängenden Arbeiten<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Projektstruktur überführt, die neben der bisherigen, die<br />

laufenden Geschäfte wahrnehmenden L<strong>in</strong>ienorganisation steht.<br />

Beide Bereiche stehen als große, jeweils verschiedene Projektgruppen<br />

oder Fachabteilungen umfassende Organisationse<strong>in</strong>heiten unter<br />

eigener Leitung. Die Archivleitung, der überdies e<strong>in</strong>e wesentlich<br />

verstärkte Verwaltungsabteilung zugeordnet wird, erhält so zwei<br />

Stellvertretungen <strong>für</strong> Projekt und L<strong>in</strong>ie, die sie von manchen<br />

Tagesgeschäften entlasten. Da sich sowohl bei den Fachaufgaben<br />

als auch bei Verwaltung, Haushalt und Personal e<strong>in</strong>e bisher nicht<br />

gekannte Vielfalt und Komplexität ergeben hat, ist so die Voraussetzung<br />

<strong>für</strong> e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Aufgabenteilung geschaffen worden.<br />

Unterstützung und Begleitung des Wiederaufbauprozesses<br />

kommt auch von e<strong>in</strong>em Unternehmensberater sowie von e<strong>in</strong>em<br />

Fachbeirat, der Anfang September durch den Oberbürgermeister<br />

der Stadt Köln konstituiert wurde. Hier s<strong>in</strong>d Experten aus dem<br />

<strong>Archivwesen</strong>, der Restaurierungswissenschaft, von Universitäten<br />

und der Deutschen Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft unter Leitung des<br />

Präsidenten des Landesarchivs NRW versammelt, um die Konzepte<br />

des Historischen Archivs zu begutachten, zu diskutieren<br />

und so dazu beizutragen, dass der vielfältig auf auswärtige<br />

Unterstützung und Kooperation angewiesene Wiederaufbauprozess<br />

im Konsens mit der Fachwelt beschritten wird.<br />

Die Planung ist auf diese Weise angelaufen, jedoch noch ke<strong>in</strong>eswegs<br />

abgeschlossen. Die bevorstehenden komplexen und beispiellosen<br />

Aufgaben wollen gut bedacht se<strong>in</strong>. Gleichwohl soll der<br />

ohneh<strong>in</strong> auf Jahrzehnte angelegte Wiederaufbauprozess so rasch<br />

wie möglich anlaufen, nicht zuletzt um Erfahrungen zu sammeln,<br />

die dann wiederum <strong>in</strong> die Verbesserung der Konzepte und<br />

der Verfahrensweisen e<strong>in</strong>fließen können.<br />

Zunächst wird damit begonnen, die <strong>in</strong> den Asylarchiven e<strong>in</strong>gelagerten<br />

Archivalien zu erfassen. Das Archivgut liegt derzeit <strong>in</strong><br />

Bergungse<strong>in</strong>heiten vor, die mit früheren Archivaliene<strong>in</strong>heiten<br />

identisch se<strong>in</strong> können, aber nicht müssen. Die Bergungse<strong>in</strong>heiten<br />

werden <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er eigens erstellten Datenbank erfasst sowie per<br />

Barcode identifizierbar und auf diese Weise über e<strong>in</strong>e Notsignatur<br />

wieder auff<strong>in</strong>dbar gemacht. Dabei wird sowohl der Versuch<br />

unternommen, so viel wie möglich direkt dem richtigen Bestand<br />

oder der früheren Signatur zuzuordnen. Mit Förderung der<br />

Deutschen Forschungsgeme<strong>in</strong>schaft wurde zur Unterstützung<br />

dieser Aufgabe die Retrokonversion sämtlicher, auch vorläufiger<br />

F<strong>in</strong>dmittel, e<strong>in</strong>geleitet. Gleichzeitig mit der Zuordnung wird auch<br />

e<strong>in</strong> Schadenskataster nach vorgegebenen Kategorien erstellt. S<strong>in</strong>d<br />

Provenienz oder Bestand nicht unmittelbar zu ermitteln, wird die<br />

Bergungse<strong>in</strong>heit virtuell derjenigen Fachabteilung zugeordnet, <strong>in</strong><br />

deren Kompetenz die späteren genauen Recherchen liegen. Durch<br />

die digitale Aufnahme von nicht e<strong>in</strong>deutig zu identifizierenden<br />

