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Handbuch Um.Welt - Klimawandel, Biodiversität und ... - VNB

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2.3 Aktuelle Situation der Chanty <strong>und</strong> Mansi<br />

In der Zeit der Sowjetunion wurde die traditionelle Lebensweise der Chanty <strong>und</strong> Mansi mit den<br />

dazugehörigen Elementen wie Musik, Ritualen <strong>und</strong> traditionellen Glaubensvorstellungen massiv<br />

zurückgedrängt. 60 Nur 600 Familien aller Indigenen im Chanty-Mansischen Autonomen Kreis<br />

verdienen ihren Unterhalt mit den traditionellen Gewerben, das heißt nur 1 bis 2% der Indigenen<br />

leben im Wald von Rentierzucht, Fischfang sowie Jagd <strong>und</strong> repräsentieren damit die traditionelle<br />

Lebensweise. 61<br />

Die Mehrzahl der Indigenen lebt in Dörfern <strong>und</strong> Siedlungen, die während der Sowjetzeit gegründet<br />

wurden, um die in der Taiga verstreut lebenden oder in der T<strong>und</strong>ra nomadisierenden Rentierzüchter<br />

<strong>und</strong> Fischer anzusiedeln. Hier sind die Konflikte am deutlichsten, die mit der ökonomischen <strong>und</strong><br />

sozialen Marginalisierung der indigenen Bevölkerung im Zuge der Industrialisierung Westsibiriens<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Arbeit ist nur in den wenigen staatlich subventionierten Institutionen vorhanden.<br />

Staatlich organisierter Fischfang, Jagd <strong>und</strong> Rentierzucht in großen Staatsbetrieben ist auf ein<br />

Minimum zusammengeschrumpft <strong>und</strong> nur noch in wenigen Gebieten möglich. Die Einnahmen durch<br />

Fischfang in stark verschmutzten Flüssen, durch Sammeln von Beeren <strong>und</strong> durch die Pelztierjagd<br />

sind aber so gering, dass sich niemand davon ernähren kann. Die einzige Chance für die Bewohner<br />

der Siedlungen scheint in der Aneignung des Lebensstils der russischsprachigen Gesellschaft zu<br />

liegen. Junge Frauen versuchen Männer aus der Stadt zu heiraten, um der Misere zu entkommen.<br />

Nicht selten ist die Flucht in den Alkohol die andere Alternative. Das Prestige der Indigenen in<br />

der urbanen Sphäre ist weiterhin sehr gering. Immer noch gelten die Indigenen – <strong>und</strong> zum Teil<br />

haben sie diese Bewertungen auch in ihr eigenes Selbstbild integriert – als arme, alkoholabhängige<br />

Individuen ohne Kultur. Selbst indigene Intellektuelle sprechen in Bezug auf die Dorfbevölkerung<br />

von „Verlumpung“ beziehungsweise Verelendung.<br />

Nach dem Zerfall der Sowjetunion erhielten die Nomaden ihren Status als „Ureinwohner“ zurück. 62<br />

Ölfirmen sponsern kulturelle Festivals <strong>und</strong> Volksfeste um ihr Image zu verbessern <strong>und</strong> Konflikte<br />

mit den Indigenen, die im Wald leben, zu vermeiden. 63<br />

Zu Beginn der 90er Jahre gründeten indigene Intellektuelle eine Vielzahl von gesellschaftlichen<br />

Institutionen. Zu nennen ist hier die Assoziation „Rettung Jugras“ oder das ob-ugrische Institut<br />

angewandter Forschung <strong>und</strong> Entwicklung. Die Organisationen dienen u.a. als Dach für kulturelle<br />

Lobbyarbeit <strong>und</strong> für kulturelle Initiativen, wie zum Beispiel der Gründung von Folklorearchiven<br />

in indigenen Siedlungen. Indigene PolitikerInnen <strong>und</strong> AktivistInnen versuchten die „traditionelle<br />

Lebensweise“ der Indigenen in der Gesellschaft populär zu machen.<br />

60 Fedotova, Elena T. u. Potpot, Rimma M. übersetzt von Ina Schröder <strong>und</strong> http://www.etnic.ru/, September 2009.<br />

61 Schröder, Ina (2008), S. 20f. u. 43.<br />

62 Starobin, Paul: Ab nach Sibirien! Öl lässt Russlands Norden leuchten. In: National Geographic Deutschland (2008), S. 70.<br />

63 Schröder, Ina (2008), S. 46.<br />

43

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