Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen
Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen
Zeitschrift für Archivwesen - Archive in Nordrhein-Westfalen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
428<br />
ARCHIVAR 62. Jahrgang Heft 04 November 2009<br />
LITERATURBERICHTE<br />
ARCHEION<br />
Band 109: Archiwa a prywatnosc. ´´ Hrsg. von der Naczelna<br />
Dyrekcja Archiwów Panstwowych. ´<br />
Warschau 2006. 408 S., kart. ISSN 0066-6041<br />
Der vorliegende Band beschäftigt sich zunächst mit den Problemen<br />
des Schutzes persönlicher Daten, die zwei unterschiedliche<br />
Philosophien beim Umgang mit Archivbeständen sichtbar machen<br />
und das Parlament und die höchsten Entscheidungsträger<br />
<strong>in</strong> Polen berühren. Dabei geht es um den Versuch, die maximale<br />
Öffnung der Dokumente im Interesse ihrer Benutzer und die Respektierung<br />
der Privatsphäre auf e<strong>in</strong>en Nenner zu br<strong>in</strong>gen, und<br />
um die Beantwortung der Frage, ob Personen mit Funktionen im<br />
öffentlichen Leben e<strong>in</strong>en ähnlichen Datenschutz wie andere Bürger<br />
<strong>in</strong> Anspruch nehmen können. Zur Beseitigung hier entstehender<br />
Komplikationen ist e<strong>in</strong>e Präzisierung des geltenden Rechts<br />
erforderlich, die möglichst im E<strong>in</strong>klang mit den Regulierungen <strong>in</strong><br />
anderen Ländern der EU stehen soll. Dieses Anliegen war Thema<br />
e<strong>in</strong>er im November 2005 <strong>in</strong> Warschau organisierten Tagung,<br />
dessen Komplexität die Beiträge von Archivaren aus Polen, Österreich,<br />
Deutschland, Frankreich, Italien und Ungarn widerspiegeln.<br />
Wichtige Aspekte s<strong>in</strong>d die <strong>in</strong> Polen bestehenden Ausnahmen des<br />
direkten Zugangs zu Archivalien, wenn diese jünger als 30 Jahre<br />
s<strong>in</strong>d und der Benutzer ke<strong>in</strong> polnischer Staatsbürger ist, der Umgang<br />
mit Geheimarchiven <strong>in</strong> totalitären Ländern, die im deutschen<br />
Bundesarchiv praktizierte Elastizität <strong>in</strong> der Öffnung personenbezogener<br />
Archivbestände auf Grundlage gesetzlicher Regelungen,<br />
wo<strong>für</strong> das Stasi-Archivgesetz e<strong>in</strong> Beispiel ist, und die Regelung<br />
des Schutzes persönlicher Daten <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es allgeme<strong>in</strong> verb<strong>in</strong>dlichen<br />
Kodexes <strong>in</strong> Italien, der von den staatlichen und privaten<br />
<strong>Archive</strong>n sowie den Repräsentanten der nationalen Historikerverbände<br />
geme<strong>in</strong>sam getragen wird.<br />
Im zweiten, der Restitution von Kulturgütern gewidmeten Teil werden<br />
die Verluste <strong>in</strong> schlesischen Klosterbeständen anhand ihrer<br />
im Staatsarchiv Breslau überlieferten Repertorien – <strong>in</strong>sgesamt 77<br />
Bände – aufgezeigt. Sie wurden <strong>in</strong> der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
im Zusammenhang mit der damals erfolgten Säkularisierung<br />
der schlesischen Klöster und ihres <strong>in</strong> das Breslauer Archiv<br />
gelangten Schriftguts von den preußischen Historikern und Archivaren<br />
Johann Gottlieb Büsch<strong>in</strong>g und Johann Karl Friedrich Jarick<br />
angelegt und zeichnen sich durch e<strong>in</strong>e übersichtliche Gliederung<br />
und detaillierte Informationen aus. Die e<strong>in</strong>zelnen Reposituren werden<br />
<strong>in</strong> ihrer alten Nummerierung aufgeführt, die heute im Breslauer<br />
Archiv nicht mehr gültig ist. Verdienstvoll s<strong>in</strong>d die zahlreichen<br />
Tabellen, <strong>in</strong> denen die Verluste im E<strong>in</strong>zelnen sichtbar gemacht<br />
werden und die dabei zwischen mittelalterlichen und neuzeitlichen<br />
Unterlagen unterscheiden. Die gesamten Verluste werden<br />
auf 9.731 Dokumente beziffert. Infolge der Rev<strong>in</strong>dikation von<br />
Archivgut aus der damaligen DDR 1981 konnten allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>ige<br />
Klosterbestände wieder komplettiert werden. E<strong>in</strong> weiterer zu diesem<br />
Komplex gehörender Beitrag behandelt die Rückgabe französischer<br />
Archivalien aus dem Sonderarchiv <strong>in</strong> Moskau, die e<strong>in</strong>e<br />
lange Odyssee h<strong>in</strong>ter sich haben, wurden sie doch nach ihrer Wegführung<br />
durch die deutschen Okkupanten im Zweiten Weltkrieg<br />
aus Frankreich aus Sicherheitsgründen nach Schlesien verbracht<br />
und fielen dort den Russen <strong>in</strong> die Hände. Dabei handelte es sich<br />
hauptsächlich um Bestände jüdischer Organisationen, Freimaurer<br />
und politischer Parteien, aber auch um Dokumente zur Spionage<br />
und Gegenspionage. Der französisch-russische Vertrag von 1991<br />