Archivalien und deren Speicherung direkt <strong>in</strong> der Datenbank<br />

können diese Zweifelsfälle auch ohne erneuten Zugriff auf die<br />

Orig<strong>in</strong>ale geklärt werden. Auf diese Weise können später die<br />

Fachleute – angestrebt ist hier mittelfristig die E<strong>in</strong>beziehung<br />

auswärtiger Experten durch Web 2.0-Funktionalitäten – direkt<br />

auf die Problemfälle angesetzt werden, während <strong>in</strong> der ersten<br />

Erfassungsphase unterschiedslos Archivar<strong>in</strong>nen und Archivare,<br />

gegebenenfalls unterstützt durch freiwillige Helfer<strong>in</strong>nen und<br />

Helfer, e<strong>in</strong>gesetzt werden können, ohne dass diese mit Spezialfragen<br />

belastet werden.<br />

Sobald diese dezentrale Bergungserfassung e<strong>in</strong>e gewisse kritische<br />

Masse erreicht hat, kann sowohl mit der zunächst virtuellen,<br />

später auch der physischen Zusammenführung der Bestände<br />

begonnen werden. Darüber h<strong>in</strong>aus wird so die Grundlage <strong>für</strong> e<strong>in</strong><br />

systematisches Restaurierungsmanagement geschaffen. Angesichts<br />

der gewaltigen Aufgaben ist hier streng zu priorisieren.<br />

Neben technischen und f<strong>in</strong>anziellen Sachzwängen und Fragen<br />

s<strong>in</strong>d auch Interessen der verschiedenen Benutzergruppen zu<br />

berücksichtigen. Zudem ist zu entscheiden, welchen Teil der<br />

notwendigen Arbeiten wo und durch wen durchgeführt werden<br />

sollen. Angesichts der Mengen liegt es auf der Hand, dass e<strong>in</strong><br />

Drei-Säulen-Modell mit Bearbeitung im Haus, Vergabe an gewerbliche<br />

Restaurierungsbetriebe und Kooperation mit den<br />

Restaurierungse<strong>in</strong>richtungen <strong>in</strong> öffentlicher Trägerschaft zur<br />

Anwendung kommen muss. Umfang und genaue Ausgestaltung<br />

der Anteile <strong>für</strong> jede dieser drei Säulen müssen noch genauer<br />

abgestimmt werden. Sie werden allerd<strong>in</strong>gs immer wieder im<br />

Lichte der tatsächlichen – nicht zuletzt f<strong>in</strong>anziellen – Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

neu zu bestimmen se<strong>in</strong>. Ziel muss es auch se<strong>in</strong>, im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Priorisierung Bestände möglichst vollständig oder <strong>in</strong><br />

möglichst großen Partien geschlossen <strong>in</strong> die Restaurierung zu<br />

geben. Das ist nicht nur wirtschaftlicher, es stellt auch die schnellere<br />

Benutzbarkeit wichtiger Bestände im H<strong>in</strong>blick auf Benutzer<strong>in</strong>teressen<br />

sicher. Wenn nämlich die Kartons mit Bergungsgut<br />

e<strong>in</strong>fach ihrer Lagerreihenfolge nach abgearbeitet würden, würde<br />

erst <strong>in</strong> Jahrzehnten mit der Verfügbarkeit geschlossener Bestände<br />

zu rechnen se<strong>in</strong>. Benutzungsvorhaben wären also vom Zufall der<br />

Lagerreihenfolge abhängig. Deswegen könnten viele Fragestellungen<br />

der Benutzer nicht bearbeitet werden, weil e<strong>in</strong>zelne Akten aus<br />

größeren Beständen <strong>in</strong> den meisten Fällen ke<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Arbeit<br />

ermöglichen. Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d vielfach e<strong>in</strong>zelne Archivaliene<strong>in</strong>heiten<br />

verstreut, und zwar durchaus auch über verschiedene<br />

Asylarchive. E<strong>in</strong> Vorgehen nach Lagerort könnte daher bedeuten,

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