Handbuch Um.Welt - Klimawandel, Biodiversität und ... - VNB
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Traditionell halbnomadisch lebende Rentierhalterfamilien haben zwei bis sechs feste Lagerplätze,<br />
die 5 bis 29 Kilometer voneinander entfernt sind. Die Rentierflechte, welche die Rentiere fressen, ist<br />
hochempfindlich <strong>und</strong> wächst aufgr<strong>und</strong> klimatischer Bedingungen ungefähr 1mm pro Jahr. Damit<br />
die Weideflächen nicht übernutzt werden, brauchen Rentiere Mobilität.<br />
Diese ist saisonbedingt <strong>und</strong> sieht wie folgt aus:<br />
· April: Schneeschmelze, aber die Sümpfe sind noch gefroren. Rentiere können sich vom Rentier-<br />
moos ernähren.<br />
· Juni: <strong>Um</strong>zug zum Sommerlagerplatz. Rentiere ernähren sich von Zwergbüschen <strong>und</strong> Sumpfgras.<br />
· September: Ziehen zum Herbstplatz. Die Temperaturen gehen auf -20°C zurück. Rentiere fres-<br />
sen Pilze <strong>und</strong> Rentierflechte.<br />
· Ab November: Winterlager. Rentiere graben Rentierflechte im Schnee aus <strong>und</strong> fressen Schnee<br />
zur Flüssigkeitszufuhr. Im Spätherbst ist die wichtigste Jagdsaison.<br />
Wie ein typischer Alltag einer traditionellen Rentierhalterfamilie aussieht, ist hier von Pascha<br />
erzählt, der in Chanty-Mansijsk wohnt. Er wurde im Alter von 9 Jahren von seiner Familie in die<br />
Stadt mitgenommen, wo er als talentierter Tänzer studieren konnte:<br />
Mein Vater steht um sechs Uhr auf, wenn die Sonne noch nicht aufgegangen ist. Ohne einen Tee<br />
getrunken zu haben, zieht er seinen Wintermantel <strong>und</strong> die Ski an. Er nimmt sein Gewehr mit,<br />
ruft seinen H<strong>und</strong> <strong>und</strong> geht raus, um die Rentiere aus dem Wald zu holen.<br />
Damit die Rentiere nicht zu weit gehen, muss man sie zusammentreiben. Rentiere haben ihre<br />
bestimmten Plätze wo sie Rentierflechte fressen können. Jeden Tag laufen sie ein bisschen<br />
weiter in den Wald, um nach Rentierflechte zu suchen. Mein Vater kennt alle seine Rentiere<br />
beim Namen <strong>und</strong> weiß wie sie aussehen. Es sind etwa 200 Tiere. So merkt er, ob irgendein Tier<br />
fehlt. Mein Vater braucht etwa vier St<strong>und</strong>en, um seine Rentiere zu finden <strong>und</strong> sie ins Camp zu<br />
treiben. Wenn sie das Camp riechen, beeilen sie sich schnell nach Hause zu laufen. Sie haben<br />
Hunger <strong>und</strong> freuen sich auf Fisch, Brot <strong>und</strong> Salz. Während mein Vater die Rentiere sucht, kann<br />
er unterwegs einen Vogel jagen.<br />
Meine Mama steht gleichzeitig mit meinem Vater auf <strong>und</strong> bereitet das Frühstück zu. Es gibt<br />
gewöhnlich einen schwarzen Tee, Fisch vom Vortag <strong>und</strong> Marmelade. Die Beeren dazu wurden<br />
im letzten Sommer gesammelt. Damit sie ein ganzes Jahr über frisch bleiben, gräbt man einen<br />
halben Meter tief ein Loch in die Erde bis der Permafrostboden49 kommt. Im Winter kann man<br />
die Beeren dann rausholen <strong>und</strong> mit etwas Zucker essen.<br />
49 Permafrostboden: gefrorener Unterboden