sah die Restitution von <strong>in</strong>sgesamt 7.000 lfm. Schriftgut vor, wovon<br />
auf Kosten Frankreichs Mikrofilme zum Verbleib <strong>in</strong> Russland<br />
gefertigt werden sollten. Obwohl diese Aktion erst nach Überw<strong>in</strong>dung<br />
zahlreicher H<strong>in</strong>dernisse realisiert werden konnte, zählt sie<br />
bis jetzt im Vergleich zu anderen Ländern zu den erfolgreichsten<br />
Unternehmen dieser Art.<br />
Der folgende Abschnitt des Bandes analysiert die <strong>Archive</strong> der<br />
kirchlichen Dekanate <strong>in</strong> Russisch-Polen im 19. Jahrhundert, die<br />
aufgrund der damaligen Rechtsverhältnisse <strong>in</strong> die Verfügungsgewalt<br />
der zaristischen Behörden gelangten. Nach dem gescheiterten<br />
polnischen Januaraufstand 1863/64 wurde ihr Schriftwechsel<br />
zunehmend <strong>in</strong> russischer Sprache abgefasst, was als Beleg <strong>für</strong> die<br />
Unterdrückungspolitik der Teilungsmacht im kirchlichen katholischen<br />
Bereich dienen kann. Dagegen führt der Artikel über die Organisation<br />
und Archivbildungsprozesse der Kreisstarosteien <strong>in</strong><br />
der Wojewodschaft Lodz (1945-1950) <strong>in</strong> die ersten Nachkriegsjahre.<br />
Hier wird die unmittelbare Anknüpfung an die Adm<strong>in</strong>istration<br />
der Zweiten Polnischen Republik <strong>in</strong> der Zwischenkriegszeit<br />
deutlich, <strong>in</strong> der die Starosteien die erste Ebene der Staatsverwaltung<br />
gebildet hatten. Im März 1950 wurden sie <strong>in</strong> ihrer bisherigen<br />
traditionellen Form aufgehoben und durch Organe des gleichgeschalteten<br />
kommunistischen Verwaltungsapparats ersetzt.<br />
Danach erfolgt e<strong>in</strong> Blick auf Benutzungsprobleme personenbezogener<br />
Bestände <strong>in</strong> Frankreich – e<strong>in</strong> Beitrag, der eigentlich <strong>in</strong> den<br />
ersten Teil des Bandes gehört hätte. Ihre Ursache liegt <strong>in</strong> den<br />
langen Sperrfristen, die im Archivgesetz vom 3. Januar 1979<br />
festgelegt wurden und gelegentlich zu spektakulären Prozessen<br />
führten. Der Erlass neuer Regularien soll hier Abhilfe schaffen.<br />
Die im Zusammenhang mit dem Projekt „Reconstitution of the<br />
Memory of Poland“ stehenden Berichte über Polonica im Wiener<br />
Diözesanarchiv und im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf belegen die<br />
Dichte der Informationen über die historischen Beziehungen zu<br />
Polen, was im Fall der umfangreichen Düsseldorfer Archivbestände<br />
besonders signifikant ist. Der Schwerpunkt der Überlieferung<br />
liegt <strong>in</strong> der Zeit von den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts<br />
bis 1945, vor allem <strong>in</strong>folge des Zustroms polnischer Industrieund<br />
Wanderarbeiter, aber auch aus älteren Epochen, z. B. über die<br />
polnische Königswahl 1573, f<strong>in</strong>den sich hier H<strong>in</strong>weise.<br />
Im Rezensionsteil wird auf polnischer Seite dem Artikel des bekannten<br />
Gött<strong>in</strong>ger Völkerrechtlers Michael Silani <strong>in</strong> der Archivalischen<br />
<strong>Zeitschrift</strong> 85/2003 über die Folgen der Staatensukzession<br />
<strong>für</strong> die <strong>Archive</strong> auf Grundlage der Wiener Konvention vom 8.<br />
April 1983 besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Kritik wird vor<br />
allem an se<strong>in</strong>en als „Sophistik“ bezeichneten Bemühungen geübt,<br />
Polen das Recht auf den Archivfonds <strong>in</strong> den früheren deutschen<br />
Ostgebieten abzusprechen. Als entscheidendes Kriterium <strong>für</strong> die<br />
Übernahme von Archivalien wird nicht ihr Inhalt, sondern gemäß<br />
dem Grundsatz der territorialen Pert<strong>in</strong>enz der Sitz des<br />
„Aktenbildners“ bezeichnet, e<strong>in</strong>e Theorie, die im Gegensatz zum<br />
<strong>in</strong>ternational anerkannten Provenienzpr<strong>in</strong>zip steht und die Verb<strong>in</strong>dung<br />
der Menschen zu den Akten, die sie produziert haben,<br />
<strong>in</strong>frage stellt.<br />
Die Chronik am Schluss des Bandes gibt Aufschluss über die<br />
wichtigsten Ereignisse im polnischen <strong>Archivwesen</strong> im Jahr 2005.<br />
Erwähnenswert ist hier zunächst e<strong>in</strong>e Konferenz polnischer Archivare<br />
mit e<strong>in</strong>er Delegation des Staatsarchivs des Bezirks Kal<strong>in</strong><strong>in</strong>grad<br />
über die Realisierung des 1991 geschlossenen Vertrags der<br />
Zusammenarbeit beider Seiten, auf der beschlossen wurde, Vertreter<br />
des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz und<br />
der Föderalen Archivverwaltung Russlands im Rahmen e<strong>in</strong>er<br />
<strong>in</strong>ternationalen Konferenz zum Thema „Das archivalische Erbe