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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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SALON<br />

Reportage<br />

Der Zoo<br />

zeigt im<br />

Grunde nur<br />

Banales:<br />

Raubtiere<br />

fressen Tiere<br />

Zoo- und Aquarienvereinigung handeln<br />

und züchten. So hatte auch ein Privatmann<br />

keine Chance, der das Tier für<br />

270 000 Euro erstehen wollte, um es<br />

vor dem Tod zu retten.<br />

Die Sache mit dem Zoo hat Dänemarks<br />

Image einen kleinen Kratzer<br />

verpasst. Die Einwohner Kopenhagens,<br />

Stadt der schönen Häuser und<br />

stilsicheren Menschen, in der sie eine<br />

Sprache sprechen, die immer ein bisschen<br />

klingt, als beuge man sich gerade<br />

zu einem Kind hinunter, sind nun nicht<br />

mehr bekannt für ihr hohes Budget an<br />

Entwicklungshilfe, sondern als Volk der<br />

Giraffenmörder.<br />

Gerade war die Aufregung um Marius<br />

abgeflaut, da wurde vier Löwen Gift<br />

injiziert. Es starben: das 16 <strong>Jahre</strong> alte<br />

Leittier, seine 14 <strong>Jahre</strong> alte Kumpanin<br />

und die zwei gemeinsamen Kinder. Übrig<br />

blieben zwei Löwinnen aus dem Wurf<br />

von 2012. Als potenzielle Mütter einer<br />

neuen Generation Kinder mit „guten Genen“<br />

durften sie leben. Für sie erwarb der<br />

Zoo ein Löwenmännchen aus einem Safaripark<br />

südlich von Aarhus als Partner.<br />

Im Löwengehege ist das neue Männchen<br />

heute nicht zu sehen. Es hat sich in<br />

einer Höhle verkrochen, die in einem Innenkäfig<br />

liegt. Dort, beim Neuankömmling,<br />

befindet sich auch das Futter. Die<br />

Zoostrategen legen es darauf an, dass die<br />

Löwinnen in den Innenkäfig zum Fressen<br />

gehen und sich dort mit dem neuen Gefährten<br />

bekannt machen – es wäre der<br />

erste Schritt zur Familiengründung.<br />

ABER DIE LÖWINNEN meiden den Innenkäfig.<br />

Sie liegen einfach rum. „Miaoo“<br />

schreit ein Mädchen mit pinker Pudelmütze<br />

den Raubkatzen zu. Die haben<br />

sich in den entferntesten Winkel zurückgezogen.<br />

Zwei Wochen lang haben<br />

sie nichts gefressen. Sie sind auf der Hut,<br />

starren auf die Tür zum Innengehege.<br />

Vermutlich können sie riechen, dass dort<br />

ihr Fressen liegt. Aber dort liegt auch er,<br />

der Neue.<br />

Es sei wichtig, dass der neue Löwe<br />

schnell ankomme, hatte der Zoo auf seiner<br />

Internetseite erklärt. Sonst laufe man<br />

Gefahr, dass die Weibchen sich zusammentun<br />

und den Neuen zerfleischen. Löwin<br />

frisst Löwe – es wäre eine neue spektakuläre<br />

Nachricht aus Kopenhagen, die<br />

Tierfreunde würden womöglich Wirtschaftssanktionen<br />

verlangen oder zumindest<br />

ein Eingreifen der Königin.<br />

Wenn die Tiere weiterhin nichts zu<br />

fressen bekommen, gibt es noch die Möglichkeit,<br />

sie zu betäuben und dann zu<br />

trennen. „Wir hoffen wirklich, dass es<br />

nicht so weit kommt“, seufzt eine Zoomitarbeiterin<br />

in grüner Arbeitsmontur.<br />

Ihr Name soll auf keinen Fall genannt<br />

werden. Denn der Zoo hat seine Kommunikationsstrategie<br />

geändert. Als die<br />

Proteste anhielten, verstummten Direktor<br />

