Handbuch Um.Welt - Klimawandel, Biodiversität und ... - VNB

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2.2.3 Mythologische Weltanschauung 50
Die religiösen Vorstellungen der Chanty und Mansi sind vom Glauben an die Beseeltheit der Natur
und ihrer Elemente geprägt (Animismus 51 ), damit wird den Tieren und Pflanzen eine sakrale
Bedeutung zugesprochen. Sie können Verbindungen zwischen Göttern und Menschen herstellen.
Jeder Fluss und jeder See ist von einer eigenen Gottheit bewohnt, die über die Einhaltung von
Regelwerken für die harten nordischen Lebensbedingungen in der Taiga wacht. Der See Numto ist
für alle Chanty ein Heiligtum. In der Umgebung des Sees befinden sich zahlreiche heilige Orte, von
denen man sagt, dass dort Geister wohnen, die den Menschen helfen, unter den harten nordischen
Lebensbedingungen zu überleben.
Die Ansichten über die Götter- und Geisterwelt variieren unter den Ethnien der Chanty und Mansi
sehr stark. Trotz dieser Vielfalt ist der Schamanismus das verbindende Element der religiösen
Vorstellungen. 52
Neben dem Opfer an Geister und Gottheiten bot der Schamane die Möglichkeit, mit den anderen
Welten zu kommunizieren. Er leitete Rituale und opferte Rentiere und andere Tiere, um die Götter
gütig zu stimmen oder fungierte als Heiler. Dabei konnte er durch Kommunikation mit den anderen
Welten die Ursache von Unglück erklären und entsprechende Lösungen anbieten. Als Schamane
konnte nur jemand bezeichnet werden, der eine Schamanentrommel besaß und mit Geistern der
Unter- und Oberwelt kommunizieren konnte. Die Sowjetregierung hat die Schamanen systematisch
verfolgt, so dass es heute praktisch keine Schamanen mehr gibt.
Außer Schamanen gab es bei den Chanty und Mansi auch andere Personen, die eine Heilungsgabe
besaßen. Es gab Geschichtenerzähler, auch „Märchen-Menschen“ genannt, die, indem sie vor dem
Feuer saßen und ihrem Patienten verschiedene Märchen und Rätsel erzählten, den Grund seiner
Krankheit oder seines Unglücks zu erraten versuchten. Ebenso gab es „Lieder-Menschen“, also
Sänger, die ihre Lieder mit Hilfe eines traditionellen Musikinstruments begleiteten und durch ihre
Musik ihren Patienten heilen wollten. Die „Traum-Menschen“ waren fähig anhand ihrer Träume
die Zukunft vorherzusagen sowie die Gegenwart und die Vergangenheit zu erklären. Wenn sich
ein Mensch an sie wandte und um Hilfe bat, trat der Wahrsager im Traum mit den Geistern der
Wälder, der Flüsse, der Familie oder anderen in Verbindung; am nächsten Morgen konnte er
seinem „Klienten“ mitteilen, welches Opfer welcher Gottheit gebracht werden soll, um gesund und
erfolgreich zu sein.
Die „kleineren“ Heiler und Wahrsagerträumer gibt es immer noch unter den Chanty und Mansi.
Doch die traditionelle Medizin hat inzwischen viel Wissen und Wissende eingebüßt. In der heutigen
Zeit ist die erste Anlaufstelle bei Krankheiten ein ganz normaler Arzt. Oft hört man jedoch eine
traditionelle, oft religiös motivierte Begründung, warum man eine gewisse Krankheit bekommen
hat, beispielsweise: „Sie ist als Frau zu einem männlichen sakralen Ort gegangen und deswegen hat
sie Probleme mit den Beinen.“
50 Soweit nicht anders angegeben: Laux, Lukas: Religion der Ob-Ugren, http://www.wildniscamp.de/.
51 Als Animismus bezeichnet man allgemein schriftlose, in Reinform ausschließlich bei Jäger-Sammler-Kulturen verbreitete
Religionen indigener Völker.
52 Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ): Natur & Mensch im Klimawandel. Beilage: Länderprofile. In:
Nachhaltigkeit hat viele Gesichter, Nr. 8, S. 27.