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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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TITEL<br />

Jubiläum<br />

NACH<br />

DER<br />

EUPHORIE<br />

Von MICHAEL RINGIER<br />

Das Atomium als Mahnmal eines<br />

fast religiösen Technikglaubens:<br />

Gedanken zum Geburtstag einer<br />

gedruckten Zeitschrift<br />

Kohle und Öl verbrennen, das<br />

konnte schon der Neandertaler.<br />

Atomkerne spalten konnte er dagegen<br />

nicht.“ Dieser Satz, zitiert in der<br />

NZZ am Sonntag von Hans Rudolf Lutz,<br />

dem ersten Direktor des Kernkraftwerks<br />

Mühleberg in der Schweiz, erinnert an<br />

eine Zeit, in der man einer neuen Technologie<br />

mit grenzenloser Euphorie begegnete.<br />

Die Energieprobleme schienen<br />

für alle Zeiten gelöst, und laut Wikipedia<br />

träumte man von atomaren Antrieben<br />

für Flugzeuge und Lokomotiven und von<br />

der Entsalzung des Meerwassers oder der<br />

Begrünung der Wüsten dank Atomenergie.<br />

Ultimativer Ausdruck dieser Technologiegläubigkeit<br />

war das Atomium, ein<br />

Gebäude aus neun Atomen als Wahrzeichen<br />

der Weltausstellung 1958 in Brüssel.<br />

Auch die Schweiz legte mit dem Bau<br />

von fünf Atomkraftwerken innerhalb<br />

von 15 <strong>Jahre</strong>n ein Bekenntnis zur atomaren<br />

Energiezukunft ab. Und Michael<br />

Kohn, langjähriger Präsident von Motor<br />

Columbus, einem schweizerischen Energieversorgungsunternehmen,<br />

bekam von<br />

den Medien den Titel „Atom-Papst“ verpasst<br />

– sehr passend zu einem fast religiösen<br />

Glauben an eine neue Technologie.<br />

Wer heute die westlichen Medien zum<br />

Thema Atomenergie durchstöbert, wird<br />

allerdings auf ein ganz anderes Vokabular<br />

stoßen. Das am häufigsten benutzte<br />

Wort heißt „Ausstieg“.<br />

Und was hat das mit unserer Medienwelt<br />

zu tun? Die ersten Atomjahrzehnte<br />

erinnern mich fatal an die Verbreitung<br />

des Internets seit den neunziger <strong>Jahre</strong>n.<br />

Was wurde uns da nicht alles versprochen.<br />

Grenzenlose Freiheit, schrankenlose Offenheit,<br />

unbeschränkte Individualität und<br />

noch viel mehr gesellschaftliches Manna<br />

aus der Internetparadiesbäckerei. Lauter<br />

Zuckerguss. Und was ist heute – ebenfalls<br />

– ein Teil der Realität? Grenzenlose<br />

Datensammlerei, schrankenlose Überwachung<br />

und unbeschränkte Manipulation.<br />

Und in der NZZ am Sonntag eine durchaus<br />

provokative Schlagzeile „Das Ende<br />

des Internets“ – ohne Fragezeichen!<br />

Wenn uns die Geschichte eines gelehrt<br />

hat, dann dies. Die Welt ist nie<br />

schwarz oder weiß. Energie aus Atom<br />

war sicher nie so großartig, wie man uns<br />

weismachen wollte, aber vielleicht auch<br />

nicht dermaßen des Teufels, wie uns das<br />

seit Fukushima gepredigt wird.<br />

Foto: Christian Lanz/Ex-Press<br />

20<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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