Handbuch Um.Welt - Klimawandel, Biodiversität und ... - VNB

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Herrscher des Himmels
Texas.
Glühend heiß brennt die Sonne vom Himmel, ein leiser Wind weht abgestorbene, vertrocknete Äste
übers Land. Wolkenlos ist es, die Luft ist erfüllt von erwartungsvoller Spannung. Ein Reporter
mit Laptop unterm Arm und fahrig in die Hose gestopftem Herrenhemd eilt über den schmalen,
planierten Weg. Er darf nicht zu spät kommen, sonst ist sein Job weg. Diese Situation muss er
einfangen, das kommt auf die Titelseite!
Er stößt auf die Gruppe von Menschen, auch die Dorfschule hat sich versammelt. Heute werden
sie eingeweiht, die majestätischen Herrscher des Himmels. Letzte Woche wurde das letze Bauteil
geliefert, heute sind sie startbereit. „3-2-1“, zählt der Bauleiter. Mütter ziehen ihre Kinder beschützend
an die Brust, Männer legen ihren Frauen den Arm um die Schultern. Jetzt geht es los. Die neueste
Technologie ist auch bei ihnen angekommen, in der entlegensten Region von Texas. Mitten in der
Prärie stehen sie fest verwurzelt auf dem sandigen Boden. Noch einmal der Bauleiter: „3-2-1“. Die
Windräder setzen sich in Betrieb. Erst langsam, dann immer schneller.
Wie gebannt starren alle zu den rotierenden weißen Flügeln. Einige fallen sich in die Arme! Der
Fortschritt! In der Ferne taucht eine Kolonie von Vögeln auf. Sie fliegen gen Süden. Direkt auf die
Windräder zu. Kämpfen gegen den Sog, der von den gewaltigen Windrädern ausgeht. Verzweifelt.
Schaffen sie es? Nein! Eines der jüngeren Tiere gerät in den Luftstrudel. Mit einem dumpfen
Geräusch prallt es gegen eines der rotierenden Blätter, taumelt. Fällt zu Boden. Die Kleinsten unter
den Kindern schreien auf. Die Erwachsenen bleiben gelassen. Das ist halt der Preis der neuen
Technologien. Der Bauleiter, der von dem Geschehen gar nichts mit bekommen hat, deutet auf den
großen Scheinwerfer, der an eines der Windräder angeschlossen ist. Er flammt auf. Enthusiastisch
jubelt er: „Es funktioniert, es funktioniert“. Zustimmende Rufe ertönen. Nichts kann den Triumph
des Fortschritts jetzt stören.
Es ist Abend, als die Menge sich zerstreut.
Jetzt, genau ein Jahr später, ist die Ebene leer. Die Hälfte der Bevölkerung, zunächst noch begeistert,
ist vertrieben durch das ständige Lärmen der Windräder. Große Industrieanlagen wurden dazu
gebaut. Einöde. Menschenleer. In Washington ist die Regierung begeistert: „Die Integration
erneuerbarer Energien ist erfolgreich“.
Doch Lebensräume wurden zerstört. Was ist wichtiger? Was ist das kleinere Übel? Welchen Wert
haben die Menschen? Was geschieht mit den Zugvögeln?
Wer ist der Herrscher des Himmels? Der Fortschritt?
Autorin: Karima Jasmin Dziallas, 15 Jahre, Integrierte Gesamtschule List, Hannover, 2009