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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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STIL<br />

Reportage<br />

Selma Elaimy rückt ein letztes Mal<br />

ihr Kopftuch zurecht, dann ist sie<br />

bereit: Inmitten der Gassen rund<br />

um den Galata-Turm in Istanbul, zwischen<br />

flanierenden Touristen und eilenden<br />

Passanten, konzentriert sich die<br />

21 <strong>Jahre</strong> alte Ägypterin auf die Anweisungen<br />

des Fotografen Langston Hues.<br />

Der dreht seine Baseballmütze mit dem<br />

Schirm nach hinten, prüft das Licht und<br />

beginnt, die posierende Selma Elaimy zu<br />

fotografieren. Die Tunesierin Aysha Marzouk<br />

und einige türkische Freundinnen<br />

schauen zu, lange haben sie alle auf diesen<br />

Tag gewartet.<br />

Vor der Kamera von Langston Hues<br />

zu stehen, gilt für viele Musliminnen<br />

als modischer Ritterschlag: Seit sechs<br />

Monaten reist der 26 <strong>Jahre</strong> alte Blogger<br />

aus New York nach Chicago, Dubai, Paris<br />

oder Kuala Lumpur, um für seinen Blog<br />

„Modest Street Fashion“ junge Frauen<br />

zu fotografieren, die islamische Mode<br />

neu interpretieren. „Viele Muslime fassen<br />

Glauben und Spiritualität als Lifestyle<br />

auf. Das äußert sich auch in ihrer<br />

Mode“, sagt Hues, der mit 19 zum Islam<br />

konvertierte. In sozialen Netzwerken<br />

entdeckte er den Trend, der mit der Verhüllung<br />

spielt, das Kopftuch immer wieder<br />

neu inszeniert und dabei westliche<br />

Trends aufnimmt.<br />

Das Kopftuch drückt nicht nur die<br />

Zugehörigkeit seiner Trägerin zum muslimischen<br />

Glauben aus, es soll sie laut<br />

Tradition auch vor den Blicken fremder<br />

Männer schützen. Wenn aus dem Kopftuch<br />

ein knallpinker Turban wird, zum<br />

Schleier hautenge Jeans, High Heels, auffällige<br />

Accessoires und Make-up getragen<br />

werden, entstehen jedoch schnell<br />

Outfits, die Blicke auf sich ziehen.<br />

Mit dem Bild von geduckt vorbeihuschenden<br />

Frauen in dunklen Verhüllungen<br />

haben die Hijab-Trägerinnen, die vor<br />

Langston Hues’ Kamera kokett posieren,<br />

nichts gemeinsam. Konservativen Kritikern<br />

geht das zu weit: Eine muslimische<br />

Frau habe sich zurückhaltend, bescheiden<br />

und vor allem nicht aufreizend zu kleiden<br />

– ein Kopftuch zu einem ansonsten<br />

engen oder auffälligen Outfit erfülle nicht<br />

mehr seinen eigentlichen, religiösen Sinn.<br />

Aysha Marzouk kümmert sich wenig<br />

um derartige Kritik: Sie setzt auf den<br />

Rocker-Look, trägt derbe Stiefel und Lederjacke.<br />

Ein schwarzer Turban umrandet<br />

das Gesicht der 20-Jährigen, in dem<br />

knallrot geschminkte Lippen und Piercings<br />

in Augenbraue und Unterlippe auffallen.<br />

Selma Elaimy trägt zu ihrem im<br />

Nacken gebundenen und in Rosatönen gemusterten<br />

Tuch pinkfarbenen Lippenstift.<br />

Die schmal geschnittene Hose, flache<br />

Herrenschuhe und ein heller Kurzmantel<br />

schaffen eine Sechziger-<strong>Jahre</strong>-Silhouette.<br />

„In der Mode sollte man nicht auf<br />

Trends achten“, sagt Selma Elaimy. „Die<br />

einzige Regel, der ich folge, ist eine religiöse:<br />

Ich bedecke mich.“ Tatsächlich ist<br />

außer ihrem Gesicht und Händen ihr gesamter<br />

Körper bedeckt.<br />

FEDA EID, New York<br />

„HIJAB“ IST ARABISCH und bedeutet<br />

Verhüllung. Im Koran heißt es in Sure<br />

24, dass Frauen ihre Reize mit – je nach<br />

Übersetzung – einem Tuch oder Schleier<br />

bedecken sollen und sie nur vor ihrem<br />

Ehemann und Verwandten entblößen<br />

dürfen. Vom Kopftuch ist jedoch nicht<br />

explizit die Rede. Lediglich die Frauen<br />

des Propheten Muhammad werden in<br />

Sure 33 aufgefordert, auch den Kopf zu<br />

verhüllen, um nicht belästigt zu werden.<br />

Bis heute debattieren Muslime darüber,<br />

ob das Kopftuch eine religiöse Pflicht und<br />

noch zeitgemäß sei. Eine der prominentesten<br />

Stimmen in Deutschland ist die Islamwissenschaftlerin<br />

Lamya Kaddor, die<br />

die Schutzfunktion des Tuches im modernen<br />

Rechtsstaat für obsolet hält.<br />

Dennoch ist es allgegenwärtig: Von<br />

Kairo bis Köln, von Istanbul bis London,<br />

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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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