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WELTBÜHNE<br />
Hintergrund<br />
Timoschenkos<br />
Wille zur Macht<br />
ist groß, vielleicht<br />
ist er durch die<br />
drei <strong>Jahre</strong> im<br />
Gefängnis sogar<br />
noch größer<br />
geworden<br />
Januko witsch-treuen Abgeordneten und<br />
Politologen ein – die letzte Einladung<br />
stammt vom 20. Februar, einen Tag, bevor<br />
Janukowitsch die Flucht ergriff.<br />
Kirsch ist seit <strong>Jahre</strong>n als Beraterin<br />
für Außenpolitik im Europäischen Parlament<br />
tätig. In dieser Funktion veröffentlichte<br />
sie im August 2011 eine Studie<br />
für die Friedrich-Ebert-Stiftung über die<br />
Vor- und Nachteile des Freihandelsabkommens<br />
mit der EU. Kirschs Ehemann<br />
Robert van de Water, ein ehemaliges Mitglied<br />
der Sozialdemokratischen Fraktion<br />
im EU-Parlament, war seit 2012 außenpolitischer<br />
Berater der ukrainischen Regierung.<br />
Auf Anfragen antwortet Kirsch<br />
inzwischen nicht mehr.<br />
Bei den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen<br />
zeichnet sich ein Zweikampf<br />
zwischen Poroschenko und Timoschenko<br />
ab. Aller Wahrscheinlichkeit<br />
nach werden sie sich im zweiten Wahlgang<br />
gegenüberstehen. Die Liste der<br />
Kandidaten ist weitaus länger.<br />
Unter den 23 Bewerbern sind auch<br />
mehrere Nationalisten, etwa Oleh<br />
Tjahnybok, Chef der nationalistischen<br />
Swoboda-Partei. Er gehörte zum Triumvirat<br />
um Vitali Klitschko und den heute<br />
amtierenden Premier Arsenij Jazenjuk,<br />
die während der Maidan-Proteste die<br />
Verhandlungen mit Janukowitsch führten.<br />
So wie Klitschko haben auch Tjahnybok<br />
die „Handshakes mit dem Diktator“<br />
geschadet. In Umfragen kommt er<br />
nicht über 3 Prozent. 1 bis 2 Prozent<br />
der Ukrainer würden einen Kandidaten<br />
wählen, der noch weiter rechts steht als<br />
Tjahnybok: Dmitri Jarosch, Anführer des<br />
Rechten Sektors. Sein Imagewechsel war<br />
am radikalsten: Der Nationalistenführer,<br />
bis dahin für radikale Auftritte und nationalistische<br />
Rhetorik bekannt, trat plötzlich<br />
mit Anzug und Krawatte vor die verblüfften<br />
Journalisten und erklärte, seine<br />
Bewegung trete gegen Fremdenfeindlichkeit<br />
und Antisemitismus und für das Assoziierungsabkommen<br />
mit der EU ein.<br />
Viele der Präsidentschaftsanwärter<br />
gelten allerdings als sogenannte technische<br />
Kandidaten. „Die haben selber<br />
keine Chance auf einen Wahlsieg – sie<br />
werden von den Favoriten dazu eingesetzt,<br />
um den politischen Gegner direkt<br />
zu attackieren“, erklärt Juri Romanenko,<br />
Politikberater und Besitzer der populären<br />
Onlinezeitung Hwylya. Der völlig<br />
chancenlose Sorjan Schkirjak etwa,<br />
ein enger Verbündeter Timoschenkos,<br />
werde bei diesen Wahlen die Rolle eines<br />
„Spoiler“-Kandidaten gegen Poroschenko<br />
spielen, prognostiziert Romanenko.<br />
„UNSERE STRATEGIE HEISST: das Land<br />
einen“, sagt Igor Gryniw, 53. Der Berater<br />
von Pjotr Poroschenko empfängt in<br />
seinem Büro an der Institutska-Straße<br />
in Kiew. Auf dem Bild hinter ihm spiegelt<br />
sich ein junger Mann in einer Pfütze,<br />
der eine orangene Flagge trägt. „Meine<br />
Wahlstrategie für Juschtschenko 2004<br />
wurde von der amerikanischen Vereinigung<br />
der Politikberater zur besten Strategie<br />
des <strong>Jahre</strong>s gewählt“, erzählt Gryniw<br />
