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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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STIL<br />

Interview<br />

„MERKEL<br />

FRISIERT<br />

SICH<br />

EINE<br />

KRONE“<br />

Haare sind<br />

Schmuck – allerdings<br />

nur, wenn<br />

sie richtig sitzen.<br />

Der Autor Steen<br />

T. Kittl untersucht<br />

die Beziehung<br />

zwischen Mensch<br />

und Frisur<br />

Steen T. Kittl<br />

ist 44 <strong>Jahre</strong> alt, lebt als freier<br />

Autor in Berlin und arbeitet<br />

außerdem als Kreativberater in<br />

der Werbung. „Du hast die Haare<br />

schön“ ist bei Dumont<br />

erschienen und setzt sich mit<br />

dem zeitgenössischen Schönheitswahn<br />

auseinander<br />

Herr Kittl, für Ihr neues Buch „Du hast<br />

die Haare schön“ sind Sie und Ihr Koautor<br />

Christian Saehrendt auf Recherchereise<br />

gegangen. Sie haben sich<br />

in deutschen Salons frisieren lassen,<br />

meist inkognito. Ein ganzes Buch über<br />

Haare – ist das nicht an den Haaren<br />

herbeigezogen?<br />

Steen T. Kittl: Die Idee zu dem Buch<br />

kam uns, als die Show „Germany’s next<br />

Topmodel“ erstmals ausgestrahlt wurde.<br />

Alle aus unserem Freundeskreis schauten<br />

sich die Show damals an, aber lästerten<br />

trotzdem fürchterlich. Und auf<br />

einmal debattierten alle über Schönheit,<br />

Selbstoptimierung, Oberflächendesign –<br />

und Haare gehören dazu. Wir vergleichen<br />

uns mit unwahrscheinlich schönen<br />

Menschen, die uns die Medien präsentieren.<br />

Wir sind kritische Beobachter dieses<br />

Schönheitskults, aber auch Protagonisten<br />

im gleichen System. Der Druck steigt.<br />

Auch auf Männer?<br />

Man bemerkt die forcierten Schönheitsbemühungen<br />

der Männer jedenfalls<br />

auch im Friseursalon. Männlichen Kunden<br />

wird inzwischen oft angeboten, sich<br />

die Augenbrauen korrigieren zu lassen.<br />

Es stößt zwar kein Mann die Salontüre<br />

auf und ruft: „Ich will meine Haare färben“,<br />

aber er setzt sich hin und sagt etwas<br />

wie: „Meine Güte, sehe ich alt aus.“<br />

Dann weiß der Friseur, dass er ein Angebot<br />

machen kann, das Gesicht durch<br />

Farbe frischer wirken zu lassen. Bei Männern<br />

läuft das diskret. Man wird ja auch<br />

heute nicht mehr zwangsläufig mit einem<br />

Turm aus Alufolie auf dem Kopf gefärbt,<br />

es gibt dezente Techniken, etwa<br />

Tönungen, die beim Waschen aufgetragen<br />

werden.<br />

Warum stehen Männer nicht einfach<br />

dazu?<br />

Feminin codierte Praktiken gelten<br />

beim Durchschnitt immer noch als fragwürdig.<br />

Gerhard Schröder hat damals<br />

sogar eine einstweilige Verfügung erwirkt,<br />

um zu verhindern, dass Medien<br />

behaupten, er habe sich die Haare gefärbt.<br />

Wenn man sich die männliche Bevölkerung<br />

in seinem Alter anschaut, haben<br />

viele gefärbte Haare. Berlusconi ist<br />

mit seiner Rundumerneuerung offensiv<br />

umgegangen. Er hat das als disziplinarische<br />

Maßnahme an sich selbst vor den<br />

Medien zelebriert. Dies hat auch Frau<br />

Merkel unter Druck gesetzt, ihr Äußeres<br />

zu verändern.<br />

Inzwischen trägt sie eine Art Helm, der<br />

ihre weichen Gesichtszüge in einem<br />

kantigen Rahmen inszeniert.<br />

Psychologen würden wahrscheinlich<br />

von einer symbolischen Krone sprechen,<br />

die für sie entwickelt wurde: Die Kanzlerin<br />

hat sich krönen lassen. Die Frisur<br />

verleiht ihr etwas Erhabenes. Es war ein<br />

Prozess über Monate, bis sie dort ankam.<br />

Ich würde mich nicht wundern, wenn sie<br />

jeden Tag geföhnt wird. Nun hat sie keine<br />

Frisur mehr, mit der man morgens aufwacht,<br />

sondern eine Frisur, die täglich<br />

hergestellt werden muss.<br />

Wie gefällt Ihnen eigentlich die neue Frisur<br />

der Verteidigungsministerin?<br />

Bei Frau von der Leyen war die Inspiration<br />

„Frische Brise“ oder die eingefrorene<br />

Cabriofrisur. Das soll wohl dynamisch<br />

wirken. Doch wenn sie sich bewegt,<br />

wirkt es steif, man erkennt, dass etwas<br />

fixiert ist, mit Haarspray. Die Bewegung<br />

des Körpers wird missachtet. Ihre alte<br />

Steckfrisur hat mir besser gefallen, sie<br />

war nicht unbedingt ästhetisch ansprechender,<br />

funktionierte aber als Alleinstellungsmerkmal<br />

für eine Politikerin.<br />

Die einzige andere Frau mit der gleichen<br />

Frisur war Elfriede Jelinek. Jetzt<br />

ist die Frisur der Verteidigungsministerin<br />

austauschbar.<br />

Die Frisur von Hillary Clinton wurde bereits<br />

während ihrer Zeit als First Lady<br />

kommentiert: zu kurz, zu lang, zu bieder,<br />

zu jugendlich, zu toupiert. Dann<br />

erteilten ihr die Medien sogar ein<br />

Pferdeschwanz-Verbot.<br />

Sie band den Pferdeschwanz mit<br />

dem falschen Haargummi, ein sogenanntes<br />

Scrunchie, wie es in den Neunzigern<br />

beliebt war. Die Medien machten<br />

daraus ein Scrunchie-Gate. Dass Clinton<br />

als Außenministerin durch verschiedene<br />

Klimazonen flog, deswegen zwangsläufig<br />

verknittert im Flugzeug saß und sich vor<br />

der Kamera mit einem Pferdeschwanz<br />

behalf, wurde ihr übel genommen. Da<br />

geht es auch um Disziplin.<br />

Wir Deutschen lassen unseren Politikern<br />

aber mehr durchgehen!<br />

Fotos: Privat (Autor), DDP Images, Kay Nietfeld/Picture Alliance/DPA, Jochen Lübke/DDP Images/DAPD, Picture Alliance/DPA/Photoshot<br />

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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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