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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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POSTSCRIPTUM<br />

N°-5<br />

MEHR DENKEN WAGEN!<br />

Es floh einmal eine fleißige Generation<br />

Adenauer mit gestärkten Hemden und<br />

imprägnierten Seelen ins Morgen, weil das<br />

Gestern so braun und böse war. Dann forderte<br />

eine kritische Generation Brandt mit<br />

wehendem Schopf und suchendem Herzen<br />

das Heute, schon weil das ihre Väter ärgerte.<br />

Sie wich der Mauerfall-Generation<br />

Kohl mit weitem Blick und praktischem<br />

Verstand, die kuschelte sich ins Gestern als<br />

Gemütlichkeitsecke für verlorene Identitäten.<br />

Doch was ist heute? Wankt da eine<br />

Generation Merkel im Fließgewand der<br />

Bewusstlosigkeit, ohne Gestern, Heute und<br />

Morgen? Zumindest prägen die Weißräume<br />

des Großkoalitionären die politische Kultur<br />

so stark, dass sich unser Land anfühlt wie<br />

eine Lounge der konfliktfreien Willenlosigkeit.<br />

Wie die Kanzlerin sich selbst, so<br />

definiert sich die Republik nicht mehr durch<br />

das, was sie ist und will, sondern nur noch<br />

durch das, was sie nicht ist und nicht will.<br />

Die Große Koalition avanciert damit<br />

nicht bloß zur langatmigen Regierungsformation,<br />

sie wird zur Signatur unserer Zeit.<br />

Vom Elternabend über das Ikea-Wohnzimmer<br />

bis zum Parteitag wollen sich alle am<br />

liebsten auf einem Quadratmillimeter politisch<br />

korrekter Mitte treffen. Das öffentliche<br />

Streiten ist einem permanenten Koalitionsgespräch<br />

gewichen. Medien setzen<br />

dazu seltsame Prioritäten, die die kritische<br />

Intelligenz immer geringer schätzt, die affirmative<br />

höher und die inszenatorische am<br />

höchsten. Dereinst tobte sogar ein Kampf<br />

um Argumente, woraufhin Politiker, Journalisten,<br />

Staatsbürger über Inhalte Feinde<br />

werden konnten. Vorbei. Heute wollen wir<br />

einander nur lässig gefallen. Entspannung<br />

ist wichtiger als Entdeckung. Das ist nicht<br />

bloß Possierlichkeit der Postmoderne, es ist<br />

der Triumph des Opportunistischen über<br />

die Wahrheit. Wenn aber das Kleid des<br />

Großkoalitionären alles umschmeichelt,<br />

darf man sich dann wundern, dass Politik<br />

wie Medien eine Glaubwürdigkeitskrise<br />

durchleiden? Die Menschen durchschauen<br />

das schillernde Grokokleid als lichtes<br />

Nachthemd.<br />

Das war eine Motivation, als wir vor<br />

zehn <strong>Jahre</strong>n mit <strong>Cicero</strong> Opposition machten.<br />

Opposition nicht gegen Parteien und<br />

Regenten, sondern gegen die Uniformität<br />

des Denkens, gegen die Deformation des<br />

Politischen zum Treibholz der Geschichte.<br />

<strong>Cicero</strong> lud ein zum Wettbewerb der Ideen<br />

und Haltungen. Die Überzeugten und<br />

Überzeugenden haben uns interessiert.<br />

Umso schöner ist es, dass <strong>Cicero</strong> in diesen<br />

zehn <strong>Jahre</strong>n autonomes Denken riskiert<br />

hat und mit einer altmodischen Suche nach<br />

Wahrheit die Supernanny der geistigen<br />

Konformität immer mal wieder auf andere<br />

Gedanken gebracht hat.<br />

WOLFRAM WEIMER<br />

gründete <strong>Cicero</strong> und war von 2004<br />

bis 20<strong>10</strong> Chefredakteur. Heute ist er<br />

Verleger der Weimer Media Group.<br />

Anlässlich des Jubiläums schließt er<br />

diese Ausgabe ab<br />

DIE NÄCHSTE CICERO-AUSGABE ERSCHEINT AM 22. MAI<br />

Illustration: Anja Stiehler/Jutta Fricke Illustrators<br />

138<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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