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Illustration: Simon Prades; Foto: Travis Daub<br />
Schlachtfeldern aufwachsen – ob sunnitische<br />
Extremisten aus dem Al-Qaida-Lager<br />
oder schiitische Kämpfer der Hisbollah<br />
– werden sich weiter in der Region<br />
ausbreiten und religiösen Hass entfesseln.<br />
Von allen denkbaren Entwicklungen<br />
ist eine am wahrscheinlichsten: Der iranisch-saudische<br />
Stellvertreterkrieg wird<br />
sich ausweiten. Es war immer klar, dass<br />
Iran seine Freunde in Damaskus unterstützen<br />
würde. Wenn sich die religiösen<br />
Spannungen nun verstärken, wird Teheran<br />
versuchen, seine Interessen auch in<br />
Irak und Bahrain durchzusetzen – beides<br />
Länder mit schiitischer Mehrheit – sowie<br />
in Kuwait, Libanon und Jemen, wo größere<br />
schiitische Minderheiten leben. Riad<br />
wird Teheran dies zurückzahlen.<br />
Im besten Fall können die USA begrenzt<br />
beeinflussen, was auf syrischem<br />
Boden geschieht. Sie werden aber sicherlich<br />
alles unternehmen, um einen dritten<br />
Kriegseinsatz im 21. Jahrhundert zu verhindern.<br />
Indem sie aber nicht einmal das<br />
geringste Interesse zeigen, etwas zu unternehmen,<br />
wird Washington nur eines<br />
erreichen: Riad und Teheran ermutigen,<br />
das Machtvakuum zu füllen.<br />
DIE BEDROHLICHSTE AUSSICHT ist, dass<br />
sich der religiöse Konflikt zwischen den<br />
beiden regionalen Großmächten zu einem<br />
neuen nuklearen Rüstungswettlauf<br />
entwickelt. Im Vorfeld der Atomverhandlungen<br />
mit dem Iran in Genf warnten die<br />
Saudis bereits, sie müssten ihre eigene<br />
Form nuklearer Abschreckung schaffen.<br />
Was heißen könnte, dass sie die entsprechende<br />
Technologie von Pakistan kaufen.<br />
Das mag auf den ersten Blick weit hergeholt<br />
klingen. Doch es gibt wenige religiöse<br />
und politische Fehden, die so tief reichen<br />
wie die Spaltung, die Teheran und<br />
Riad entzweit.<br />
Auch werden sich Unruhen, Kämpfe<br />
und Leid nicht auf den Nahen Osten beschränken.<br />
US-Geheimdiensten zufolge<br />
sind mehr als 7000 ausländische Kämpfer<br />
aus nicht weniger als 50 Ländern nach<br />
Syrien gereist, um sich dem Kampf anzuschließen.<br />
Von diesen Kämpfern stammen<br />
mehr als 2000 Rekruten aus Westeuropa<br />
– Tendenz steigend. Tatsächlich<br />
ist die Zahl der Ausländer, die sich den<br />
Kämpfen angeschlossen haben, weitaus<br />
größer als in Afghanistan und Irak, auch<br />
weil es viel einfacher ist, die syrische<br />
Front zu erreichen. Die meisten fliegen<br />
in die Türkei und reisen dann auf dem<br />
Landweg in den Krieg. Extremistische,<br />
mit Al Qaida vernetzte Gruppen nehmen<br />
einen Großteil dieser neuen Fußsoldaten<br />
auf.<br />
Was aber geschieht, wenn diese abgehärteten<br />
Kämpfer und religiösen Fundamentalisten<br />
wieder heimkehren? Nach<br />
Angaben britischer Behörden sind bereits<br />
mehr als 50 solcher Kämpfer nach<br />
Großbritannien zurückgekehrt. Der Leiter<br />
von Scotland Yard glaubt, es sei „fast<br />
unvermeidbar“, dass einer dieser aus Syrien<br />
zurückgekehrten Kriegsveteranen<br />
einen Terroranschlag verüben wird.<br />
Im Irak haben die Regierungstruppen<br />
derweil Falludscha eingekesselt, sie<br />
bereiten einen möglichen Einmarsch in<br />
die Stadt vor. Vor etwas mehr als neun<br />
<strong>Jahre</strong>n haben amerikanische Soldaten in<br />
einer der blutigsten Schlachten seit Vietnam<br />
darum gekämpft, die selbe, von<br />
den gleichen Aufständischen gehaltene<br />
Stadt zu erobern. Diesmal werden irakische<br />
Soldaten gegen die neueste Inkarnation<br />
von Al Qaida antreten, ein<br />
Kampf, bei dem sich Schiiten und Sunniten<br />
gegenüberstehen.<br />
Die USA werden nicht ganz abwesend<br />
sein. Das Pentagon hat angekündigt,<br />
500 Luft-Boden-Abwehrraketen an den<br />
Irak zu verkaufen. Irak war das große<br />
Experiment der Amerikaner: Sie wollten<br />
die Demokratie in den Nahen Osten exportieren.<br />
Heute ist der Irak ihr Kunde.<br />
Seit mehr als einem Jahrhundert<br />
ist der Nahe Osten eine Unruheregion.<br />
Doch es ist ein Unterschied, ob das Gebiet<br />
von Aufständen, Korruption und<br />
Verfall geplagt wird – oder ob es einem<br />
ausgewachsenen Flächenbrand zum Opfer<br />
fällt.<br />
Fast elf <strong>Jahre</strong> nach ihrem Einmarsch<br />
in den Irak sind die USA nicht nur mit<br />
dem Versuch gescheitert, die Region zu<br />
demokratisieren. Sie haben auch noch<br />
dazu beigetragen, sie in Flammen zu setzen.<br />
Dann haben sie dem Nahen Osten<br />
den Rücken gekehrt.<br />
Übersetzung: Luisa Seeling<br />
WILLIAM J. DOBSON ist<br />
Redakteur bei Slate und Autor<br />
von „The Dictator’s Learning<br />
Curve: Inside the Global Battle<br />
for Democracy“<br />
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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014