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BERLINER REPUBLIK<br />

Porträt<br />

POLITIK MACHT LANGWEILIG<br />

Als Bilkay Öney in Baden-Württemberg als Integrationsministerin anfing, brachte sie<br />

viele gegen sich auf. Nach drei <strong>Jahre</strong>n kennt sie die Gesetze der Branche. Ob das gut ist?<br />

Von GEORG LÖWISCH<br />

Die Politikerin Bilkay Öney steht<br />

zwischen den Welten, notorisch,<br />

wild, von klein auf. Sie war das<br />

Mädchen, das in Berlin-Spandau von einer<br />

anderen Einwanderertochter verpetzt<br />

wurde, weil es mit Jungs rumhing.<br />

Sie war die Journalistin im Berliner Büro<br />

des türkischen Fernsehens, die der Chef<br />

„die Deutsche“ nannte. Sie saß für die<br />

Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus<br />

und lief zur SPD über.<br />

2008 – noch als Grüne – forderte sie,<br />

man müsse Roland Koch zuhören, obwohl<br />

der gerade eine Ausländerkampagne fuhr;<br />

ihre Partei distanzierte sich. 2011 traf sie<br />

Recep Tayyip Erdogan, obwohl ihre Eltern,<br />

linke Kemalisten, dessen Politik verachten.<br />

Bilkay Öney, Integrationsministerin<br />

von Baden-Württemberg, schwimmt<br />

zwischen den Strömungen. Das ist das Besondere<br />

an ihr. Das ist ihr Problem.<br />

Sonntagnachmittag, Akademie der<br />

Künste am Brandenburger Tor. Die SPD<br />

inszeniert sich auf einer Konferenz. Sieben<br />

Stuhlreihen mit Ministern, Bürgermeistern,<br />

Senatoren und Abgeordneten,<br />

denen Sigmar Gabriel den Sonntagnachmittag<br />

abzwackt. Öney kommt spät, in<br />

Reihe drei winkt sie jemand auf einen<br />

freien Platz: Raed Saleh, SPD-Chef im<br />

Berliner Abgeordnetenhaus, er stammt<br />

aus dem Westjordanland. Eine blonde<br />

Frau guckt zu den beiden rüber. Noch<br />

mal. Öney beugt sich zu Saleh. „Kommt<br />

dir das auch so vor, dass die uns anschaut,<br />

als kämen wir vom Mars?“ Öney wendet<br />

sich der Frau zu. „Wo kommen Sie eigentlich<br />

her?“ Schock. „Sachsen-Anhalt.<br />

Und Sie?“ Öney: „Früher Berlin, jetzt<br />

Baden-Württemberg.“<br />

2011, Grün-Rot hatte die Wahl im<br />

Südwesten gewonnen, suchte SPD-Chef<br />

Nils Schmid eine Integrationsministerin.<br />

Er stieß auf Öney. Diplom-Kauffrau,<br />

Ex-Journalistin. Unerschrocken, gut<br />

aussehend, nicht radikal. Sie zog nach<br />

Stuttgart, um das neue Ministerium mit<br />

knapp 60 Mitarbeitern aufzubauen.<br />

In einem ihrer ersten Interviews erklärte<br />

Öney: „Die Türken gucken fünfmal<br />

mehr Fernsehen als die Deutschen.“<br />

Grüne und Migrantenverbände tobten.<br />

„Burkinis finde ich Quatsch“, sagte sie<br />

ein paar Interviews später.<br />

Die CDU, eigentlich noch in der<br />

Mappus-Malaise, merkte auf. Bernhard<br />

Lasotta, ein Arzt aus Bad Wimpfen, war<br />

gerade integrationspolitischer Sprecher<br />

der Landtags-CDU geworden. Fortan<br />

röntgte er Öneys Äußerungen auf Skandalpotenzial.<br />

Redete sie türkisch, ließ<br />

er übersetzen. Einmal sprach sie im Zusammenhang<br />

mit dem NSU von „tiefem<br />

Staat“, ein Begriff, der in der Türkei Verbindungen<br />

von Justiz, Politik, Geheimdiensten<br />