stolz. Seit 1990 ist er in der ukrainischen<br />
Politik, manchmal als Abgeordneter, immer<br />
als Berater, 2006 für Klitschko, 20<strong>10</strong><br />
für Timoschenko.<br />
Diesmal hat Gryniw versucht, Timoschenko<br />
von der Kandidatur abzubringen<br />
– erfolglos. Nun feilt er an der<br />
Strategie für Poroschenko. Der Schokoladenfabrikant,<br />
dessen Vermögen<br />
das amerikanische Wirtschaftsmagazin<br />
Forbes auf 1,3 Milliarden Dollar schätzt,<br />
hat bereits eine lange politische Karriere<br />
hinter sich. Zuletzt war er 2012 Minister<br />
unter Janukowitsch. Dennoch weckt<br />
er weit weniger schlechte Erinnerungen<br />
bei den Ukrainern als seine Konkurrentin<br />
Timoschenko, die als unglaubwürdig<br />
und streitsüchtig gilt. Durch seine<br />
Allianz mit Klitschko hat Poroschenko<br />
seinen größten Nachteil kompensiert –<br />
seine Partei Solidarnost war bislang lediglich<br />
ein Papiertiger. Jetzt kann er auf<br />
Klitschkos funktionierende Parteistruktur<br />
in den Regionen zurückgreifen. Erste<br />
Erfolge gibt es bereits. Gryniw zeigt eine<br />
Grafik der Umfragewerte: Alle Institute<br />
sehen Poroschenko im ersten Wahlgang<br />
deutlich über 20 Prozent, Timoschenko<br />
bei unter <strong>10</strong> Prozent.<br />
Doch Timoschenkos Wille zur Macht<br />
ist groß, vielleicht ist er durch die drei<br />
<strong>Jahre</strong> im Gefängnis sogar noch größer<br />
geworden. Ihr bleibt nur die Attacke. An<br />
ihrer Kampagne ist eine große Zahl ukrainischer<br />
PR-Berater beteiligt, darunter<br />
Taras Beresowjez mit seiner Agentur<br />
Berta Communications. Er ist einer der<br />
erfahrensten Politikberater des Landes.<br />
Ukrainischen Medien zufolge ist auch der<br />
russische Wahlkampfexperte Alexej Sitnikow<br />
an Timoschenkos Strategie beteiligt<br />
– er war es, der ihr im Jahr 2004 den<br />
markanten Haarkranz verpasste und sie<br />
auch bei der Präsidentschaftswahl 20<strong>10</strong><br />
beriet. Bestätigen wollte das Sitnikow<br />
bislang nicht.<br />
Seit ihrer Freilassung ist Timoschenko<br />
in fast jeder Folge von „Schuster<br />
Live“ zu sehen gewesen. Es ist die<br />
wichtigste Talkshow des Landes, jeden<br />
Freitag, vier Stunden, eine Million Zuschauer.<br />
Eine Mischung aus Arabella und<br />
Maybrit Illner, in der sich die führenden<br />
Politiker des Landes seit nunmehr neun<br />
<strong>Jahre</strong>n „Hundekämpfe“ liefern, wie Politikberater<br />
Gryniw sagt. Timoschenko<br />
redet ihre Gegner hier in Grund und Boden,<br />
schimpft auf die „russischen Aggressoren“,<br />
kündigt einen „Kampf gegen die<br />
Oligarchen“ an.<br />
Zu den typisch ukrainischen Tricks<br />
gehört, dass in den Sendungen Timoschenkos<br />
Leute wie ihr Berater Beresowjez<br />
unter den Fragestellern sitzen –<br />
ohne dass er als solcher ausgewiesen<br />
wird. Ähnliche Register zieht aber auch<br />
Poroschenko: In Odessa saß er im April<br />
im Studio eines Regionalsenders und ließ<br />
sich befragen. Der Interviewer war sein<br />
regionaler Wahlkampfleiter in Odessa.<br />
MORITZ GATHMANN berichtet<br />
aus den Ländern der ehemaligen<br />
Sowjetunion. 20<strong>10</strong> verfolgte er<br />
Janukowitschs Wahlkampf, 2014<br />
erlebte er dessen Sturz<br />
Foto: Privat<br />
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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014