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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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TITEL<br />

Europas goldene Zukinft<br />

9. BENUTZERFREUNDLICHKEIT<br />

Reisefreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, Auslandsstudium:<br />

Die Integration hat unser Leben erheblich leichter gemacht<br />

Von GÜNTER VERHEUGEN<br />

Wer früher in Europa eine Reise tat, hatte eine<br />

Menge zu erzählen – und nicht nur Erhebendes.<br />

Es gab lästige Grenzprozeduren, den<br />

Geldumtausch und vieles mehr. Da war die<br />

Sprachbarriere noch das kleinste Hindernis,<br />

wenn man einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz im Ausland<br />

suchte, jenseits der Grenze ein Unternehmen gründen wollte,<br />

eine Ware, die von Land zu Land unterschiedliche Sicherheitsund<br />

Qualitätsstandards erfüllen musste, verkaufen oder gar<br />

eine Dienstleistung grenzüberschreitend erbringen wollte.<br />

Für die EU ist dies Vergangenheit, und kein vernünftiger<br />

Mensch würde sich diese Zeiten zurückwünschen. Aber was<br />

wir heute als unser gutes Recht ansehen, ist nicht vom Himmel<br />

gefallen. All das ist Ergebnis der Politik der europäischen Integration.<br />

Doch sosehr sie unser Leben im Einzelnen auch erleichtert<br />

und bereichert, die heutige Integrationsdebatte ist nicht<br />

voll flammender Begeisterung. Sie ist nüchtern und oft auch<br />

mit allerhand Verdruss und Verständnislosigkeit beladen. Dabei<br />

sind es nicht ihre großen politischen Ziele, die die Misstöne<br />

begründen. Sondern es ist der europäische Alltag. Da gibt es<br />

berechtigte Kritik an Unvollkommenheiten und Fehlern, aber<br />

auch Kritik, die sich auf Vorurteile und Nichtwissen gründet.<br />

Wer ein Auto kauft, verlässt sich darauf, dass alles funktioniert,<br />

vom Lenkrad bis zur Bremse. Früher hätte der deutsche<br />

Gesetzgeber dafür gesorgt. Heute tut es die EU – und niemanden<br />

stört es. Wenn aber die EU nationale oder internationale Regeln<br />

zu Handelsklassen übernimmt, ist plötzlich das Geschrei groß,<br />

und die EU gilt als Regulierungstrottel, dem nichts Sinnvolleres<br />

eingefallen ist, als sich etwa über krumme Gurken Gedanken zu<br />

machen. Seit 2009 tut sie das nicht mehr, was dazu geführt hat,<br />

dass die Gurkenkrümmung 2011 wieder dort geregelt wurde, wo<br />

sie herkam: bei der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen<br />

für Europa – übrigens mit aktiver deutscher Beteiligung.<br />

Dennoch scheinen die europäischen Handelsklassenregeln,<br />

die Qualitätsstandards festlegen, Menschen sehr wichtig zu sein,<br />

denn sonst würden sich heute nicht so viele geradezu panisch<br />

darum sorgen, dass die europäischen Gesundheits- und Qualitätsstandards<br />

bei Lebensmitteln auf dem Altar der transatlantischen<br />

Verhandlungen geopfert werden könnten – auch wenn<br />

dies überhaupt nicht zur Disposition steht.<br />

Oder nehmen wir den Euro, der in Deutschland auch deshalb<br />

einen schweren Start hatte, weil wir im Gegensatz zu anderen<br />

Ländern die doppelte Preisauszeichnung (in DM und Euro)<br />

von 1999 an für überflüssig hielten – mit dem Ergebnis, dass<br />

der Euro als „Teuro“ empfunden wurde. Es hat lange gedauert,<br />

bis auch wir begriffen, welch ein Segen der Euro für uns ist.<br />

Reisefreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Möglichkeit,<br />

woanders zu studieren, sind europäischer Alltag. Millionen Deutsche<br />

nutzen das gern. Aber wenn andere Völker das Gleiche tun,<br />

finden sich bei uns immer Leute, die nahezu hysterisch reagieren<br />

– man denke an die Diskussion um die Arbeitnehmerfreizügigkeit<br />

für Rumänen und Bulgaren. Da zeigte sich, dass eine<br />

grundlegende Frage der Integration noch nicht völlig verstanden<br />

wird. Nicht der Geldbeutel regiert die Integration, sondern<br />

die Gleichheit aller Staaten: bei den Pflichten, bei den Rechten.<br />

GÜNTER VERHEUGEN, Jahrgang 1944, war Vizepräsident der<br />

Europäischen Kommission und EU-Kommissar für Unternehmen<br />

und Industrie sowie für die Erweiterung der Union<br />

Illustration: Martin Haake<br />

36<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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