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TITEL<br />
Europas goldene Zukunft<br />
8. RECHT UND ORDNUNG<br />
Der europäische Rechtsstaat ist Realität – er garantiert seinen<br />
Bürgern größtmögliche Freiheit und Sicherheit<br />
Von RUPERT SCHOLZ<br />
Obwohl der europäische Einigungsprozess in der<br />
jüngsten Vergangenheit auf viel Kritik gestoßen<br />
ist – von der Eurokrise bis hin zu überzogener<br />
Bürokratie und Kompetenzexpansionismus<br />
bei den Organen der EU –, hat er Grundlegendes<br />
geleistet, vor allem in den Bereichen von Demokratie und<br />
Rechtsstaatlichkeit. Artikel 2 des Vertrags über die Europäische<br />
Union (EUV) bekennt sich ausdrücklich zu den „grundlegenden<br />
Werten“ des Schutzes der Menschenwürde, der Freiheit,<br />
der Demokratie, der Gleichheit, der Rechtsstaatlichkeit<br />
und der Wahrung der Menschenrechte. Artikel 3 des EUV garantiert<br />
den Bürgerinnen und Bürgern der EU „einen Raum<br />
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts ohne Binnengrenzen“.<br />
Dies alles baut auf den gemeinsamen rechtsstaatlichen<br />
und demokratischen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Union auf und verdichtet diese zum<br />
nicht nur gemeinsamen Programm, sondern auch zur verbindlich-gemeinsamen<br />
Gesamtstruktur.<br />
Herausragend ist der Schutz der Menschenwürde und der<br />
Menschenrechte. In ihm liegt der Grundwert nicht nur der Verfassungstraditionen<br />
aller Mitgliedstaaten der EU, sondern auch<br />
der aller modernen Verfassungsstaatlichkeit. In den Anfängen<br />
des europäischen Einigungsprozesses gab es hierzu noch keine<br />
gemeinschaftsrechtlichen Verbürgungen. Aber der Europäische<br />
Gerichtshof hat diese Lücke sehr bald geschlossen und die zentralen<br />
Grundlagen für einen an Menschenwürde und Menschenrechte<br />
gebundenen europäischen Rechtsstaat gelegt. Ihre Vollendung<br />
hat diese Entwicklung über den EUV und den Vertrag<br />
über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie<br />
ganz entscheidend über die Europäische Grundrechtecharta<br />
erfahren. Allerdings hat bereits zuvor die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
aus dem Jahr 1950 für alle Mitgliedstaaten<br />
des Europarats verbindliche Grundrechtsgewährleistungen<br />
festgelegt und in der Zuständigkeit des Europäischen<br />
Gerichtshofs für Menschenrechte auch abgesichert.<br />
In alledem spiegelt sich eine gemeinsame europäische<br />
Rechtskultur wider, die in den vergangenen 200 <strong>Jahre</strong>n Schritt<br />
für Schritt erwachsen wurde und die heute für jedermann in<br />
Europa zur wahrhaftigen Selbstverständlichkeit geworden ist.<br />
Der europäische Rechtsstaat ist heute gesellschaftliche Realität;<br />
niemand in Europa stellt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />
infrage. Wer sich daran nicht hält, untersteht den Sanktionsmechanismen<br />
des europäischen Unionsrechts und kann nicht<br />
Mitglied der EU werden. Die Diskussion um die mitgliedschaftlichen<br />
Ambitionen etwa der Türkei demonstrieren dies in aller<br />
Nachhaltigkeit. Die Europäische Union wahrt Demokratie und<br />
Rechtsstaatlichkeit, und sie findet in diesen Grundprinzipien<br />
moderner Verfassungsstaatlichkeit ebenso die eigene Grundlegitimation<br />
wie die maßgebende integrierende Grundgemeinsamkeit.<br />
Dies alles steht nicht mehr zur Diskussion – und dies<br />
alles gehört zu den ganz großen Leistungen des europäischen<br />
Einigungsprozesses.<br />
Rechtsstaatlichkeit bedeutet für den Bürger Gewähr von<br />
Freiheit und Gewähr von Rechtssicherheit. In freiheitsrechtlicher<br />
Sicht ist der europäische Rechtsstaat fast komplett. In<br />
sicherheitsrechtlicher Hinsicht besteht jedoch noch weiterer<br />
Entwicklungsbedarf. Trotz einiger institutioneller Anfänge,<br />
wie der in Gestalt von Europol, verharrt auch die grenzüberschreitende<br />
Sicherheitspolitik nach wie vor in den Händen der<br />
nationalen Gesetzgeber und nationalen Sicherheitsbehörden.<br />
Immer noch dominiert in der Sicherheitspolitik der nationale<br />
Souveränitätsgedanke. Der in Artikel 3 EUV versprochene gemeinsame<br />
„Raum (auch) der Sicherheit“ muss jedoch ebenso<br />
grundlegend weiterentwickelt und ausgebaut werden. So heißt<br />
jedenfalls die maßgebende Agenda aller künftigen europäischen<br />
Rechtsstaatspolitik.<br />
RUPERT SCHOLZ war Verteidigungsminister im Kabinett von<br />
Helmut Kohl. Der 1937 geborene Jurist ist Rechtsanwalt und<br />
Mitherausgeber des Grundgesetzkommentars Maunz/Dürig<br />
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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014