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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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Aber Wladimir Putin hat sich nach so weit entfernten<br />

Beispielen wohl nicht umsehen müssen: 1545<br />

fiel schon Iwan der Schreckliche in die Krim ein, um<br />

dem tatarischen Khan Cangäli zu helfen, der sich in<br />

einer chaotischen Situation gegen Rivalen durchzusetzen<br />

versuchte. So gesehen hat Putins Handeln zaristische<br />

Tradition.<br />

Warum also wurde Putin nicht mit Wilhelm von<br />

Oranien oder mit Kaiser Claudius verglichen? Die Antwort<br />

liegt auf der Hand: Es geht um das Beleidigungspotenzial.<br />

Da können römische Cäsaren und englische<br />

Könige mit Hitler nicht mithalten. Iwan der Schreckliche<br />

wäre schon geeigneter.<br />

Der Verweis auf Hitler, auf das Böse schlechthin<br />

in der Geschichte, ist eindimensional, weil er nichts<br />

weiter ist als ein reflexhaftes Zucken der Rhetorik im<br />

Nachkriegseuropa, das längst jedes reflektierenden<br />

und analytischen Inhalts entleert und zur Anrufung<br />

des Beelzebubs in der Politik verkommen ist. Wenn gar<br />

nichts mehr geht, dann gehen die Nazis immer noch.<br />

Hier wird aus einem hinkenden Vergleich ein gefährlicher.<br />

Wer Putins Strategie mit der Hitlers vergleicht,<br />

der denkt auch die darauffolgenden Ereignisse<br />

mit und will das signalisieren: Damals war das Appeasement<br />

des britischen Premiers Neville Chamberlain<br />

ein schwerer Fehler, der die größeren Schrecken<br />

eines Weltkriegs nach sich zog. Für die Briten war die<br />

Annektierung der Tschechoslowakei in Chamberlains<br />

unsterblichen Worten „ein Disput in einem weit entfernten<br />

Land, zwischen zwei Völkern, von denen wir<br />

nichts wissen“. Ein heutiger Aggressor, so die Implikation,<br />

kann mit Appeasement nicht rechnen.<br />

Für Putin kann das nur eine besonders bittere<br />

Ironie sein. Vom Völkerrecht einmal abgesehen, ist<br />

und bleibt Hitler besonders in Russland eine Art Antichrist,<br />

der Diktator, gegen dessen Blutdurst, Habgier<br />

und Grausamkeit Russland die letzte Bastion war, welches<br />

ihn unter immensen Opfern überwand. Nach einer<br />

ambivalenten Revolution, einem blutigen Bürgerkrieg,<br />

nach Gulags, Schauprozessen und Massenerschießungen<br />

war gerade der tatsächlich heroische Kampf gegen<br />

die Nazis ein Gründungsmythos für die späte UdSSR.<br />

Sie hatte die Welt von einem Tyrannen befreit, litt aber<br />

wirtschaftlich noch immer, während Staaten, die sie<br />

befreit hatte, in ungekanntem Reichtum lebten.<br />

Jetzt von denen, die Russland befreite, mit Hitler<br />

verglichen zu werden, ist eine abenteuerliche Wende,<br />

zumal Putins Entourage überzeugt ist, der Westen<br />

habe Russland seine damaligen Opfer nicht gedankt,<br />

und nur die Sowjetunion sei stark genug gewesen, den<br />

mit militärischen oder kapitalistischen Mitteln vorangetriebenen<br />

expansionistischen Begehrlichkeiten des<br />

Westens die Stirn zu bieten.<br />

Vielleicht schickt es die richtigen Signale an die eigenen<br />

Wähler in Deutschland und den USA, Putin in<br />

die Nähe Hitlers zu rücken, gleichzeitig aber verstellt<br />

Putin nutzt auch<br />

jetzt in der<br />

Ostukraine eine<br />

Strategie, die wir seit<br />

der Antike kennen<br />

und die auch in<br />

Russland Anwendung<br />

gefunden hat<br />

es den Blick auf ein besseres Verständnis der Situation.<br />

Putin handelt aus einer extremen Lesart der russischen<br />

Erinnerung heraus, für die die Krim ohnehin<br />

zu Russland gehört und auch strategisch um keinen<br />

Preis aufgegeben werden kann und die der Welt noch<br />

immer beweisen will, dass Russland nicht herumgeschubst<br />

werden kann, dass ihre Größe und ihre historischen<br />

Opfer die Russen berechtigen, ihre eigenen<br />

Regeln zu machen.<br />

Das sieht der Westen anders. Aber auch unsere<br />

Erinnerung ist eine andere. Auch unser Hitler ist als<br />

das schlechthin Böse zur Chiffre geworden. In Moskau<br />

aber ist er auch eine Chiffre für die Expansion des<br />

Westens und die Demütigung Russlands. Wir sprechen<br />

nicht über dieselbe Vergangenheit, nicht die gleiche Erinnerung<br />

daran. Da hilft es wenig, das eigene Schema<br />

rhetorisch noch stärker festzuzurren.<br />

Putin ist ein Autokrat, der auf unverfroren transparente<br />

Weise die Demokratie benutzt, um eine reaktionäre<br />

und scheinbar von reinen Machtinteressen<br />

diktierte Agenda durchzusetzen. Scheinbar, denn<br />

gleichzeitig geht es ihm wohl darum, das russische<br />

Reich wiederauferstehen zu lassen.<br />

Wir verstehen Putin und unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten<br />

nicht besser, wenn wir historische<br />

Vergleiche bemühen, die mit enormem historischen<br />

Gepäck kommen, die eine gewisse Antwort implizieren<br />

und doch nicht passen wollen. Putin nutzt auch<br />

jetzt in der Ostukraine eine Strategie, die wir seit der<br />

Antike kennen und die auch in Russland Anwendung<br />

gefunden hat: die moralische Rechtfertigung des Aggressors,<br />

der sich als loyaler Beschützer gibt. Wer so<br />

etwas tut, dem geht es um Macht, aber auch um Prestige.<br />

Nur der konsequente Verlust von beidem kann<br />

diesen Appetit zügeln.<br />

PHILIPP BLOM ist Historiker. Er stammt aus Hamburg<br />

und wurde in Oxford promoviert. Seine Bücher,<br />

etwa „Der taumelnde Kontinent“, sind preisgekrönt<br />

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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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