Niedersächsisches Kultusministerium Einheitliche ...
Niedersächsisches Kultusministerium Einheitliche ...
Niedersächsisches Kultusministerium Einheitliche ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
EPA in der Abiturprüfung für die Unterrichtsfächer BW mit REW/C, IV, VW im FG – Wirtschaft –<br />
Anlage 2<br />
Quelle: Der Spiegel, Nr. 30/2001<br />
„Der Massenprotest gegen den Globalkapitalismus scheint die Regierenden so zu<br />
verblüffen wie weiland der Aufstand der DDR-Bürger die SED-Größen. Die Bewegung<br />
habe „nichts Demokratisches an sich“, beklagte der britische Premier Tony<br />
Blair und hielt den Demonstranten entgegen, dass „die Globalisierung doch keine<br />
Bedrohung“ sei. Vielmehr mehre der internationale Handel den Wohlstand und<br />
trage zur Lösung vieler Probleme bei. Er verstehe nicht, so Blair, „warum diese<br />
Ideen von der Straße angegriffen würden“.<br />
Die Erklärung ist einfach: Die Demonstranten glauben Blair und seinen Kollegen<br />
nicht mehr. Denn seit Jahren kommen die Regenten der führenden Industrieländer<br />
in zentralen Zukunftsfragen der Menschheit nicht voran:<br />
Beispiel Finanzmärkte: Nach „der schlimmsten Finanzkrise seit Ende des zweiten<br />
Weltkrieges“ (Bill Clinton), die 1997/98 in den betroffenen Staaten Asiens<br />
und Südamerikas viele Millionen Menschen zurück in die absolute Armut stieß,<br />
versprachen die politischen Führer der Industrieländer beinahe unisono eine<br />
grundlegende Reform zur Stabilisierung der Kapitalflüsse und Devisenkurse.<br />
Doch alle wirksamen Vorschläge scheiterten an der Furcht der Regierungen vor<br />
dem gut organisierten Widerstand der Finanzindustrie.<br />
Beispiel Steuerflucht: Steueroasen wie die britischen Cayman-Inseln, die Niederländischen<br />
Antillen oder Liechtenstein geraten zusehends zu einem schwarzen<br />
Loch der Weltwirtschaft, in dem nach Schätzungen des Internationalen<br />
Währungsfonds (IWF) private Vermögen im Umfang von über fünf Billionen<br />
Dollar gebucht sind, um die Erträge steuerfrei kassieren zu können. Allein dem<br />
deutschen Fiskus entgehen so mindestens zwölf Milliarden Mark jährlich. Doch<br />
alle Initiativen, die so genannten Off-Shore-Finanzplätze stillzulegen, scheiterten,<br />
weil die Regierungen nicht die Kraft aufbringen, dieses Privileg der Reichen<br />
anzutasten.<br />
Beispiel Armutsbekämpfung: Seit Jahrzehnten steht die Minderung der Armut<br />
in Entwicklungsländern ganz oben auf der Agenda der G-7-Staaten und der<br />
von ihnen gelenkten Finanzinstitutionen Weltbank und IWF. Aber bis heute<br />
verfehlt die Mehrzahl aller Weltbank- und IWF-Programme dieses Ziel, weil sie<br />
auf die Interessen der Exporteure und der Finanzindustrie in den Industrieländern<br />
zugeschnitten sind und vielfach undemokratische Regime stützen.<br />
Folgerichtig entzündet sich der Widerstand primär an internationalen Institutionen<br />
wie Welthandelsorganisation (WTO), IWF oder dem Weltwirtschaftsforum in Davos,<br />
wo Konzernchefs und Politiker hinter verschlossenen Türen Entscheidungen<br />
von globaler Reichweite treffen.<br />
Das Urmotiv des Protests, der daraus erwächst, brachte vergangenen September<br />
die tschechische Studentin Katerina Liksova zum Ausdruck, als Präsident Václav Havel<br />
sie und andere Mitstreiter bei der Konferenz von Währungsfonds und Weltbank<br />
zum Dialog in die Prager Burg lud. „Ihr entscheidet über uns und ohne uns“,<br />
schleuderte sie dem anwesenden Weltbank-Chef James Wolfensohn entgegen.<br />
Genau dieser demokratische Impuls ist es, der die sonst gänzlich heterogene Bewegung<br />
antreibt. Dabei führt die Charakterisierung der Gipfel-Demonstranten als<br />
„Globalisierungsgegner“ jedoch in die Irre. Die meisten nutzen nicht nur die globale<br />
elektronische Vernetzung und die Warenwelt, die es ohne die weltweite Arbeitsteilung<br />
gar nicht gäbe. Sie planen und denken auch in globalen Kategorien: Ohne<br />
weltweit geltende Abkommen und Organisationen zu deren Überwachung wäre es<br />
unmöglich, die globalisierte Ökonomie in geregelte Bahnen zu lenken. Darum plädiert<br />
die Mehrzahl der beteiligten Organisationen nicht für die Abschaffung der<br />
globalen Institutionen, sondern für deren grundlegende demokratische Reform.<br />
Dafür allerdings gibt es gute Gründe. Vor allem der IWF und die Weltbank stehen<br />
nicht im Dienst der Menschheit, sondern der USA und ihrer Alliierten. Weil sich die<br />
Stimmen in den Vorständen seit Gründung der Institute vor 57 Jahren nach den<br />
Kräfteverhältnissen bemessen, verfügt die US-Regierung bis heute über die entscheidende<br />
Veto-Macht.<br />
Diese Vorherrschaft haben Amerikas Regenten vielfach skrupellos missbraucht. So<br />
setzte etwa der damalige US-Finanzminister Bob Rubin während der Asienkrise<br />
durch, dass ein Überbrückungskredit für Südkorea mit einem Programm verknüpft<br />
wurde, das die Gläubiger aus den G-7-Staaten aus jeder Mitverantwortung entließ.<br />
93