Holst und seine Kollegen. „Wir haben<br />

nichts weiter hinzuzufügen“, lautet heute<br />

die Antwort auf Interviewanfragen.<br />

In einem bewaldeten Gehege rennen<br />

zwei Wölfe rammdösig im Kreis herum.<br />

Einige Hundert Meter weiter sehen die<br />

Besucher zwei Störchen dabei zu, wie sie<br />

klappernd und humpelnd mit gestutzten<br />

Flügeln ein Nest in Bodenhöhe bauen. Es<br />

sind Szenen, wie sie sich in jedem Zoo<br />

dieser Welt abspielen: Stolze Tiere werden<br />

in ihrem Bewegungsdrang beschnitten,<br />

sie verlieren ihr natürliches Wesen.<br />

Da liegt der Gedanke nicht fern, dass<br />

das Glück, Nachwuchs zu bekommen,<br />

noch eine Möglichkeit ist, diesen Tieren<br />

eine Art von Sinn im Leben zu geben.<br />

Vielleicht die einzige, die ein Zoo überhaupt<br />

hat.<br />

Weiter geht es. Im Kellergewölbe unter<br />

dem Eisbärengehege lässt sich in einer<br />

Eislochattrappe erleben, wie sich ein Seehund<br />

als Beute fühlt. Es ist wie ein winziges<br />

3-D-Kino für eine Person. Eine Erstklässlerin<br />

geht hinein. Es ist still, nichts<br />

um sie herum. Nur weiße Ferne. Plötzlich<br />

ein Schnaufen und Stampfen. Woher<br />

kommt es? Plötzlich ist da ein Eisbär.<br />

Ganz nah. In letzter Sekunde duckt<br />

sie sich. Wütendes Fauchen, das Mädchen<br />

kreischt. Dann hüpft es strahlend aus der<br />

Kinohöhle.<br />

Eine Ecke weiter dreht sich das Spiel<br />

um: Wer auf einem Bildschirm im richtigen<br />

Moment zuschlägt, erwischt den<br />

aus seinem Eisloch auftauchenden Seehund<br />

und wird mit einer blutigen Splatterszene<br />

belohnt. So vorbereitet, treffen<br />

die Schüler draußen auf den echten Eisbären.<br />

Es riecht nach vergammelndem<br />

Algenmatsch. Der Bär geifert, atmet ein,<br />

atmet aus. Dann brüllt er.<br />

In der für Besucher offenen Tropenküche<br />

sind in Plastikschälchen die<br />

schrumpeligen Kadaver nackter Babymäuse<br />

zur Fütterung abgefüllt. Im Gehege<br />

der scharfzahnigen Wüstenluchse<br />

quillt Hasengedärm aus dem Bauch des<br />

Opfers. In einem Wassergraben sitzt ein<br />

dicker Braunbär, die Füße schauen aus<br />

der Wanne, er spielt mit einem Knochen.<br />

Zooalltag.<br />

Was ist da bloß schiefgegangen mit<br />

dem Kopenhagener Zoo und der Welt?<br />

Vielleicht das: Eine Zoodirektion, die die<br />

Tiere besser kennt als die Menschen, hat<br />

diese zu einer Art Übersprungshandlung<br />

provoziert. An der Massentierhaltung<br />

ändert sich so schnell nicht viel, und die<br />

Currywurst schmeckt weiterhin, da wird<br />

eben der Zoo attackiert. Dabei zeigt der<br />

im Grunde nur Banales. Raubtiere fressen<br />

Tiere, der Tod des Ponys ist das Leben<br />

des Eisbären.<br />

Die Erstklässler laufen vom Ponykopf<br />

lachend zum Affenfelsen. Die gerade<br />

erstandenen Plüscheisbären pressen<br />

sie fest an die Brust.<br />

MARIE AMRHEIN, freie<br />

Autorin, lebt in Niedersachsen<br />

auf einem Hof. Sie staunte,<br />

wie kaltblütig sie der ersten<br />

Schafschlachtung beiwohnte<br />

Foto: Andrej Dallmann<br />

124<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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