und organisierter Kriminalität<br />

beschreibt. Das über Deutschland! Lasotta<br />

platzierte den ersten Treffer.<br />

DEM CDU-MANN ist ihre unausrechenbare<br />

Politik unverständlich. Früher war<br />

sie – selbst keine Muslimin – strikt für<br />

das Kopftuchverbot an Schulen und Kitas.<br />

Später erklärte sie, man müsse noch<br />

mal darüber nachdenken. Lasotta sagt:<br />

„Ich kann nie einschätzen, wo sie steht.“<br />

Eine, die zwischen den Strömungen<br />

schwimmt, wird immer wieder untergespült.<br />

In Stuttgart hielt Winfried Kretschmann<br />

sie oben. Der Ministerpräsident hat<br />

sich selbst ein Leben lang dem Mainstream<br />

widersetzt: Maoisten, Fundigrünen,<br />

den Wichtigtuern von Berlin. Als die<br />

CDU im Sommer 2013 beantragte, Öney<br />

zu entlassen, stützte er sie. Lasotta warf<br />

ihr vor, in einem türkischen Internetportal<br />

der CDU Rassismus unterstellt zu haben.<br />

Kretschmann tadelte sie im Landtag,<br />

lobte aber ihre unverstellte Sprache.<br />

Öney liefen Tränen übers Gesicht.<br />

Ihre zwei besten Freunde hat sie immer<br />

noch in Berlin. Die eine ist Putzfrau,<br />

sie stammt aus dem Kaukasus. Der andere<br />

heißt Ilhami, ein schwuler Friseur.<br />

In der Landtags-SPD bleibt sie ein<br />

Fremdkörper. „Die sagen: He he, was hat<br />

sie jetzt wieder angestellt“, analysiert ein<br />

einflussreiches Parteimitglied. Kein Politgeruch,<br />

kein Sozigeruch und dann auch<br />

noch frech. Die SPD, die sich endlich erweitern<br />

müsste, irritiert die Erweiterung.<br />

Öney sagt: „Ich fühle mich frei. Ich<br />

bin so lange dabei, wie ich kann. Und<br />

wenn nicht mehr, ist auch gut.“<br />

Sie arbeitet. Sie hat den Gesinnungstest<br />

für Einwanderer abgeschafft. Sie hat<br />

die Sargpflicht gelockert, sodass Muslime<br />

ihre Toten im Tuch bestatten können. Sie<br />

zeigt Einwanderern, dass die Demokratie<br />

kein Klub der Urdeutschen ist. Aber<br />

ihre Sprache ist anders geworden. Sie kontrolliert<br />

sich: „Das unverfänglichste Zeug<br />

kann einem um die Ohren fliegen.“ Zum<br />

Doppelpass gab sie neulich ein Deutschlandfunk-Interview.<br />

„Wiedererlangung“,<br />

„Amtsermittlungsgrundsatz“, „Hinnahme<br />

der Mehrstaatlichkeit“. Sie klang blechern<br />

wie ein Politautomat, ein vollintegrierter.<br />

Lasotta kann zufrieden sein. Er bilanziert:<br />

„Sie findet nicht mehr statt.“<br />

Am 27. März um 21.47 Uhr war sie<br />

plötzlich wieder da. Sie twitterte: „Als<br />

ich nach BaWü kam, war ich 40, sah aber<br />

aus wie 28. Jetzt bin ich 43 und sehe aus<br />

wie 43. Politik kann Falten, fett u. langweilig<br />

machen, trotzdem happy.“<br />

Ilhami, der schwule Friseur, hat mal<br />

zu ihr gesagt: „Bilkay, du bist Ministerin,<br />

da gibt’s Konkurrenz wie bei uns.“<br />

Wie bei den Friseuren. Aber dort ist<br />

ein eigener Stil alles, in der Politik nicht.<br />

GEORG LÖWISCH bemüht sich als<br />

<strong>Cicero</strong>‐Textchef, langweilige<br />

Politikersprache aufzubrechen<br />

Foto: Bernd Hartung/Agentur Focus<br />

42<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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